In Paris twittert jede Metro-Linie von ihrem eigenen Account

Die Pariser Metro: Per Twitter versorgt jede Metro-Linie ihre Fahrgäste in Echtzeit über Störungen im Bahnverkehr. Metro-Fahren in Paris bedeutet wenig Platz, stickige Luft und gestresste Menschen. Wer in Paris wohnt, kann sich dem schnellen Rhythmus der Stadt kaum entziehen: “Metro-Boulot-Dodo” (Metro-Arbeit-Schlafen) bestimmen den Alltag. Um bei diesem Takt mitzuhalten, hat sich der staatliche Betreiber RATP des öffentlichen Verkehrs im Großraum Paris etwas Besonderes ausgedacht: Bei Verzögerungen und Störungen des Bahnverkehrs läuft die Kommunikation mit den Fahrgästen nicht nur über die Lautsprecheransagen, sondern ebenso über den Twitter-Account, der für jede einzelne Metro-Linie, Tram und Regionalbahn einzeln geführt wird. Eine Hilfestellung oder Spielerei?

“Guten Morgen auf der Linie 4”

Mit einem freundlichen “Guten Morgen auf der Linie 4. Thierry begleitet sie heute und wünscht eine gute Fahrt” startet der Service für die Pariser Metro-Fahrer. Sollte die Fahrt ruhig verlaufen, wird dem milliardsten Fahrgast gratuliert oder neue Shop-Eröffnungen in Bahnhöfen begrüßt. Die französische Kulturhauptstadt schmückt ihre alten Bahnhöfe mit Kunstprojekten oder lädt zu Auftritten ein, die hier kommentiert werden. So retweetet die Metro 4 gerne mal die Metro 6, bei der Philippe Halsmans fotografisches Werk an 16 Stationen und Bahnhöfen zur Ausstellung gebracht werden.

Sobald eine Störung im Bahnverkehr auftritt, wird diese über den Twitter-Account kommuniziert und bis zur Behebung verfolgt. Warum der Bahnverkehr stockt (“Materialschaden”) und wie lange Bauarbeiten noch auf Bahnhöfen dauern, kann auf dem jeweiligen Account in Erfahrung gebracht werden.

Eine Hilfestellung oder Spielerei?

Je nach Metro-Linie folgen zwischen 2.000 und 8.000 Personen den Twitter-Accounts, die seit 2012 geführt werden. Wenig in Anbetracht dessen, dass ungefähr 4,5 Millionen Fahrgäste tagtäglich die 14 Metro-Linien, zwei Regionalbahnen, sieben Straßenbahnen und über 350 Busse nutzen. Besser schneiden die Regionalbahnen ab, die sich über bis zu 41.000 Follower freuen können. Hier scheinen sich die Tweets mehr Gehör verschaffen zu können, da die Bahnen größere Bereiche im Pariser Raum abdecken und nicht immer im Minuten-Takt fahren.

Die Kommunikation des Unternehmens über ihre Twitter-Aktivität müsste noch ausgefeilt werden, damit mehr Pariser auf die Konten aufmerksam gemacht werden. Einigen dienen sie bereits als kostenfreie Alternative zur App der RATP. Doch ist es vielmehr das Image selbst, das die Twitter-Aktivität der Metro-Linien erklären lässt.

Eine alte Dame setzt Trends

Die Pariser Metro ist eigentlich eine alte Dame: Als viertältestes U-Bahn-System Europas transportiert sie seit Juli 1900 die Pariser von A nach B. Und nun setzt sie Trends in der digitalen Welt, die zu ihrem Image passt.

Für die Pariser Metro ist charakteristisch, dass ihre Stationen oft nur einen Katzensprung voneinander entfernt sind. An jeder Ecke finden sich Eingänge in das unterirdische Verkehrsnetz, die wegen ihrer kunstvoll verzierten Schilder zu einem der beliebtesten Postkartenmotive geworden sind. Spätestens seit Lorànt Deutsch in seinem Buch “Métronome” die Geschichte von Paris anhand der Metro und ihren Stationen erzählte, ist klar, wie sehr sich die Stadt über ihr Bahnnetz strukturiert und charakterisiert. Nicht nur die Stadt, sondern die Pariser selbst definieren sich über das Transportmittel.

Die nächste Station an der Wohnungstür ist in Paris ebenso bezeichnend wie die Wahl des Lieblingsessens. Mottopartys werden veranstaltet, zu denen man als Metro-Station verkleidet eingeladen wird. Somit scheint es fast schon logisch, dass jede Metro per Twitter ihr eigenes Sprachrohr bekommt. Gehören sie doch – jede für sich – zu dem Stadtbild der Metropole dazu und verdienen damit ihre eigenen Plattformen. Und das nicht nur in der Stadt der Liebe selbst, sondern auch in der digitalen Welt.


Image (adapted) “Metro” by Peter Daniel (CC BY 2.0)


 

Maren Méheust schrieb schon aus Paris, Dubai und Berlin für die Netzpiloten. Sie wohnt mittlerweile an der französischen Grenze in Kehl und arbeitet als Strategin bei der Digitalagentur TLGG. Maren Méheust ist Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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