Hans Magnus Enzensberger und die digitale Agenda

In seiner Kolumne beschäftigt sich Nico Lumma mit dem Medienwandel und Kompetenzen die damit einhergehen. Nicht nur im Beruf, sondern auch in der Schule und Familie. Diesmal geht es um den Debattenbeitrag von Hans Magnus Enzensberger. // von Nico Lumma

Hans Magnus Enzensberger (Bild: Felix König [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons)

In seinem viel diskutierten Artikel Wehrt Euch! spitzt Hans Magnus Enzensberger mit 10 Handlungsempfehlungen zu, wie der einzelne Bürger sich der Digitalisierung entziehen kann. Was auf den ersten Blick wirkt wie weltfremdes Geschreibsel eines alternden Intellektuellen, hat auf den zweiten Blick eine faszinierende Komponente erhalten: die Büchse der Pandora ist geöffnet und wir können, größtenteils wollen wir es aber auch gar nicht, die Entwicklungen der Digitalisierung der Gesellschaft nicht zurückdrehen.

Natürlich erscheint es uns absurd, unser Smartphone wegzuwerfen, wir sind ja heilfroh, dass es endlich das kann, was die Werbung uns seit mehr als 10 Jahren versprochen hat und insbesondere in Zeiten der IBAN werden wir sicherlich nicht auf den guten alten Überweisungsträger zurückgreifen wollen, sondern lieber das Online-Banking benutzen wollen. Was Enzensberger allerdings kritisiert, ist das mangelnde Verständnis der Bürger über das, was wir gemeinhin die Digitalisierung der Gesellschaft nennen:

Der Schlaf der Vernunft wird bis zu dem Tag anhalten, an dem eine Mehrheit der Einwohner unseres Landes am eigenen Leib erfährt, was ihnen widerfahren ist. Vielleicht werden sie sich dann die Augen reiben und fragen, warum sie die Zeit, zu der Gegenwehr noch möglich gewesen wäre, verschlafen haben.

Der Schlaf der Vernunft kann auch als Elitenversagen bezeichnet werden, als Abstinenz der Intellektuellen bei einer Debatte, deren Tragweite wir immer noch kaum fassen können. Deutsche Intellektuelle haben ebenso wie deutsche Politiker in den letzten 20 Jahren nicht wirklich die Impulse gegeben, die dafür gesorgt haben, dass die Bevölkerung dieses Landes auf die Auswirkungen der Digitalisierung vorbereitet wurden. Das Verständnis von den derzeitigen Entwicklungen bleibt oftmals an dem Punkt stehen, an dem sich für den einzelnen Nutzer kommerzielle Vorteile andeuten, aber es kommt viel zu wenig zu einer Reflexion über die bevorstehenden Entwicklungen und ihre Folgen. Stattdessen wird dieser Part ausgeblendet oder einfach abgelehnt, ganz im Sinne der bewährten Vogel-Strauss-Taktik. Nur ab und zu blitzt ein kurzer Moment der sonst in Deutschland so präsenten Technikfolgenabschätzung auf, aber dann meist nur unter dem Aspekt, dass amerikanische Werte nicht unbedingt zu dem deutschen Verständnis von Werten passen müssen.

Die Kritik Enzensbergers, dass die Herausforderungen der Digitalisierung verschlafen werden, trifft ins Mark, denn erst seit der Einrichtung der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft in der letzten Legislaturperiode kann man überhaupt etwas Bewegung und Nachdenken in diesem Bereich stattfinden sehen. Es wird sicherlich interessant werden, wie die nun endlich stattfindende Diskussion einer digitalen Agenda für die Bundesrepublik Deutschland bei ihren Bürgern aufgenommen wird.


Teaser & Image by Felix König (CC BY 3.0)


arbeitet als COO des next media accelerator (http://nma.vc) in Hamburg. Er bloggt auf lumma.de und ist seit 1995 eigentlich nicht mehr offline gewesen. Er ist Mitglied der Medien- und netzpolitischen Kommission des SPD Parteivorstandes und Co-Vorsitzender des Vereins D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt. Unter @Nico findet man ihn auf Twitter. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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