Occupy-Bewegung und Internet-Aktivismus

Gastpilot Tilman Otto Wagner ist Aktivist der österreichischen Occupy-Bewegung. In dem folgenden Text beschreibt er die Motive hinter der Bewegung und fordert uns auf, diese Gedanken im persönlichen Lebenskontext zu überdenken.

EIN NEUES BEWUSSTSEIN

Die wirtschaftliche Globalisierung wird zunehmend vom privaten Wirtschaftssektor bestimmt, was als Folge ein Dogma der Deregulierung und »Liberalisierung« der Märkte hat. Angesichts der verheerenden sozialen und ökologischen Folgen bedarf diese Entwicklung einer energischen Gegensteuerung. Wer oder was ist verantwortlich für die ökonomische Misere unserer Zeit? Falsch! Wer oder was kann und wird das System – wie wir es kennen – verändern, auf den Kopf stellen, revolutionieren? Das geeignete Medium dafür ist das Internet mit all seinen unbegrenzten Möglichkeiten, Daten und Informationen jenseits der staatlich regulierten und zensierten Kanäle weiterzuleiten. Internet-Aktivismus, Guerilla-Networking oder Social Media-Austausch sind Werkzeuge, von denen Aktivisten und Internet-Guerilla-Blogger Gebrauch machen. Täglich. Rund um die Uhr. Wie ein Uhrwerk, das nicht aufhört zu arbeiten. Millionen Daten und Informationen werden täglich über den Erdball verschickt, verschlüsselt und verändert. Welche Hintergründe haben diese Prozesse? Wer sind diejenigen, die solche Informationen produzieren und diese weiterleiten? Gibt es ein weltweit agierendes Datentransfer-Monopol, oder sind wir alle an diesem Informationsaustausch beteiligt? Hat die Geschichte ihre Spuren so tief eingeritzt, dass wir unser gesellschaftliches Pyramidensystem nicht mehr kippen können? Falsch! Wir sind die Geschichte. Und wie diese geschrieben wird, entscheiden wir selber…

Betrachten wir das Internet als eine digitale Zone. Diese Zone bedarf keiner moralischen oder ethischen Kontrolle. Oder doch? Falls es einen gemeinsamen Nenner im Internet gibt, dann ist es wahrscheinlich die Befriedigung unserer Neugierde. Denn Neugierde treibt die Menschen voran, ihre neue Gier zu befriedigen, ihren Durst nach Informationen zu stillen und immerfort am Puls der Zeit zu sein. Nach welchen Kriterien werden aber diese Informationen aufgerufen? Bestimmen Geschmack und individueller Stil die Auswahlkriterien, oder werden wir mit Werbung und Propaganda zugemüllt? Ist eine spirituelle Erlösung für den Menschen überhaupt noch möglich in einer Gesellschaft, welche Wirtschaftswachstum und Profitmaximierung zu ihren Parolen erklärt hat? Ist Profitgier angeboren? Mensch braucht nun einmal seinen materiellen Komfort. Mensch will nicht auf sein Auto verzichten, weil es Reisen verkürzt. Dabei zerstören wir unsere Erde durch giftige Abgase und führen Kriege wegen Erdölvorkommen. Mensch will nicht auf sein Flugzeug verzichten, weil es Zeit und Raum zusammenzieht. Dabei zerstören wir unsere Ozonschicht und die Gezeiten. Mensch will nicht auf sein Fernsehen verzichten, weil es unsere Einsamkeit lindert. Dabei vergiften wir unseren Geist mit Informationsmüll und Werbung.

Der Mensch will nicht auf sein Geld verzichten, weil es alles möglich macht. Dabei werden wir zu Sklaven dieser Geldscheine in einer Scheinwelt, die Wahres verspricht und Ware verkauft. Die Pyramide gerät ins Schwanken, weil Politiker und Banker sich von Profitgier und Selbstsucht verleiten lassen. Die Laster des modernen Menschen sind die Laster der Zeit. Leuchtende Bildschirme und kalte Schaufenster verzieren unseren Alltag. Sie versprechen Seelenheil und Befriedigung, und treiben uns dabei auseinander und zurück in die Isolation.
Und trotzdem gibt es eine mögliche Ordnung der Dinge jenseits der heutigen Werte-Systeme. Mit all den Occupy-Bewegungen weltweit und den Millionen Wutbürgern, die auf den Straßen der Welt demonstrieren, kann diese neue Ordnung der Dinge, dieses neue Bewusstsein Wirklichkeit werden.

Es gilt, visionäre Ideen und positive Energien aufzubringen, um auf diesem Informationskarussell mitfahren zu können. Durch Internet-Aktivismus und Occupy-Demonstrationen setzen wir Energien frei, die autonome Lebensdimensionen zulassen, wo Raum für neue Ideen jenseits der großen Irrtümer des 20. Jahrhunderts (Ideologien, Dogmatik, Diktaturen, Ismen etc.) entsteht.

Es gilt, jenen Mut aufzubringen, der von vielen Meinungsbildnern und Machtvertretern totgesprochen wird.

Es gilt, jene Solidarität aufzubringen, die jegliche Occupy-Bewegungen weltweit zusammenschweißen kann und die Menschen zu einem Bewusstsein der kosmogonischen Liebe und Zuversicht führt.

Es gilt, Internet-Aktivismus als neue Form der Kommunikation zu entdecken und diese einzubringen, um die polizeistaatlichen Überwachungsmechanismen zu dekonstruieren und den Begriff „Freiheit“ neu zu definieren.

Es gilt, seine spirituellen Energiefelder in das lebensbejahende Lebensgefühl hineinströmen zu lassen.

Es gilt, mittendrin und abseits der unendlichen Einkaufsmenschenmengen, Demonstrationen zu organisieren, Losungen in das kollektive Ohr zu brüllen, an Solidarität zu appellieren, um die Veränderung herbeizuführen, die uns aus der ökonomischen Misere und Irritation der Zeit hinausleitet, weiterleitet zu einem neuen Bewusstsein.

Dieses Bewusstsein keimt in der Occupy-Bewegung. Es keimt in uns allen, weil wir unserem natürlichen Instinkt folgen wollen und nicht gegeneinander, sondern miteinander unsere gemeinsame Zukunft gestalten wollen. Wer an diese Veränderung glaubt, ist bereits ein Teil davon. Jeder Mensch bringt sich aktiv in die Gestaltung der neuen Ideen ein. Jede Meinung ist gefragt. Jedes spirituelle Energiefeld ist wichtig, um jenseits des Spekulativen und Ausbeuterischen atmen und denken zu können. Menschen sind stärker als Grenzen. Durch uneingeschränkte Liebe quer durch die Welt können wir unsere demokratischen Grundrechte bewahren und den Frieden auf Erden gewährleisten. Bäume pflanzen und Bücher drucken, anstatt Waffenproduktion! Politiker müssen zu Gärtnern umerzogen werden, die unsere Mutter Erde als Garten pflegen. Wir dürfen nicht mit unseren Gefühlen Handel betreiben, sondern müssen diese Gefühle miteinander teilen. Das unendliche kollektive Bewusstsein der Menschen ist ein lebendiger Organismus. Er benötigt Liebe und Energie, um gedeihen zu können. POWER TO THE PEOPLE IN THE STREETS! OCCUPY WIEN
OCCUPY BERLIN
OCCUPY ZÜRICH

Autor: Tilman Otto Wagner, Jahrgang 1977, ist freischaffender Autor, Filmemacher, Journalist, Wissenschaftler und Aktivist (Occupy Vienna). Er lebt und arbeitet in Wien.

Die Netzpiloten nehmen immer mal wieder Gastpiloten mit an Bord, die über ihre Spezialthemen schreiben. Das kann dann ein Essay sein, ein Kommentar oder eine kleine Artikelserie.


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