„Weißt du noch?“ – Von Apps, die dir sagen wer du bist…

Selbstreflexion durch Apps und Tools – Was Timehop, Rewind.me und futureme.org über dich aussagen können.

Weißt du noch, was du letzten Sommer getan hast? Und vor allem, was du davon im Social Web geteilt hast? Klar, die Facebook-Timeline kann dir helfen dies herauszufinden. Ausführlicher geht es aber auch mit einigen Apps, die mit dir auf eine Zeitreise gehen und vielleicht sogar helfen, mehr über dein Nutzerverhalten und dich selbst zu erfahren.

Die letzten beiden Jahre waren für mich ziemlich ereignisreich. Ich fing an mich beruflich in die Welt der Social Media und Tech-News einzufinden. Bin nach einer kurzen Praktikumsphase, zum Redakteur bei dem Online-Magazin Netzpiloten.de aufgestiegen und später sogar zum Projektleiter befördert worden. Im Web habe ich bissige Artikel verfasst zum Einsatz von Staatstrojanern und den Privatsphäre-Einstellungen von sozialen Netzwerken, die ich und andere fleißig im Web geteilt haben. Ich war in Paris, Göteborg, München, Barcelona, Oslo, Istanbul, Tel Aviv und Stockholm und habe von dort aus Kommentare über Land und Leute, an Freunde und Follower weitergetragen. Auch habe ich mir eines dieser Ultrabooks gekauft, direkt nachdem die neue Laptop-Klasse, das Licht der Welt erblickte – was sehr spannend war. Aber auch Kleinigkeiten, wie das Wiedersehen eines alten Freundes auf Facebook im September 2011 verbuche ich mal als ein – nicht minder aufregendes – Ereignis. Auch wenn ich ihn zwei Wochen später auf „Ignore“ gesetzt habe, weil er mir wahrscheinlich zu viel Blödsinn in den Newsfeed geschoben hat. Diese ganzen Dinge beschäftigten mich in den vergangenen Monaten. Woher ich das alles noch so genau weiß? Nicht unbedingt, weil ich mit einem eidetischen Gedächtnis gesegnet bin und mich gut an jedes Detail erinnern kann. Vielmehr, weil ich daran erinnert werde. Tagtäglich.

Zu verdanken habe ich dies einer Reihe von Apps, die ich seit einiger Zeit ausprobiere. Timehop und Rewind.me beispielsweise, tappen in meiner Social-Media-Historie herum und schieben mir vergangene Posts und Ereignisse wieder in die Wahrnehmung. Dabei kann man einstellen, wie lange diese Zeitreise zurückgehen soll – zum Beispiel ein bis fünf Jahre. Diese Apps brachten mich dazu, mich zu erinnern und manches Mal auch darüber nachzudenken, wie ich vor zwei Jahren und heute gedacht und gehandelt habe. So habe ich festgestellt, dass ich hier und da vieles kritisierte, was ich heute als ganz natürlich empfinde. Dass ich damals Umstände noch skeptischer beäugt habe, die ich heute als nachträglich sinnvoll einsortiere und dass sich beispielsweise mein Nutzerverhalten auf Facebook, binnen eines Jahres, sehr verändert hat.

Zu 95 Prozent, ging es in meinen Statusupdates um tagesaktuelle Nachrichten, die ich mit Interessierten diskutieren wollte – in den meisten Fällen habe ich so bis zu sechs Links täglich gepostet und mich aufgeregt. Oftmals sehr emotional. Ganz anders jedoch heute: Ich weiß, dass viele Dinge schon zu oft kleingeredet wurden und auch, dass viele News weniger Aufreger-Potenzial besitzen, als sie zuerst den Anschein machen. Ich weiß auch, dass viele Diskussionen im Sand verlaufen und mir eigentlich nur Zeit geraubt haben. Ich kann heute besser einschätzen, was mich wohl nachträglich am ehesten beschäftigen wird und inzwischen reduziere ich mich von durchschnittlich sechs Links am Tag, auf gerade einmal drei Links am Tag – wie mir durch die Auseinandersetzung mit meinem digitalen Ich, bewusst wurde. Ich glaube man kann sagen, ich bin ein weniger cooler im Umgang mit Informationen geworden und poste hier und da auch einfach mal witzige oder lockere Memes und Videos. Die Welt kann eben nicht immer nur bieder sein.

Die Updates auf sozialen Medien sind immer ein Spiegel der aktuellen Geschehnisse. Sie besitzen wenig Potenzial, sich auch mit Vergangenem zu beschäftigen. Was passiert ist, interessiert keinen. Das hat beispielsweise auch der Erfinder von Timehop, Jonathan Wegener festgestellt: „Jedes Soziale Netzwerk basiert auf Echtzeit. Sie tendieren dazu alte Nachrichten unten rausfallen zu lassen und einem wenig Platz zu bieten, sich zu erinnern“. Dabei ist das manchmal ganz sinnvoll, wie zudem Danielle Morrill bei ihrem eigenen Testlauf mit Timehop feststellte. Danielle ist CEO von Referly – einem Startup aus San Francisco, das Produkte testet und Erfahrungsberichte online stellt. In Ihrem Fazit zu der App, stellte sich ebenfalls ein Gefühl der Selbstreflexion ein: „Manches Mal, habe ich festgestellt, dass ich immer noch genau das Gleiche tue, was ich schon letztes Jahr getan habe. Ich frage mich, ob ich wirklich noch nach wie vor zufrieden damit bin“. Außerdem stellt sie fest: „Vergangenes Jahr habe ich sehr viel gearbeitet und ich tue dies immer noch. Vielleicht ist es Zeit, auch mal eine Pause einzulegen“.

Die Idee IT zu nutzen, um einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und zu sinnieren, ist nicht neu. Viele werden den Dienst futureme.org noch kennen, der einem eine E-Mail an sein zukünftiges Ich schicken lässt. Auch diesen habe ich einmal vor einiger Zeit ausprobiert. Die Message wird mich allerdings erst in ein paar Jahren erreichen. Und ehrlich gesagt weiß ich jetzt schon nicht mehr, was mich darin erwarten wird. Vielleicht ein Hinweis wieder mehr Sport zu treiben? Oder einer Fingerzeig auf ein Vorhaben, das ich erledigen wollte, bevor ich alt und grau werde? Kann auch sein, dass ich ähnlich wie Danielle Morrill einfach in der kommenden Phase meines Lebens weniger arbeiten und dies meinem zukünftigen Ich begreiflich machen möchte. So oder so, werde ich auch dann wieder eine Reise in die Vergangenheit unternehmen und mich wahrscheinlich über mich selbst wundern, bevor ich zurück in die Zukunft kehre. Hoffentlich auch dann, um eins, zwei Erkenntnisse reicher.


Hinweis: Dieser Artikel enthält keine verlinkten Quellen oder sonstige Informationen, um euch einen Eindruck eines Artikels in einer gedruckten Zeitung zu geben. Diese sehen sich ja durch derartiges Verhalten im Internet bedroht und glauben, dass dadurch bereits genug Zeitungen gestorben sind. Wer das öfters in Artikeln im Internet erleben möchte, der sollte nichts gegen das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage tun. Alle anderen machen sich bitte über das Leistungsschutzrecht schlau. Danke.


 


schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


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