Genomanalyse könnte Techniken zur Gesichtserkennung verändern

In Großbritannien macht die Auswertung von Material öffentlicher Überwachungskameras dank Genomanalyse zur Zeit starke Fortschritte. Die Genomanalyse umfasst die Untersuchung der Entwicklung von Genen im Laufe der Zeit durch die Untersuchung der aufgetretenen Mutationen. Warum dieses Verfahren auch wichtig für Überwachungstechniken ist, erklärt Jean-Christophe Nebel, Professor für Mustererkennung, an der Kingston-Universität. 

Als die Polizei in London vor Kurzem ein neues Gesichtserkennungssystem ausprobierte, machte sie einen beunruhigenden und peinlichen Fehler. Beim Notting Hill Karneval wurden etwa 35 falsche Übereinstimmungen zwischen bekannten Verdächtigen und Angehörigen der Menge gemacht. Eine Person wurde dabei „irrtümlich“ verhaftet.

Kamerabasierte Überwachungssysteme sollen eine sicherere Gesellschaft ermöglichen. Doch trotz jahrzehntelanger Entwicklung sind sie in der Regel nicht in der Lage, bestimmte Situationen so umzugehen, dass man ihre volle Tragweite überblickt. Während der Unruhen in London im Jahr 2011 trug beispielsweise die Gesichtserkennungssoftware nur zu einer Verhaftung von insgesamt 4.962 Personen bei.

Doch diese Art der Technologie ist anfällig. Das heisst, dass die visuelle Überwachung noch immer hauptsächlich auf den Menschen angewiesen ist, der in dunklen Räumen sitzen und stundenlange Kameraaufnahmen ansehen muss. Das ist völlig unzureichend, um die Menschen in einer Stadt zu schützen. Neueste Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass die Videoanalyse-Software dank der Software-Entwicklung in einem völlig anderen Bereich dramatisch verbessert werden könnte: Die Rede ist von der DNA-Sequenzanalyse. Die Software-Tools und Techniken könnten die automatisierte Überwachung umwandeln. Hier wird das Video als Szene betrachtet, die sich genauso entwickelt wie die DNA.

Analyse von Personengruppen oder Einzelpersonen immer noch schwierig

Seit die Metropolitan Police im Jahr 1960 in London die ersten CCTV-Kameras installiert hat, sind bis zu sechs Millionen Kameras in Großbritannien im Einsatz. Und die am Körper getragenen Kameras werden nun auch an die Grenzbeamten ausgegeben, so dass nicht nur noch mehr Videomaterial analysiert werden kann, sondern auch komplexere Daten durch die ständige Bewegung der Kamera.

Die automatische visuelle Überwachung beschränkt sich jedoch nach wie vor auf Aufgaben in relativ kontrollierter Umgebung. Sie kann Einbrüche erkennen, Menschenmassen zahlenmässig erfassen oder Kennzeichen erkennen. All diese Vorgänge können mittlerweile sehr genau durchgeführt werden. Aber die Analyse von Filmmaterial über Personengruppen oder die Identifizierung von Einzelpersonen in einer öffentlichen Straße ist unzuverlässig, denn die Aufnahmen im Freien sind von sehr unterschiedlicher Qualität und die Faktoren ändern sich ständig.

Um die automatisierte Videoanalyse zu verbessern, brauchen wir eine Software, die diese Variabilität beherrscht, anstatt sie als Unannehmlichkeit zu behandeln – eine grundlegende Änderung. Einer der wesentichen Bereiche, in dem oft mit großen Mengen sehr variabler Daten gearbeitet wird, ist die Genomik.

Genomanalyse kann bei Überwachung helfen

Im Jahr 2001 sind die drei Milliarden DNA-Codes des ersten menschlichen Genoms (der gesamte genetische Datensatz eines Menschen) analysiert worden. Seitdem ist die Produktion solcher genomischer Daten, also eine Genomanalyse, exponentiell angestiegen. Die schiere Menge dieser Daten und der Grad, in dem sie variieren können, bedeutet, dass riesige Mengen Geld und Ressourcen benötigt wurden. Vor allem, um spezielle Software und Rechenanlagen zu entwickeln, die damit umgehen können.

Heute ist es Wissenschaftlern möglich, relativ einfach auf die Genomanalyse zuzugreifen, um alle möglichen Dinge zu untersuchen. Von der Krankheitsbekämpfung über die Gestaltung personalisierter medizinischer Dienste bis hin zu den Geheimnissen der menschlichen Geschichte.

Die Genomanalyse umfasst die Untersuchung der Entwicklung von Genen im Laufe der Zeit durch die Untersuchung der aufgetretenen Mutationen. Dies ist ähnlich wie die Herausforderung in der kameragestützter Überwachung, die auf der Interpretation der Entwicklung einer Szene im Laufe der Zeit beruht. So nutzt man diese beispielsweise, um Fußgänger zu erkennen und zu verfolgen. Indem wir Unterschiede zwischen den Bildern eines Videos als Mutationen behandeln, können wir die Genomanalyse-Techniken auf Video anwenden.

Erste Tests waren vielversprechend. Meine Forschungsgruppe an der Kingston University hat zum ersten Mal gezeigt, dass Videos auch dann analysiert werden können, wenn sie von einer frei beweglichen Kamera aufgenommen wurden. Durch die Identifikation von Kamerabewegungen als Mutationen können diese kompensiert werden. So erscheint eine Szene wie von einer feststehenden Kamera gefilmt.

Kameragestützte Überwachung könnte Revolution erleben

Inzwischen haben Forscher der Universität Verona gezeigt, dass Bildverarbeitungsaufgaben so entschlüsselt werden können, dass genomische Standardwerkzeuge ausgenutzt werden können. Dies ist besonders wichtig, da ein solcher Ansatz die Kosten und den Zeitaufwand bei der Softwareentwicklung deutlich reduziert.

Wenn wir dies mit unserer Strategie verbinden, könnte die kameragestützte Überwachung revolutionär werden. Wenn das neue Erkennungs-Prinzip auf Grundlage der Genomanalyse eingeführt würde, könnte das kommende Jahrzehnt viel intelligentere Kameras liefern. In diesem Fall sollten wir uns besser daran gewöhnen, viel öfter auf Video gesehen zu werden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „Kamera“ by ollis_picture (CC0 Public Domain)


The Conversation

ist Professor für Informatik und Bioinformatik an der Fakultät für Naturwissenschaften, Technik und Informatik an der Kingston Universität in London. Er forscht in zwei Bereichen: Computer Vision und Bioinformatik. Hier entwickelt er neuartige Algorithmen zur Mustererkennung.


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