Videokolumne vom 16. März

In der Videokolumne geht es heute um ein literarisches Meisterwerk, bloggende Frauen aus aller Welt und tolle Antworten auf virale Hits. // von Hannes Richter

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Ein Autor mit bosnischen Wurzeln schreibt über die deutsche Provinz, mit riesigem Erfolg. Auf der Leipziger Buchmesse plaudert er über die Entstehung seines neuen Buchs und die Verknüpfung mit seiner eigenen Geschichte. Eine unterhaltsame Antwort auf die wortreiche Kritik im Feuilleton. Bloggerinnen weltweit: arte stellte in der vergangenen Woche einige von Ihnen vor, ein Nachklapp zum Frauentag. Und Isabella Rossellinis Tierimitationen hätten das Zeug zum viralen Hit, aber die ganze Welt spricht von der Kusskampagne und ist Happy. Wir auch.


SAŠA STANIŠI? STELLT SEIN NEUES BUCH VOR: Vor dem Fest bei der Leipziger Buchmesse

AUS DER MEDIATHEK – 3Sat +++ Sendung vom 15. März:
Wie der Soldat das Grammophon reparierte, der erste Roman des damals 28 Jahre alten Saša Staniši? galt schon kurz nach seiner Veröffentlichung als kleines Meisterwerk. Das Buch des Literatur-Studenten wurde mit Preisen überhäuft. Es handelt von einem Jungen, der mit seiner Familie vor dem Krieg in Bosnien nach Deutschland flieht. Diese Entwurzelung und seine Schwierigkeiten, sich in seinem neuen Umfeld zurechtzufinden verarbeitet der Protagonist durch seine eigenen Vorstellungen von seiner Heimat, ein Mix aus Erinnerungsfetzen und weitergesponnenen Erlebnissen, die wohl nur in seiner Fantasie so passiert sind. Staniši? kommt wie sein Protagonist selbst aus Višegrad im heutigen serbischen Teil Bosniens und das Buch lebt von der Aura des selbst erlebten, vom biografischen Hintergrund des Autors. Umso mehr verwunderte es, als vor kurzem sein zweites Werk erschien: Vor dem Fest erzählt eine Familiengeschichte in der Uckermark, über Jahrhunderte hinweg. Die Themenwahl war wohl ein Auslöser für Maxim Billers sehr lesenswerte Abrechnung aus der vorvorletzten Zeit. Darin wirft er der jungen Generation von Autoren mit Migrationshintergrund eine Anpassung an die Anforderungen des hiesigen Literaturmarktes und der Kritiker vor. Sie würden die spannenden Geschichten, die sich aus ihrer komplexen Identität ergeben zu Gunsten eines literarischen Einheitsbreis links liegen lassen. Auch Staniši? schließt er da mit ein, zu sehr wundert ihn die Hinwendung des erst seit seinem vierzehnten Lebensjahr in Deutschland lebenden Autors zur deutschen Provinz. An dem gerade erst mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Buch Vor dem Fest scheint diese Analyse abzuperlen. Besonders, wenn man Saša Staniši? selbst über sein Buch reden hört. In diesem 3Sat-Extra zur Buchmesse stellt er es fast eine halbe Stunde lang vor und unterhält mit seiner charmanten Art das neugierige Publikum. Dabei kommt er auch auf die Themenwahl zu sprechen und nach der Lektüre des (nochmal: trotz allem sehr lesenswerten) Zeit-Artikel Billers und all den Vorschusslorbeeren macht gerade dieser Auftritt Lust auf das Buch und die Geschichte aus der brandenburgischen Provinz und den jungen Mann aus der bosnischen.


TIERMAMAS: von und mit Isabelle Rosselini

Isabela Rosselini ist eine sonderbare Künstlerin. Das Charisma ist das einer vorteilhaft alternden Filmdiva, ihr wunderschönes Gesicht meint man schon in einer ganzen Reihe von Filmklassikern gesehen zu haben, der Name selbst ist schon Verheißung. Dabei findet sich in der Filmografie der Tochter von Ingrid Bergman und Roberto Rossellini kaum ein Hauptrolle in einem Blockbuster, abgesehen von einigen späten Parts, die sie wohl gerade auf Grund ihres Rufes bekommen hat. Das Ex-Modell ist ähnlich wie Tilda Swinton eher im Indiefilm eines David Lynch oder auf den vielen Filmfestivals dieser Welt zu Hause. Auf der Berlinale 2008 überraschte Rossellini vollends: in absurden Ganzkörperkostümen stellte sie Szenen aus dem Liebesleben von Insekten nach. Das war es, nicht mehr und nicht weniger. Ihre nüchternen Erklärungen und visuellen Einfälle zwischen Comic-Ästhetik und Kindergartenbastelstunde lassen einen Tiersex mit ganz anderen Augen sehen, ein Heidenspaß. Da sich kein Kanal mit der kompletten „Green Porno“-Serie finden lässt, sei eine Youtube-Suche empfohlen. Es gibt viel zu sehen…
Nun ist Isabella Rossellini mit einer Art Fortsetzung zurückgekehrt. Diesmal geht es um das Aufzuchtverhalten verschiedenster Tierarten und wie die große Schauspielerin sich im Panzer einer Surinam-Schildkröte erst umständlich begatten lässt, um am Ende des zweiminütigen Clips eine Masse an Puppenbabys auf dem Rücken mit sich rumzutragen, ist köstlich anzuschauen. Auch der Regenpfeifer, natürlich der Kuckuck sind dabei und auch ein Hamsterweibchen ist mit von der Partie. Arte zeigt alle Filme bei arte +7 und dazu ein Making-Of, in dem der ganze Aufwand hinter den skurrilen kleinen Filmchen zu sehen ist. Die Clips sind bei arte noch bis zum 20 März zu sehen, werden aber wie die Green Porno wohl auch bald einzeln auf Youtube auftauchen.


NACHKLAPP: Blogerinnen weltweit in Forbidden Voices

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ Sendung vom 11. März:
In der letzten Ausgabe der Videokolumne wurden vier Frauen vorgestellt, die am Anfang der Bewegung für die Gleichberechtigung der Geschlechter standen. Anlass war der Internationale Frauentag am 8. März. Arte hat in der vergangenen Woche eine Reihe von Spielfilmen und Dokumentationen über den andauernden Kampf gezeigt, Schicksale von unterdrückten Frauen und Geschichten von Kämpferinnen. Zu denen gehören auch auch die Bloggerinnen aus Fortbilden Voices, die weltweit gegen ihre repressiven Regierungen anschreiben. Feminismus und soziale Bewegung, Gleichberechtigung und politische Freiheit schließen sich dabei nicht aus, ganz im Sinne der Vorkämpferinnen aus der letzten Woche. Dabei ersetzen sie das Berliner Zeitungsviertel – im Spartakusaufstand 1919 Brennpunkt der Novemberrevolution, zu deren Niederschlagung auch die Ermordung von Rosa Luxemburg gehört – durch die schwer kontrollierbaren Datenströme des Internets, doch riskieren am Ende für ihre Überzeugungen das selbe. „Eine Hommage an ihren mutigen Kampf“, nennt arte diese sehenswerte Dokumentation.


VIRAL PICK I: Wenn sich wirklich Fremde küssen

Es ist zwar schon alles gesagt, aber eben nicht von allen. Deswegen auch hier noch kurz zum inzwischen berüchtigten Kuss-Video der letzten Woche. Ja, es handelte sich um Reklame: Die beteiligten Modelle wirkten doch schon zu Beginn zu perfekt und auch die Aufmachung ließ vermuten, dass hier keine Leute von der Straße ins Studio gelockt wurden. Das macht den Aufschrei, der nach dieser Enthüllung durch’s Netz ging auch so verlogen. Das Problem ist nämlich nicht, wie die Blogrebellen richtig festhalten, die kluge Kampagne des amerikanischen Modeabels Wren, die eindrucksvoll auf der Klaviatur des kalkulierten viralen Hypes mit Süß-Faktor spielt (inklusive des sehr – wirklich: ausgesprochen – dezenten Brandings). Das Problem ist die undistanzierte Übernahme eines Marketinggags durch seriöse Medien und das offensichtliche Fehlen jeglicher Kompetenz in der Berichterstattung über diese eigentlich schon gar nicht mehr so neue Form psychologischer Kriegsführung Manipulation Vermarktung durch findige Werbemacher. Es ist etwas anderes, ob Facebook-Nutzer ein Video weiterleiten und damit vielleicht unwissentlich einer Strategie aufsitzen (Ich würde gar behaupten, dass das häufig in vollem Bewusstsein geschieht, um die Medienkompetenz der meisten User ist es mutmaßlich besser bestellt als man in den Redaktionsstuben denkt). Oder ob Welt, Bild, Spiegel Online und jede noch so kleine Webpräsenz einer gedruckt Lokalzeitung eine Story als echt verkaufen, obwohl sie ihre Aufgabe eigentlich zur Recherche und Wahrheit verpflichtet und sie noch nicht mal dafür bezahlt werden (anders als die coolen Blog-Kollegen von zeigt Schlecky Silberstein, die damit offen umgehen und ihren Erlös spenden, wie zuletzt beim Edeka-Opa geschehen).

Wo die klassischen Medien versagen, wirken die Selbstheilungskräfte des Netzes, wenn auch mit nicht annähernd vergleichbarer Viewer-Zahl. So finden sich inzwischen zahlreiche Parodien, darunter das wirklich sehr lustige First-Handjob-Video. Eine clevere Antwort auf die zuckersüße Seifigkeit der Kampagne findet auch das VICE-Magazine. Dort hat man tatsächlich fremde Menschen von der Straße geholt, bezahlt und für die selbe Aufgabe vor die Kamera gestellt. Was dabei herauskommt ist so echt und so peinlich wie das richtige Leben – und verdammt lustig. Damit fordert Vice die Macher des Originals zum Kampf mit ihren eigenen Mitteln heraus und siegt nach Punkten.


VIRAL PICK II: Happy in Nordkorea

Wie beim letzten Tipp versucht und vor zwei Wochen angekündigt: hier soll nicht dasselbe Video oder dieselbe Idee zum tausendsten Mal durchgenudelt werden. Und wie Vice‘ Antwort auf die Kuss-Kampagne ist auch dieses Minivideo der Extra-Drei-Redaktion eher ein hinreißend kluger Kommentar auf ein virales Phänomen als eine weitere Version der langweiligen Überall-ist-man-Happy-und-klatscht-in-Hände Videos, ob in Marokko, Münster oder (na gut, das hier ist wirklich toll: Indische Homos protestieren damit gegen den Rückschritt in der Gesetzgebung, #nogoingback) Mumbai.


Teaser & Image by Katja Sämann, Luchterhand Verlag


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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