Netzneutralität: Telekom stellt Tarifstruktur für Internetanschlüsse um

Bereits seit Wochen wurde über Gerüchte diskutiert, dass die Telekom eine Tarifstruktur für Internetanschlüsse einführt, die denen im Mobilfunkbereich nachempfunden sind. Heute bestätigte das Unternehmen in einer Pressemitteilung dieses Schritt offiziell.

Net Neutrality (Bild: DigiGes, CC BY-SA)

Die Telekom reagiert damit auf die zunehmende mobile Internetnutzung, die zu einem Anstieg des Datenvolumen führt. Die Einführung der neuen Tarife erfolgt schrittweise: Zunächst werden zum 02.05.2013 die Leistungsbeschreibungen für neue Verträge angepasst. Bestehende Verträge sind von den Änderungen nicht betroffen. Wann die Telekom die Geschwindigkeitsreduzierung tatsächlich einführt, hängt von der Entwicklung im Internet ab. Voraussichtlich werde die Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeit aber nicht vor 2016 kommen.

Datenwachstum ?zwingt? die Telekom zur Umstellung der Tarifstruktur

Die Umstellung der Tarifstruktur für Internetanschlüsse im Festnetz erfolgt angesichts des rasanten Datenwachstums und führt dazu, dass es wie im Mobilfunk künftig für neue Call&Surf- und Entertain-Verträge integrierte Highspeed-Volumina geben wird. Das bedeutet, dass sobald die vertraglich festgelegte Volumengrenze erreicht ist, die Internetbandbreite des Anschlusses auf 384 Kbit/s reduziert wird. Wer dem entgehen möchte, kann dann Volumen-Pakete mit Hochgeschwindigkeitsinternet dazu buchen. Wann die Limitierung technisch umgesetzt wird, steht noch nicht fest, aber Michael Hagspihl, Geschäftsführer Marketing der Telekom Deutschland, geht davon aus, dass dies ab dem Jahr 2016 passieren wird.

Vor der technischen Realisierung bekommen Kunden die Möglichkeit, ihren Datenverbrauch im Kundencenter im Internet nachzuvollziehen. Laut der Telekom verbraucht ein Kunde heute im Schnitt 15 bis 20 Gigabyte (GB). Das bedeutet, dass eine vierköpfige Wohngemeinschaft, dass geringste integrierte Datenvolumen von 75 GB angeblich nicht erreichen oder überschreiten wird – noch nicht. Dieses Volumen ermöglicht nämlich nur, neben dem Surfen im Netz und dem Bearbeiten von Mails, lediglich zehn Filme in normaler Auflösung plus drei HD-Filme zu schauen, plus 60 Stunden Internetradio zu hören, plus 400 Fotos anzusehen und 16 Stunden Online-Gaming zu betreiben. Diese Zahlen wirken unrealistisch im Jahr 2013, genauso wie die nach der Drosselung angebotene Internetbandbreite von 384 Kbit/s.

„Das Ende der Netzneutralität“

Hauptkritikpunkt an der Entscheidung ist die Verletzung der Netzneutralität durch die Telekom. Datenübertragung im Internet sollten wertneutral erfolgen, d.h. das Internetdienstanbieter wie die Telekom alle Datenpakete unverändert und in gleicher Qualität von und an ihre Kunden sendet, unabhängig davon, woher diese stammen, zu welchem Ziel sie transportiert werden sollen, was Inhalt der Pakete ist und welche Anwendung die Pakete generiert hat. Die Telekom aber rechnet die Nutzung des eigenen Dienstes Entertain wird nicht auf das im Tarif enthaltene Volumen an.

„Mit Entertain buchen die Kunden Fernsehen, deshalb werden wir sicherstellen, dass sie nicht plötzlich vor einem schwarzen Bildschirm sitzen“, erläutert Hagspihl. Auch Sprachtelefonie über den Telekom-Anschluss wird nicht angerechnet. Ähnlich geht die Telekom bereits bei Kooperationen mit dem Musikstreaming-Dienst Spotify und dem Cloudspeicher-Dienst Evernote vor, bei denen der Volumenverbrauch durch Telekom-Kunden auch nicht angerechnet wird. CHIP Online-Redakteur Christoph Elzer bezeichnete dies als Ende der Netzneutralität.

„Im Klartext heißt dies, dass Telekom-Kunden künftig nur noch über den hauseigenen Dienst Entertain sorglos IPTV schauen können. Wenn über andere Dienstleister wie beispielsweise Apple iTunes, Lovefilm oder Maxdome Filme und Serien konsumiert werden, droht die Drosselung.“, erläutert Elzer auf CHIP Online. Eine Folge ist, dass Telekom-Kunden, die Entertain nicht nutzen, aber über das Internet Fernsehen schauen und Radio hören, am Ende des Monats nicht einmal mehr bereits durch den Rundfunkbeitrag produzierte Inhalte in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen Sender nutzen können und sich zusätzliches Datenvolumen bei der Telekom gegen einen Extrapreis dazu buchen müssen. Hagspihl kommentiert dies mit der Aussage, dass „immer höhere Bandbreiten sich nicht mit immer niedrigeren Preisen finanzieren“ lassen. „Den Kunden mit sehr hohem Datenaufkommen werden wir in Zukunft mehr berechnen müssen“, betont er.

Kritik an der Entscheidung der Telekom

Zurecht verweist die Telekom in ihrer Pressemitteilung darauf, dass das Datenvolumen im Netz rapide zunimmt und nach Expertenschätzung wird es sich bis 2016 vervierfacht haben. Kritiker der Entscheidung der Telekom sehen dies aber nicht als Grund an, den Zugang der Telekom-Kunden zum Internet zu drosseln. Der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer wies in einem Blogpost daraufhin, dass „die privatwirtschaftlich organisierte Deutsche Telekom vom ehemaligen Staatsunternehmen Deutsche Post das durch Steuergelder finanzierte Telefon- und Glasfasernetz erbt“, anstatt dies aber auszubauen, den „Mangel verwalten und zum Geschäftsmodell“ macht.

EDRi-Geschäftsführer Joe McNamee befürchtet, dass „diese rücksichtslosen Experimente weitergehen werden, wenn die EU-Kommission ihnen nicht Einhalt gebietet“. McNamee betont, dass mehr als 80 Verbraucher-, Internetnutzer- und Bürgerrechtsorganisationen, vertreten durch den Europäischen Verbraucherverband und EDRi, die Europäische Kommission auffordern, wie in den EU-Mitgliedstaaten einen rechtlichen Schutz gegen willkürliche Eingriffe in die Telekommunikation EU-weit einzuführen und die Netzneutralität gesetzlich zu verankern. Der netzpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, sieht es als eine der wichtigsten Aufgaben der Politik an, die für die Entwicklung eines freien und offenen Internets so elementare Netzneutralität gesetzlich abzusichern.

Erfolg ungewiss

Urs Mansmann nennt im c’t-Editorial den Plan der Telekom eine Milchmädchenrechnung: „Mit eigenen Diensten belastet sie das Netz, anschließend jammert sie über die hohe Last auf Selbigem. Um dem zu begegnen, drosselt sie dem Anwender, der die Dienste anderer Anbieter nutzt, den Anschluss.“ Am Ende werden die Verbraucher entscheiden, ob die Telekom mit dieser Strategie erfolgreich sein wird. Wenige Monate vor der Bundestagswahl und rund ein Jahr vor der Europawahl dieses Thema so in den Vordergrund zu stellen, könnte sich für die Telekom noch als strategischer Fehler erweisen.


Ab dem 2. Mai 2013 sind folgende Volumina in den Festnetztarifen integriert:

  • Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 16 Mbit/s: 75 GB
  • Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 50 Mbit/s: 200 GB
  • Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 100 Mbit/s: 300 GB
  • Tarife mit Geschwindigkeiten bis zu 200 Mbit/s: 400 GB

  • Teaserimage by Telekom.


    Image by Digitale Gesellschaft (CC BY-SA 2.0 )


    ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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    5 comments

    1. Leider muss ich Urs Mansmann bei seiner Aussage „Mit eigenen Diensten belastet sie das Netz,…“ ein wenig wiedersprechen, bzw. unterstelle ich ihm unzureichende Sachkenntnis.

      Bei Unicast-Verbindungen, wie sie beispielsweise beim schauen von youtube-Videos oder Maxdome zustande kommen, müssen die Datenpakete für jeden Kunden einzeln vom streamenden Server, durch das komplette Netz, bis zum Kunden transportiert werden.

      Das IPTV der Entertain-Anschlüsse belastest das Backbone der Telekom deutlich weniger, da die Inhalte über MultiCast-Verfahren wesentlich effizienter, bzw. dezentraler gestreamt werden können.

    2. Mir graust es ja schon davor das die Telekom damit Erfolg hat und andere Anbieter es ihr gleichtun. Es kam ja auch nur dank der Smartphones und Tablets erst soweit Quelle

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