Die rückständige Internetnutzung der Deutschen

Ohne Vorbilder gibt es keine digitale Alltagstauglichkeit: Lehrer, Politiker, Führungskräfte und Kulturschaffende müssen den Einsatz von digitalen Werkzeugen vorleben. Rund 33.000 Menschen wurden in Deutschland zu ihrem Internetnutzungsverhalten befragt. Die Digital Index-Studie ist in den vergangenen Tagen schon ausführlich besprochen worden. Ein Ergebnis möchte ich noch einmal besonders hervorheben: Nur 27 Prozent der Umfrageteilnehmer stimmen der Aussage zu, dass für sie ein Wegfall des Internets sehr negative Auswirkungen auf das tägliches Leben hätte.

„Daraus lässt sich schließen, dass für die Mehrzahl der Deutschen das Internet nach wie vor nur ein gelegentlich zum Einsatz kommendes Mittel zum Zweck darstellt, und dass nach wie vor rigoros zwischen online und offline aka ‚Cyberspace vs. echtes Leben’ unterschieden wird“, schreibt Martin Weigert in einer ausführlichen Studien-Analyse.

Neuland-Protagonisten sind Bremsklötze

Verknöcherte Bildungsbürger, hierarchieversessene Firmenchefs, Kulturkritiker und Verleger könnten sich jetzt genüsslich zurücklehnen und rückwirkend der Neuland-These von Kanzlerin Angela Merkel applaudieren. Die Relevanz des Netzes werde überschätzt, das wahre Leben spiele sich nicht im Internet ab und das Geschwätz der Netzgurus sollte man nicht zu ernst nehmen. Aber so einfach ist die Angelegenheit nicht. Wir sollten uns eher die Frage stellen, warum digitale Dienste und Anwendungen so wenig alltagstauglich sind. Schließlich ist das ganze Netzgedöns ja kein Teufelswerk mehr.

Jeder kann mit ein wenig Übung sein eigenes Live-Fernsehen produzieren, eBooks schreiben, einen Blog aufsetzen, Echtzeit-Informationen über Apps kuratieren, Reisen online buchen, Bedienungsanleitungen über How to-Videos abrufen, Musik und Filme herunterladen, Fernsehserien über Netflix und Co. empfangen, Käufe via eBay tätigen und, und, und. Wenn Lehrer, Politiker, Führungskräfte in Unternehmen, Journalisten, Kulturschaffende und generell Meinungsbildner den Einsatz von digitalen Werkzeugen nicht vorleben und zum Bestandteil ihres Alltags machen, fehlt allgemein das Verständnis für die Umwälzungen, die wir in Medien, Politik, Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft derzeitig erleben – ob wir sie nun begrüßen oder verteufeln.

Digitale Lernkurven

Die Vorbildfunktion und der Alltagsnutzen sind entscheidend. Es liegt sicherlich nicht an den Schülern, dass nur 15 Prozent von ihnen täglich den Computer für die Schule nutzen dürfen. Dabei beschränkt sich der PC-Einsatz dann auf die Recherche im Internet und das Basteln von Powerpoint-Präsentationen. Die Entwicklung von coolen Social Media-Tools, elektronischer Musik oder gar Computerspielen steht eher nicht auf der Tagesordnung.

Gleiches gilt für Firmenchefs, die mit ihren Internet-Aversionen hausieren gehen und den Einsatz von Social Web-Angeboten für Zeitverschwendung halten. Oder für Politiker, die über Schutzrechte den Gestern-Verlegern das Überleben sichern wollen. Oder für Gewerkschafter, die das Arbeiten in der Computerwolke im Homeoffice als Selbstausbeutung werten.

Wir brauchen aber digitale Lernkurven im Alltag, um gut gerüstet zu sein für die vernetzte Ökonomie und Gesellschaft.

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Wir brauchen twitternde Chefs, die ihren Mitarbeitern zeigen, wie man das Social Web und die Digitalisierung zum Bestandteil der Arbeit machen kann. Für das Wissensmanagement, für die Beobachtung des Marktes, für die Verbesserung der Logistik, für den Dialog mit Kunden, für die Optimierung von Produkten und Diensten, für die Rekrutierung von neuen Mitarbeitern, für das Krisenmanagement, für die Einrichtung von dezentralen Arbeitsplätzen, für die Zufriedenheit der Belegschaft und für das Internet der Dinge.

Wir brauchen Lehrer in Schulen und Universitäten, die mit digitaler Expertise glänzen und sich von Bildungskonzepten aus der Kreidezeit verabschieden. Wir brauchen Politiker, die zur Entwicklung eines digitalen Masterplans in der Lage sind, um die Rahmenbedingungen für die digitale Transformation zu schaffen.

Anti-Digitale Protagonisten

Wir brauchen weniger liebwerteste Gichtlinge des Anti-Digitalen, die sich fast jeden Tag ganzseitig im Feuilleton der „FAZ“, in den Publikationen einer Miriam Meckel, eines Byung-Chul Han oder eines Roland Reuß austoben, so der Publizist Alexander Pschera: „Es ist der erklärte Auftrag der Aufklärung, neue Technologien zu nutzen und sozial zu strukturieren, um sie in den Dienst der Neugierde zu stellen. Das Netz ist eine Maschine des Staunens. Und als solches sollte es gesehen und diskutiert werden“, schreibt Pschera.

Neugierde und Experimentierfreude sollten die Antriebsfeder des Digitalen sein, dann klappt es auch mit der Alltagstauglichkeit.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.


Image (adapted) „Settimana Internet @ Roma – 25 giugno, Internet e Anziani“ by Codice Internet (CC BY-SA 2.0)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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