The Polite Type: Die intelligente Schriftart gegen Cyber Mobbing und Hate Speech

Der Ton ist rauer geworden – in unserer Gesellschaft, aber auch online in den sozialen Netzwerken. Immer öfter werden Menschen Opfer von Cyber Mobbing und Hatespeech: So hat etwa jeder dritte Jugendliche selbst oder im Bekanntenkreis negative Erfahrungen gesammelt. Die Folgen sind weitreichend. Menschen leiden zunehmend an psychischen Krankheiten bis hin zu Suizidgedanken. Um das vergiftete Klima zu verbessern hat das finnische Unternehmen TietoEVRY die Initiative “The Polite Type” ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine intelligente Schriftart, die verletzende Begriffe schwärzt oder durch positivere Wörter und Wortgruppen ersetzt.

Cybermobbing und Hate Speech sind ein zunehmendes Internetproblem

Digitale Anfeindungen sind kein neues Phänomen. Doch durch die Verbreitung des Internets und den Siegeszügen der sozialen Netzwerke veröffentlichen immer mehr Menschen ungefiltert Meinungen und Sichtweisen. Die können gegen ganze Bevölkerungsgruppen gehen – Stichwort Flüchtlingskrise. Immer öfter richten sich die digitalen Angriffe auch an einzelne Personen.

Die Auswirkungen sind unterschiedlich: Die einen blasen zum Gegenangriff und wehren die Verbalattacken ohne Folgen ab. Andere zerbrechen an den böswilligen Anfeindungen und verschließen sich gegenüber ihren Mitmenschen. Immer öfter sind Psychologen die letzten Anlaufstellen. Künstliche Intelligenz soll in Zukunft dafür sorgen, dass es nicht so weit kommen muss. Dafür hat das Digitalunternehmen TietoEVRY die Schriftart “The Polite Type” entwickelt.

1.800 englische Schimpfwörter in der Datenbank hinterlegt

Aktuell funktioniert die Open-Source-Font lediglich in englischer Muttersprache. Ein breit gefächertes Team aus Experten der Bereiche Anti-Rassismus, Gender-Forschung und Diversität & Inklusion hat hierfür ein Wörterbuch aus diskriminierenden Begriffen erstellt. Mittlerweile fasst die hinterlegte Datenbank rund 1.800 Wörter und Phrasen, die bei Benutzung unkenntlich gemacht oder neutral umschrieben werden.

Leider kann die aktuelle Beta-Schriftart noch keinen Kontext erkennen. So wird etwa das Wort ‘fat’ nicht abgeändert, da es in Koch- und Backrezepten üblicherweise positiv konnotiert ist. Zudem erkennt die Software keine Schimpfwörter, die komplett mit Großbuchstaben getippt wurden. In diesem Zuge verweist TietoEVRY darauf, dass “The Polite Type” keineswegs Diskriminierung verhindern kann. Die Erfinder setzen nun auf die Schwarmintelligenz, um den Funktionsumfang und die Bibliotheken zu ergänzen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Sorgt “The Polite Type” für eine Zensur light?

Kritiker sehen den Einsatz der Schriftart mit gemischten Gefühlen. Dabei geht es nicht um die Verhinderung von diskriminierenden Botschaften, sondern um den Vorwurf einer möglichen Zensur. Das Digitalprodukt des finnischen Unternehmens agiert mit seiner angehängten Bibliothek aus unerwünschten Begriffen als ein Kontrollorgan der Kommunikation. Es ist unklar was passiert, wenn die Bibliothek mit fragwürdigen Phrasen gefüttert und der Dialog dadurch verfremdet wird. Ein Horrorszenario wäre es, wenn wir in Zukunft aneinander vorbei kommunizieren würden.

So installierst du “The Polite Type” auf deinem Rechner

Um das Potenzial auszuschöpfen, muss die intelligente Schriftart natürlich auch eingesetzt werden. Bereits in diesem frühen Entwicklungsstadium bieten die Erfinder auf ihrer Webseite neben den Source Code eine kompilierte Font-Datei an. Nach dem Download kann “The Polite Type – Regular” wie jede andere Schriftart auf dem heimischen PC installiert werden. Dazu reicht ein Doppelklick auf die ttf-Datei.

Damit ist allerdings noch nicht die Bibliothek aktiviert. Dazu gilt es im Textverarbeitungsprogramm wie Word mit einem Tipp auf die rechte Maustaste unter “Schriftart” die Funktion zu starten. Unter “Erweitert” findet sich der Unterpunkt “Erweiterte Typografie”. Dort müssen neben “Kontextvarianten verwenden” auch die Ligaturen aktiviert werden. Fertig! Nun schreibt ihr nur noch positive Dinge.

The Polite Type Word-Einstellungen
Um das Wörterbuch nutzen zu können, müssen in Word noch einstellungen getroffen werden. Screenshot by Jonas Haller

Fazit The Polite Type: Ein Muss für die sozialen Netzwerke

TietoEVRY geht mit der Initiative um “The Polite Type” ein wichtiges Thema unserer vernetzten Gesellschaft an. Cyber Mobbing und Hatespeech sollte in diesem Internet keinen Raum haben. Schon gar nicht wenn sie an einzelne Personen geht. Die intelligente Schriftart scheint eine passende Lösung zu sein, um eine bessere Online-Welt zu schaffen. Deshalb sollte “The Polite Type” meiner Meinung nach ein Muss für die sozialen Netzwerke werden. Zensur light hin oder her.

Allerdings gibt es auch noch Verbesserungspotenzial: Die Internetsprache mit seinen Abkürzungen und Besonderheiten erkennt die Software noch nicht. Wörter mit Großbuchstaben sowie eingeschobenen Zahlen bleiben unberührt. Zudem funktioniert die Schriftart aktuell nur in englischer Sprache. Aber vielleicht reicht es ja schon aus Menschen mit der gut gemeinten Initiative zum Nachdenken anzuregen.


Teaserimage by Everton Nobrega

arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Chemnitz und erforscht unter anderem 3D-Druckverfahren. Die technische Vorschädigung tut dem Interesse zum mobilen Zeitgeschehen und der Liebe zur Sprache jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil. Durch die Techsite HTC Inside ist er zum Bloggen gekommen. Zwischendurch war er auch für das Android Magazin aktiv. Privat schreibt er auf jonas-haller.de über die Dinge, die das Leben bunter machen. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , ,