Jack Dorsey kann man nicht vorwerfen sein Feuer für neue Internetdienste verloren zu haben. Zusammen mit Biz Stone und Evan Williams schuf er den Mikroblogging-Dienst Twitter. Die meiste Zeit war Dorsey auch CEO, ehe er den Posten nur kurz vor der Übernahme durch Elon Musk ganz abtrat. Nur kurz nach der Übernahme kündigte Dorsey den dezentralen Twitter-Nachfolger Bluesky an, der gerade in Deutschland zur beliebtesten Twitter-Alternative aufstieg. Dessen Aufsichtsrat verließ Dorsey jedoch mit der Begründung, dass sie Bluesky in die falsche Richtung entwickelte. Dorsey rief sogar auf, lieber X zu verwenden. Im Juli 2025 stellte Dorsey nun Bitchat vor. Dabei handelt es sich um einen gemeinfreien und quelloffenen Instant Messenger, der auch ohne Internetverbindung funktioniert.
Diesmal also kein Mikroblogging, sondern eher ein Konkurrent für WhatsApp? Dafür gilt es für Bitchat dann doch ein paar Hürden zu überspringen. Wir erklären wie Bitchat funktioniert, wie die besagten Hürden aussehen und was das ganze mit der Corona-Warnapp zu tun hat.
Was ist Bitchat?
Der Name „Bitchat“ mag auf den ersten Blick provokant wirken, ist jedoch mehr als ein Gag: Die zugrunde liegende Philosophie ähnelt nämlich der des Bitcoin: Dezentralität, Privatsphäre und Kontrolle über die eigenen Daten. Die Chat-App ermöglicht allerdings auch die Zahlung mit Bitcoin via Bluetooth. Auch das funktioniert per Bitchat ganz ohne Internetverbindung auf dem eigenen Gerät.
Die App richtet sich bislang weniger an den Massenmarkt. Vielmehr versteht sich Bitchat als technisches Experiment, als Proof-of-Concept für eine neue Art der digitalen Kommunikation: lokal, anonym und resilient.
Die App selbst hält sich minimalistisch. Auf der sehr schmucklosen Seite prangt das Logo als ASCII-Art aus Schriftzeichen. Auch die App selbst erinnert mit grüner Schrift auf schwarzem Grund eher an Zeiten monochromer IBM-Rechner oder die Matrix-Filme, die man auch etwas mit Rebellion gegen das „System“ verbindet.
Doch trotz der minimalistischen Herangehensweise steckt hinter dem Projekt ein ernsthaftes Anliegen. Während sich digitale Infrastrukturen zunehmend als fragil oder manipulierbar erweisen, bietet Bitchat eine mögliche Alternative – für alle, die nicht nur online, sondern auch offline frei kommunizieren wollen.
Messenger ohne Internet? So funktioniert Bitchat
Bitchat unterscheidet sich grundlegend von herkömmlichen Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Signal – nicht nur im Design, sondern vor allem in der technischen Architektur. Die App basiert auf einem dezentralen Peer-to-Peer-Modell, das auf Bluetooth Low Energy (BLE) Mesh-Netzwerken aufbaut.
Das bedeutet: Bitchat funktioniert völlig ohne Internetverbindung, Mobilfunknetz oder zentrale Server. Nachrichten werden stattdessen direkt zwischen Geräten über Bluetooth gesendet – ähnlich wie bei einem digitalen Flüsterpost-System. Ähnlich funktionierte übrigens auch die Corona-Warnapp.
In einem BLE-Mesh übernehmen alle Geräte im Netzwerk eine doppelte Rolle: Sie sind sowohl Sender als auch Vermittler. Wenn also Nutzer A eine Nachricht an Nutzer D senden möchte, aber keine direkte Bluetooth-Verbindung besteht, kann die Nachricht über dazwischenliegende Geräte – etwa Nutzer B und C – „weitergereicht“ werden. Dieser Mechanismus wird als „Hopping“ bezeichnet. Die Reichweite einzelner Geräte ist zwar auf etwa 30–50 Meter beschränkt, doch durch mehrere Hops kann sich das Netzwerk effektiv über einige hundert Meter ausdehnen – besonders in dichter besiedelten Umgebungen.
Ein besonderes Feature ist der sogenannte Panikmodus: Wenn das App-Icon dreimal schnell hintereinander angetippt wird, werden alle gespeicherten Daten sofort gelöscht. Zudem können Nutzer Gruppen nur mit einem Passwort beitreten, Nachrichten mit Zeitverzögerung senden oder sogar sogenannte Dummy-Nachrichten verschicken, um Verläufe zu tarnen. Diese Maßnahmen zeigen, dass Bitchat auch in potenziell riskanten Situationen – etwa bei Demonstrationen oder in autoritären Staaten – einen hohen Schutzfaktor bieten soll. Die Kommunikation bleibt durch modernste Verschlüsselungsstandards außerdem vollständig Anonym.
Aktueller Entwicklungsstand von Bitchat
Obwohl Bitchat zunächst als spontanes Wochenendprojekt von Jack Dorsey entstanden ist, hat die App innerhalb kürzester Zeit beachtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Derzeit befindet sie sich noch in einer frühen Beta-Phase, steht jedoch bereits interessierten Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung – wenn auch mit einigen Einschränkungen.
Für iOS-Geräte startete die App zunächst auf Apples TestFlight-Plattform. Innerhalb weniger Tage wurde das von Apple festgelegte Limit von 10.000 Beta-Testern erreicht. Mittlerweile findet ihr die App aber auch im AppStore.
Für Android-Nutzer steht Bitchat zwar nicht im Google Play Store zur Verfügung, kann jedoch direkt über GitHub als APK-Datei heruntergeladen und manuell installiert werden. Diese offene Verfügbarkeit unterstreicht den Open-Source-Charakter des Projekts, erfordert jedoch technisches Grundverständnis – besonders für weniger versierte Nutzerinnen und Nutzer.
Aktuell scheint die Plattformkompatibilität noch nicht ganz fehlerfrei zu funktionieren. Zwar wurde Bitchat grundsätzlich so entwickelt, dass Kommunikation zwischen iOS- und Android-Geräten möglich sein sollte, doch Nutzer berichten von Verbindungsproblemen beim plattformübergreifenden Messaging. Insbesondere die Bluetooth-Kommunikation zwischen den Betriebssystemen funktioniert nicht wie erwartet. Dorsey und das Entwicklerteam haben bereits ein entsprechendes Update eingereicht, das diese Probleme beheben soll – die Freigabe durch den App Store steht jedoch noch aus.
Trotz dieser Kinderkrankheiten zeigt sich, dass Bitchat mehr als nur ein Prototyp ist. Die App wird aktiv weiterentwickelt, die Community auf GitHub wächst, und auch das Interesse aus der Tech-Szene bleibt hoch. Die nächsten Schritte werden entscheidend dafür sein, ob Bitchat über die Rolle eines experimentellen Nischenprojekts hinauswachsen kann – oder ob es als ambitionierter, aber begrenzter Versuch in Erinnerung bleibt, eine neue Form der Kommunikation zu etablieren.
Herausforderungen für Bitchat
So vielversprechend die Idee hinter Bitchat auch ist – als dezentraler Messenger, der ohne Internet auskommt – bringt sie auch eine Reihe technischer Herausforderungen mit sich. Diese betreffen sowohl die alltägliche Nutzbarkeit als auch sicherheitsrelevante und strukturelle Aspekte der App.
Ein zentrales Problem ist natürlich die Abhängigkeit von Netzwerkdichte und physischer Nähe. Da Bitchat auf Bluetooth-Mesh-Technologie basiert, funktioniert die Nachrichtenübertragung nur dann zuverlässig, wenn sich genug andere Nutzerinnen und Nutzer in Reichweite befinden. In dicht besiedelten städtischen Gebieten mag das kein großes Hindernis sein. In ländlichen Regionen oder bei geringer Verbreitung der App wird die Kommunikation jedoch schnell unzuverlässig oder sogar unmöglich. Die Bluetooth-Reichweite einzelner Geräte ist auf rund 30 bis 50 Meter begrenzt – ohne Zwischengeräte, die als Relais fungieren, bricht das Netzwerk zusammen.
Sollte derzeit eine Übertragung per Bluetooth Mesh nicht möglich sein, ist allerdings seit Version 1.2.0 auch die Übertragung von Privatnachrichten per Internet möglich. Solange die App nicht ausreichend verbreitet ist, kommt Bitchat wohl auch nicht um diese Alternative herum. Als Proof-of-Concept ist eine Nutzerzahl wie Whatsapp auch eher unrealistisch.
Hinzu kommen Sicherheitsbedenken, die trotz der starken Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht unbeachtet bleiben sollten. So wurde in der Open-Source-Community darauf hingewiesen, dass es derzeit keine technische Möglichkeit gibt, die Identität von Teilnehmern eindeutig zu verifizieren. Das bedeutet: Es ist prinzipiell möglich, sich als eine andere Person auszugeben – ein Risiko insbesondere in sensiblen Einsatzszenarien wie bei Aktivismus, Protesten oder in autoritären Staaten. Darüber hinaus ist bisher kein umfassendes externes Sicherheitsaudit durchgeführt worden, was für ein Kommunikations-Tool mit hohem Anspruch an Vertraulichkeit als Schwachstelle gilt.
Auch aus entwicklungsorganisatorischer Sicht gibt es Herausforderungen. Obwohl Bitchat vollständig quelloffen ist, erfolgt die Weiterentwicklung in erster Linie durch ein kleines Kernteam rund um Dorsey. Allerdings gibt es bereits einiges an Rückmeldungen aus der Community, die sicherlich auch in die Weiterentwicklung von Bitchat einfließen.
Chancen & Potenziale von Bitchat
Trotz ihrer offensichtlichen Schwächen birgt Bitchat ein enormes Potenzial – insbesondere in Anwendungsbereichen, in denen herkömmliche Kommunikationskanäle an ihre Grenzen stoßen. Ein besonders naheliegendes Einsatzfeld ist die Krisenkommunikation. In Situationen wie Naturkatastrophen, großflächigen Stromausfällen oder dem gezielten Abschalten des Internets durch autoritäre Regime kann Bitchat ein lebenswichtiger Kanal bleiben, um Informationen weiterzugeben oder Hilfe zu koordinieren – ganz ohne zentrale Infrastruktur. Die App knüpft damit an den Erfolg früherer Offline-Messenger wie FireChat oder Bridgefy an, die bei Protestbewegungen in Hongkong oder Myanmar gezielt genutzt wurden, um trotz staatlicher Zensur miteinander zu kommunizieren.
Auch im Hinblick auf Datenschutz und Privatsphäre setzt Bitchat neue Maßstäbe. Weder Telefonnummer, noch E-Mail oder Nutzerkonto sind nötig. Das ist ein klares Signal an all jene, die sich bewusst gegen die wachsende Überwachung im digitalen Raum positionieren möchten. In Kombination mit starker Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und Features wie selbstzerstörenden Nachrichten oder einem Panikmodus, der bei Bedarf alle Daten löscht, macht dies Bitchat zu einem wertvollen Werkzeug für Journalistinnen, Aktivisten, Whistleblower – oder einfach für Menschen, die ihre Kommunikation als Privatsache betrachten.
Ein weiteres zukunftsträchtiges Merkmal ist die radikale Dezentralität. Bitchat funktioniert vollständig ohne Server – keine zentrale Instanz kann Kommunikation analysieren, stoppen oder zensieren. Diese Unabhängigkeit ist nicht nur technisch interessant, sondern auch ideologisch bedeutsam. Sie fügt sich nahtlos ein in Jack Dorseys erklärtes Engagement für ein „offeneres“, nutzerkontrolliertes Internet – wie es auch in Projekten wie Bluesky oder Web5 zum Ausdruck kommt. Hinzu kommt der Open-Source-Charakter der App: Bitchat ist vollständig quelloffen und steht unter der „Unlicense“, einer besonders liberalen Lizenzform, die den Code zur freien Verwendung freigibt. Dadurch entsteht ein Raum für technologische Weiterentwicklung, für Community-Projekte, für Integrationen in bestehende Systeme oder völlig neue Einsatzzwecke. Erste experimentelle Interfaces – etwa ein textbasierter TUI(Text-based user interface)-Client für Desktops – zeigen, dass sich rund um Bitchat bereits eine aktive Entwickler-Szene bildet.
Fazit: Tech-Demo mit großem Potential
Mit Bitchat legt Jack Dorsey ein faszinierendes Experiment vor – eines, das den Nerv der Zeit trifft und grundlegende Fragen zur digitalen Kommunikation neu stellt: Was passiert, wenn das Internet ausfällt? Wem gehören unsere Daten wirklich? Und wie kommunizieren wir, wenn zentrale Plattformen zensieren oder versagen? Die Antwort liefert Bitchat in Form einer Messenger-App, die komplett offline funktioniert, ohne Registrierung, ohne zentrale Server, ohne Abhängigkeit von Konzernen oder Regierungen.
Natürlich ist das Projekt noch weit entfernt von einer massentauglichen Lösung. Die derzeitigen technischen Hürden – insbesondere die geringe Reichweite – zeigen deutlich, dass Bitchat sich noch in einem frühen Stadium befindet. Auch die Nutzererfahrung ist eher spartanisch und setzt ein gewisses technisches Verständnis voraus. Auch der monochrome grün-auf-schwarz-Look aus den 80ern schreit eher nach Tech-Nerds statt breiter Masse als Zielgruppe.
Gerade in Nischenanwendungen wie Krisengebieten, Protesten oder zensierten Regionen könnte Bitchat aber bereits heute ein wertvolles Werkzeug sein. Und langfristig lässt sich das Konzept weiterdenken: In Kombination mit Technologien wie Wi-Fi Direct, Solarstrom oder Mesh-Routern könnten sich völlig autonome Kommunikationsnetzwerke aufbauen lassen – unabhängig von Staat, Konzern oder Infrastruktur. In seiner jetzigen, sehr nüchternen Form sehe ich aber wenig Anreiz für den 08/15-Nutzer, sich auf die App einzulassen. Da bräuchte es vielleicht einen spielerischen Anreiz wie Pokémon GO, dass sich potentielle Nutzer unbedingt per Bluetooth miteinander verbinden wollen.
Image by Antoni Shkraba Studio via Pexels
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