Nokia 3310: Der Hype ist albern – ich will es trotzdem haben!

Es war wohl einer der merkwürdigsten Déjà-vu-Momente der neueren Zeit, als der finnische Smartphone-Anbieter HMD Global auf dem gerade zu Ende gegangenen Mobile World Congress ein neuartiges Modell des Nokia 3310 angekündigt hat. Es hat viel mehr Aufmerksamkeit erhalten als die drei Android-Geräte, die unter der Marke von Nokia vorgestellt wurden. Die gängigen Tech-Medien geben sich einstimmig hellauf begeistert. Das 3310 war eine Revolution im Handy-Bereich.

Und das stimmt natürlich: Als das Telefon Ende 2000 veröffentlicht wurde, war es schon etwas Besonderes. Kleiner und handlicher als sein Vorgänger, zudem mit einem gut lesbaren Display und einem sinnvoll strukturierten Menü ausgestattet, einigermaßen zeitlos hübsch (für Anfang-2000er-Verhältnisse zumindest) und quasi unkaputtbar.

Natürlich muss auch an die beiden wichtigsten Features erinnert werden: Der Akku hielt eine gute Woche – und das nicht nur, während es einfach herumlag, sondern in regelmäßiger Benutzung. Und natürlich wegen des ersten Lieblingsspiels der Digital Natives: Snake! Das minimalistische Pixel-Fangspiel eignete sich super, um langweilige Warteminuten an der Bushaltestelle zu überbrücken oder öde Schulstunden durchzustehen.

Wir sehen also, den Kultstatus hat das Nokia 3310 damals nicht umsonst erlangt. Aber brauchen wir im Zeitalter der Smartphones wirklich noch so ein eingeschränktes Gerät?

Nokia ist doch nicht tot

Nokia 3310 (adapted) (Image by Asim Bijarani [CC BY 2.0] via flickr)
Das Ur-Modell des Nokia 3310. Image by Asim Bijarani / Flickr

Wer die Meldungen hört, mag sich zunächst gewundert haben. Nokia? Waren die nicht pleite? Ganz recht. Nokia hatte schon in dem vorherigen Entwicklungsschritt, der geradezu abenteuerliche Designkreationen von Telefonen mit Klapp-, Schiebe- und Drehmodellen beinhaltete, den Anschluss an die aktuellen Trends verloren. Mit eher grobpixeligen Displays und etwas klotzigen Gehäusen entsprachen die Modelle nicht mehr dem Geist der Zeit, in dem jede Marke, von LG über Samsung bis hin zu Motorola, das iPhone zumindest ansatzweise nachzuahmen versuchte.

Nach der Übernahme der Telefonsparte durch Microsoft und die Windows Phones im Jahr 2014, die sich auch nur mäßig verkauften, schien der Finne dann endgültig Geschichte zu sein. Vor etwa einem Jahr wurde bekannt, dass der Handyhersteller HMD Global, der aus Nokia bzw. Microsofts Mobil-Sparte hervorging, Geräte unter der Marke Nokia entwickeln und produzieren will. Und da sind wir nun: Nokia ist zurück – und sie wollen wieder ganz groß einsteigen. Und warum auch nicht – Erfahrung haben sie ja genug.

Minimalismus ist King

Das neue Nokia erinnert zumindest optisch an das Millenniumsmodell. Neben den etwas knalligeren Farben Rot und Gelb kann der Purist das Telefon auch im altbekannten graublauen Look erstehen. Etwa die Hälfte der Vorderseite nimmt der etwas abgerundete Display ein. Unter diesem befinden sich, ganz oldschool, die althergebrachten Nummerntasten (kennt noch jemand T9?) und die Menübuttons.

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Das Telefon besitzt ein Farbdisplay, das auf den ersten Blick allerdings keiner weiteren Erwähnung wert ist. Hier hätte ich mir gewünscht, dass Nokia das volle Risiko eines meiner Meinung nach deutlich eleganteren Monochrom-Displays eingeht – wenn schon Retro, dann richtig! Aber den Schritt wollte man seinen Käufern dann wohl doch nicht zumuten. Auf der Gehäuserückseite wartet das Telefon mit einer eingebauten Kamera auf, die allerdings mit 2 Megapixel ein wenig schwach auf der Brust scheint. Naja, vielleicht spart es Akku. Der typische (und geklaute) „Nokia Tune“ darf natürlich nicht fehlen.

Ich bin noch unentschlossen, ob ich die piepsigen Midi-Klingeltöne vermisse. Ein Alleinstellungsmerkmal wäre es zumindest, allerdings schätze ich die Möglichkeit, auf mein Telefon jeden Song ziehen zu können, den ich als guten Klingelton erachte, durchaus. Andererseits: Welcher Handy-Nutzer unter 65 Jahren hat heute überhaupt noch in der Öffentlichkeit seine Klingeltöne lautgestellt? Für diese zivilisatorische Weiterentwicklung bin ich tatsächlich sehr dankbar. Insofern ist dieses Feature vielleicht dann doch verzichtbar.

Akku sei Dank

Auch das neue Nokia 3310 ist durchdacht verarbeitet. Das merkt man spätestens, wenn es an den Akku geht. Dieser ist nicht nur austauschbar, was allein aus Müllvermeidungsgründen schon recht löblich ist, sondern wird auch mit einem handelsüblichen MicroUSB-Anschluss geladen. Das minimiert erfreulicherweise auch überflüssige Kabelansammlungen mit Spezialsteckern.

Besonders lobenswert ist auch, dass das Ladegerät ohnehin ein paar mal öfter in der Schublade bleiben kann. Ein Telefon, das nicht so viele Features hat, benötigt auch nicht so viel Strom. Der Akku hält angeblich bei Gesprächen bis zu 22 Stunden durch. Das ist in einer Zeit, in der manch einer nervös wird, weil der Smartphone-Akku im Laufe des Tages radikal schwindet, durchaus beachtlich. Der Stand-By-Betrieb wird vom Hersteller mit einem knappen Monat angegeben – dieses Durchhaltevermögen klingt umso unglaublicher und muss wohl erst durch einen Langzeittest bewiesen werden.

Was kann es noch und wo will es hin?

Das neue Nokia 3310 ist kein klassisches „Dumbphone“, sondern weist ein paar smarte Features auf. So hat man natürlich Internetzugang, um die ganz wichtigen Nachrichten abzurufen. Wie viel Spaß der Up- und Download in einem mageren 2G-Netz macht, sei allerdings dahingestellt. Ein paar Apps, Musik- und Videofunktionen gibt es auch, die Speicherkarte kann man auswechseln und somit um bis zu 32 GB erweitern. Leider scheint Nokia auf eine meiner Lieblingsfunktionen verzichtete zu haben: Den Composer, mit dem man sich seine eigenen Klingeltöne erstellen konnte. Aber sei’s drum. Dafür ist das Telefon mit 49 Euro immerhin günstig.

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Fazit: Ist das Nokia 3310 den Hype wert?

Zugegeben: So wahnsinnig viel her macht das Gerät nun auch wieder nicht. Ob man sich mit der Gewöhnung an die heutigen Surfgeschwindigkeiten noch auf eine abgespeckte Software einlassen möchte, bleibt dahingestellt. Jeder, der schon einmal längere Zeit mit einem echt miesen WLAN arbeiten musste, wird wissen, was ich meine. Die Frage, wieso wir nicht von vornherein robustere, langlebigere Geräte ohne viel Schnickschnack herstellen, stellen sich viele der begeisterten Mitklatscher ebenfalls nicht. Aus einem Feature-Phone, das eigentlich nicht viel mehr kann als die Version von vor 17 Jahren, einen derartigen Hype zu kreieren, finde ich, gelinde gesagt, albern.

Man kann jedoch wohl davon ausgehen, dass jemand, der sich ein Feature-Phone zulegt, sich der eingeschränkten Funktionsweise voll bewusst ist und die gefühlte Offline-Zeit auch genießen kann. Das tut uns allen wahrscheinlich ab und zu ganz gut.

Mit einer Radio- und Wetterfunktion wird das Nokia dann auch zu einem ganz brauchbaren Outdoor-Handy, das für Festivals ebenso geeignet ist wie für längere Besuche am See. Passenderweise soll es auch im Sommer erscheinen, und ich muss gestehen: Allein der Gedanke, nicht ständig auf seine Taschen achten zu müssen, weil jemand das wertvolle Smartphone stibitzen könnte, hat durchaus etwas für sich.

Ach ja: Snake ist natürlich auch dabei. Es sieht zwar etwas anders aus, aber bisher habe ich noch keinen Aufschrei vernommen. Also scheint es den Testern wohl Spaß zu machen. Ob das Spiel auch für mich noch den gleichen Suchtfaktor hat wie früher unter der Schulbank, werde ich dann wohl auch mal im Sommer am See ausprobieren – und ihr lest es dann hier. Wenn ich danach wieder online bin.

Dieser Text erschien zuerst auf Androidpiloten.


Images by HMD Global

Image (adapted) „Nokia 3310“ by Asim Bijarani (CC BY 2.0)


 

ist freischaffende Autorin und Redakteurin bei den Netzpiloten. Sie ist Historikerin, Anglistin, Kinonerd, Podcasterin und Hörspielsprecherin. Seit das erste Modem ins Elternhaus einzog, treibt sie sich in allen möglichen Ecken des Internets herum. Sie twittert als @keksmadam und bloggt bei Die Gretchenfrage. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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