‚Ich fühle mich frei!‘ – Interview mit einer der ersten Fahrlehrerinnen in Saudi Arabien

Ich treffe die 49-jährige Mutter von drei Söhnen in einem Coffeeshop in Dubai Marina, der trotz Ramadan Kaffee ausschenkt. Die gebürtige Saudi-Arabierin bestellt sich auch einen Cappuccino, da sie aus gesundheitlichen Gründen nicht fasten darf.

Würde ich Nour (Name auf Wunsch geändert) in ihrer Heimstadt Jeddah treffen, wären ihre dunklen Haare verdeckt und ihr Mann, Sohn oder Fahrer hätte sie zu unserem Treffen gebracht. Heute zeigt sie sich mit strengem Zopf, heller Bluse und ihren Geländewagen hat sie nicht unweit vom Café geparkt. Gerade besucht sie ihren Sohn in der Metropole, in der sie neben London auch schon gelebt hat. Eine kurze Verschnaufpause für die Fahrlehrerin aus Saudi, die mit mir ihre ersten Erfahrungen teilt.

Am 26. September 2017 um 11:52 Uhr ist Nour gerade zu Hause in Jeddah, als die offizielle Saudi-Presseagentur via Twitter bekannt gibt, dass Frauen das Fahren im Königreich erlaubt wird. Mit 19.000 Retweets und viel Medienecho verbreitete sich die bahnbrechende Neuigkeit in Windeseile.

Maren Meheust: Das war bestimmt ein historischer Moment! Was war Ihre erste Reaktion, Nour?

Nour: Oh, ich war natürlich glücklich!

Haben Sie gleich Ihren Freundinnen geschrieben?

Nein, das mache ich nie. Ich habe Bedenken, etwas Falsches zu sagen, was der Regierung nicht gefällt. Nur wenn wir uns treffen, sprechen wir über solche Themen. Ich war sehr erfreut, aber auch skeptisch. Die Frauen in Saudi müssen nicht nur ausgebildet, sondern auch für den Verkehr dort fit gemacht werden. Auch brauchen wir dann Polizistinnen, da fremde Männer keine Frauen untersuchen können. Es ist einfach ein riesiges Projekt und ich glaube, dass die Regierung den Arbeitsaufwand unterschätzt hat.

Wie sah die Situation vorher in Saudi aus? Können viele Frauen, die Sie prüfen, bereits Auto fahren?

Keiner Frau war es in Saudi erlaubt, zu fahren. Und bis zum 24. Juni – dem offiziellen Datum, ab dem Frauen ans Steuer durften – wurden wir noch bestraft, wenn wir beim Fahren erwischt wurden. Viele Frauen versuchten es trotzdem – draußen in der Wüste. Natürlich ohne Führerschein oder Erlaubnis, aber so hatten sie immerhin die Erfahrung sammeln können. Sie fuhren mit ihren Ehemännern dorthin. Ich bin mit diesen Regelungen aufgewachsen und für mich war das bis jetzt normal.

Also haben Sie es nie hinterfragt?

Nein, ich habe es einfach so angenommen, wie es ist. Ich glaube, dass die Regierung dafür ihre Gründe hat. Das hat viel mit Tradition und Kultur zu tun. Auch wenn ich es komisch fand, dass überall woanders auf der Welt Frauen fahren durften.

Wie haben Sie dann selbst fahren gelernt?

Als ich 16 war, brachte meine Tante mir in Amerika das Autofahren bei. Als wir dann nach Dubai gezogen sind, habe ich meinen UAE-Führerschein gemacht. Das ist aber auch schon über 18 Jahre her! Mittlerweile habe ich auch einen abischen Führerschein. Möchten Sie ihn sehen?

Sie nimmt strahlend ihre beiden Führerscheine aus dem Portemonnaie – auf dem einen lächelt mir stolz eine junge Nour mit offenem Haar entgegen, auf dem anderen sehe ich Nour mit Kopftuch.

Wie haben damals Ihre Freundinnen in Saudiarabien reagiert, als sie hörten, dass Sie Autofahren können?

Für viele war es komisch, aber sie haben mich auch bewundert. Manche von ihnen waren auch eifersüchtig. Aber meistens haben sie nur nach dem ‚Warum‘ und nach dem ‚Wie‘ gefragt. Sie wollten wissen, ob es einfach oder schwer zu lernen ist.

Was haben Sie geantwortet?

Ich habe gesagt, dass es einfach für mich ist, weil ich daran gewöhnt bin. Es fiel mir von Anfang an leicht und es ist wichtig für mich, dass ich fahren kann. Ich fühle mich frei. Es macht mich unabhängig.

Wie kam es zu dieser bahnbrechenden Veränderung in Saudiarabien?

Ich denke, dass die Fahrerlaubnis vor allen Dingen Familien helfen soll. Viele können sich keinen eigenen Fahrer leisten. Zuvor brauchte man immer jemanden, der die Kinder und die Frau zur Schule oder Arbeit gebracht hat. Es ist so kompliziert und teuer, einen guten Fahrer zu finden. Die meisten kommen aus anderen Ländern und dann muss man nicht nur das Gehalt, sondern auch das Visum finanzieren. Die Frauen müssen ihre Freizeit untereinander koordinieren, wenn es nur einen Fahrer gibt. Es ist viel anstrengende Organisation und sehr kostspielig. Ich freue mich, dass ich mit meinem Job die Veränderung unterstützen kann.

Wie sind Sie zu der Arbeit als Fahrlehrerin und Prüferin gekommen?

Meine Cousine hat mich gefragt, ob ich interessiert wäre. Sie wusste, dass die Universität in unserer Stadt nach Fahrlehrerinnen sucht. Die Fahrschule, in der ich seit Mai arbeite, wird von der Regierung in Kooperation mit der Universität gefördert. Sie hat eine Jordanierin engagiert, die Frauen in Saudi zu Fahrlehrerinnen ausbildet. Es war schwer ein Team zusammenzustellen. Meistens weiß man nur über Kontakte, wenn eine Frau Autofahren kann.

Wie wurden Sie als Fahrlehrerin ausgebildet?

Erst wurde ich selbst geprüft, wie gut ich fahren kann. Dafür wurde ein Teil eines Parkhauses gemietet, da ich ja zu dem Zeitpunkt auf den Straßen draußen nicht fahren durfte. Ich bin dann mit dem Auto dort Runden gefahren. Die Trainerin saß mit dabei und ein Doktor der Universität hat uns von draußen beobachtet. Als Mann hat er nicht das Recht mit mir im gleichen Auto zu sitzen. Durch meine langjährige Erfahrung wurde ich dann nicht nur als Fahrlehrerin, sondern auch als Prüferin von unserer Trainerin ausgebildet.

Lernen Ihre Fahrschülerinnen auch im Parkhaus Autofahren?

Ja, ähnlich machen wir das mit den Fahrschülerinnen, die ich selbst im Mai dann unterrichtet habe. Bis Anfang Juni haben über 300 Frauen jeweils 30 theoretische und praktische Stunden absolviert. Das war sehr kräftezehrend, da wir draußen in der prallen Sonne stundenlang erst selbst ausgebildet wurden und dann andere prüfen mussten. Die Regierung wollte, dass ab dem 24. Juni die ersten Absolventinnen fahren können. Ich habe teilweise auch Nachtschichten geschoben, um das zu realisieren, weil wir bei der großen Nachfrage völlig unterbesetzt sind und auch die Zeitspanne sehr knapp war.

Wie alt sind Ihre Fahrschülerinnen?

Zu uns kommen Frauen aus allen Altersgruppen, meist zwischen 24 bis 60 Jahre. Aber auch die anderen Fahrlehrerinnen kommen aus unterschiedlichen Generationen. Ich gehöre sogar zu einer der älteren.

Wie ist die Reaktion der Frauen, wenn sie das erste Mal fahren?

Die meisten Frauen in Saudi sind sehr stolz. Sie würden nie vor uns euphorisch reagieren. Ich erinnere mich nur an eine Frau, die mir sagte, dass sie sich wahnsinnig freut endlich fahren zu dürfen. Man sieht die Begeisterung eher in der Zahl der Anmeldungen. Aber das wird nicht offiziell kommuniziert. Für die nächste Runde haben sich mehr als 600 Frauen eingeschrieben. Auf der Warteliste stehen mehr als 5.000. Und die Webseite, auf der man sich anmelden konnte, gibt mittlerweile eine Fehlermeldung, da sie überlastet ist.

Freuen Sie sich denn darauf in Saudi endlich zu fahren?

Ehrlich gesagt bin ich etwas ängstlich, da der Verkehr so gefährlich ist. Ich weiß, dass ich sehr gut fahren kann, aber ich kann die anderen Fahrer um mich herum nicht kontrollieren. Wer weiss, vielleicht wird es ein wenig friedlicher bald auf den Straßen, jetzt, wo wir Frauen auch ans Steuer können (lacht).

Als ich mein Interview zu Papier bringe, schickt mir Nour gerade per Whatsapp ein Video, wie sie das erste Mal in Saudi am Steuer sitzt. Ihr Mann kommentiert: „Meine Damen, meine Herren, was für ein Moment! Nour kann endlich in Saudi fahren!“


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Maren Méheust schrieb schon aus Paris, Dubai und Berlin für die Netzpiloten. Sie wohnt mittlerweile an der französischen Grenze in Kehl und arbeitet als Strategin bei der Digitalagentur TLGG. Maren Méheust ist Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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