Angst vor Googles Datenbrille

Die German Angst vor Dauerüberwachung ist wieder da. Aktuelles Opfer: Google und die neue Datenbrille Glass.

Noch ist die Datenbrille „Google Glass“ nicht auf dem Markt, da erklingen in Deutschland schon die Alarmglocken. Die staatlichen Datenschützer bringen sich in Position und warnen vor dem sogenannten „Lifelogging“, also dem unbemerkten Aufzeichnen von vertraulichen Gesprächen. Das Rechtssystem sei auf das Ausspähen der Umgebung nicht vorbereitet.

Selbst auf der Berliner Digitalkonferenz re:publica, die sich für neue technologische Entwicklungen zu begeistern pflegt, stößt das smarte Brillengestell des Suchmaschinen-Giganten auf Skepsis, wie mein Bloggercamp-Kollege Hannes Schleeh in einem Feldtest feststellte.

Drei Tage beglückte er das Nerd-Treffen mit einem Replikat und provozierte nicht nur wohlwollende Kommentare. So fragte der Chef der Gastronomie erbost: „Nimmst Du mich jetzt auf, oder was?“ Auf Twitter gab es eine Flut von Reaktionen. Hier nur drei Beispiele:

Ob den Leuten, die ihre Brille aufm Kopf tragen, bewusst ist, wie bescheuert das aussieht?

Habe jemandem die Brille aus dem Gesicht gerissen und zertreten. War leider gar kein Google Glass.

Irgendwie fühle ich immer ein Unbehagen, wenn mir jemand damit entgegenkommt, etwa als wäre es eine Röntgenbrille.

Angst vor der Stasi-Brille

Führte das Street-View-Projekt von Google zu höchst bizarren Abwehrkämpfen von Hausfassaden, Gartenzwergen im Vorgarten und Verpixelungs-Initiativen zur Unkenntlichmachung von Jägerzäunen, wird die Brillenvariante zu einem noch größeren Sturm der Empörung beitragen: Schlagzeilen wie „Stasi-Brille belästigt Otto Normalverbraucher“ oder „Spionage-Spielzeug für Stalker und Spanner“ sind vorprogrammiert. Liebwerteste Gichtlinge der „Bild“-Zeitung, für diese Schlagzeilen beantrage ich übrigens Leistungsschutzrecht.

Aber selbst Google-Chairman Eric Schmidt und Google-Ideas-Director Jared Cohen greifen in ihrem neuen Opus „Die Vernetzung der Welt“ zum Vokabular billiger Agentenfilme, um den Nutzen der Wunderbrille zu beschreiben. So könnte man in Kombination mit einer Armbanduhr frühzeitig Religionswächter oder Agenten der Geheimpolizei verorten. Kein Scherz, das haben die beiden Autoren so formuliert. Die Uhr kommuniziert über GPS-Daten den Standort ihres Trägers und die Datenbrille stellt fest, aus welcher Richtung ein Agent kommt. Mehr ist den Google-Topmanagern auf 441 Seiten nicht eingefallen. Kein Wunder, dass die Fantasie wuchert.

Dabei können sich Hobby-Spione schon heute im Online-Handel wesentlich wirksamer mit allen möglichen Geräten ausrüsten, um unbemerkt andere Menschen zu beobachten. Etwa Schlüsselanhänger mit Camcorder, SpyCam-Kugelschreiber oder Feuerzeuge mit winziger Webcam. Niemand scheint sich so richtig darüber zu echauffieren. Taucht in einem Produktnamen das Wort „Google“ auf, brennen in der öffentlichen Debatte schnell die Sicherungen durch. Insofern hat Sascha Lobo in seiner „Spiegel Online“-Kolumne sicherlich recht, wenn er Google vorwirft, nicht genügend über die Wirkung von Google Glass zu diskutieren.

Google versagt bei der Aufklärung

„Die technosoziale Faszination ist so groß, dass der Verkauf selbst kaum mehr als eine Preisfrage sein wird. Google Glass braucht kein Marketing, sondern Aufklärung.“ Im April 2012 stellte Google den Prototyp „Project Glass“ vor. Eine Brille mit eingebautem Display über einem Auge, das Informationen übermittelt, über gesprochene Kommandos Nachrichten verwaltet und über eine eingebaute Kamera Bilder und Videos aufnehmen kann.

Das Schlagwort „Augmented Reality“ bezeichnet dabei die Verschmelzung der Welten, der digitalen mit der nichtdigitalen, so Lobo:

Es handelt sich dabei um eine derzeit dramatisch unterschätzte Spielart der Technologie – insbesondere, was die Diskussion um die Wirkung angeht. Augmented Reality steht nämlich von außen betrachtet für das Gefühl, dem Internet nicht mehr ausweichen zu können, wenn man den Rechner zuklappt.

Vom Nutzen der elektronischen Assistenten

Von zivilen und vernünftigen Anwendungen wird leider nur wenig gesprochen. Etwa bei Ferndiagnosen. Über das dritte Auge kann ein Tierarzt kontaktiert werden und einem Bauern, der mit der Netz-Brille das Tier untersucht, erste Hinweise über das Krankheitsbild geben.

Bei der Analyse eines Tatorts folgt das dritte Auge dem Sichtfeld des Inspekteurs und fängt Informationen ein, die dem Betrachter vielleicht gar nicht so richtig aufgefallen sind. Phänomen: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Zudem können die Filmaufnahmen live übertragen und von weiteren Inspekteuren am Bildschirm verfolgt werden. Auch die nachträgliche Bearbeitung der Aufzeichnungen ergänzt die eigenen Sinneseindrücke, die von Störquellen beeinträchtigt sein können.

Gleiches gilt für die Wartung von Flugzeugen. Mit dem dritten Auge – gepaart mit Sprachsteuerung – hat man die Hände frei, muss nicht ständig seine Arbeit wegen Schreibarbeiten unterbrechen, protokolliert über Sprache die Arbeitsschritte und reduziert die Fehlerquellen.

In Kombination mit Minicomputern, die man als ständige Begleiter mit sich führt, werde die Sprachsteuerung erst voll zur Wirkung kommen, so die Überzeugung von Mind-Business-Unternehmensberater und Smart-Service-Blogger Bernhard Steimel:

Erst dann kann man von einem elektronischen Assistenten sprechen, der meinen Alltag erleichtert, mich vor der Informationsüberflutung bewahrt und sich auf meine Bedürfnisse einstellt.

Schon vor einigen Jahren entwickelte der Grazer Informatikprofessor und Science-Fiction-Autor Hermann Maurer interessante Szenarios für Brillen, die mit Mikrofon, Kamera, Stereoton und GPS-System ausgestattet sind. Weitere Sensoren ermitteln die Kopfposition des Brillenträgers, inklusive Blickrichtung und Kopfneigung, sodass der Minicomputer stets weiß, wohin der Benutzer gerade sieht. Der „Brillen PC“ kombiniert Mobiltelefon, Fotoapparat sowie Videokamera und ist ständig mit dem Internet verbunden. Die Eingabe von Informationen über Tastatur und Mausklicks wird ersetzt durch Sprach- und Gestenerkennung.

Beim Wearable Computing – also tragbarer Datenverarbeitung – geht es weniger darum, medienwirksame Cyborg-Fantasien oder Jacken mit eingebautem MP3-Player zu realisieren, sondern langfristig dem Menschen in persönlicher Weise zu dienen: Seinen Gesundheitszustand zu überwachen, seine Sinne zu schärfen und ihn mit Informationen zu versorgen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Damit der Nutzen von elektronischen Assistenten (ich wollte schon Agenten schreiben) nicht vollends vor die Hunde geht, sollten potenzielle Anwender von intelligenten Gadgets schon jetzt über neue Formen der Höflichkeit nachdenken, fordert der Blogger Gerhard Schröder im ichsagmal.com-Interview.

Wir können darauf warten, was der Gesetzgeber zu Google Glass sagt. Besser wäre es, als Zivilgesellschaft über freiwillige Regeln nachzudenken. Wer bei der Blogparade bis Ende Mai mitmachen möchte, findet hier die nötigen Infos: Glassiquette statt Glasshole.

Mehr zu Themen des Netzes und dem digitalen Wandel gibt es auch vom European-Kolumnisten Lars Mensel in seinem aktuellen Artikel „Der Getriebene: Facebook Home und die Zukunft des Netzwerkes„.


Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf The European.


 


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , ,

2 comments

  1. Die Ängste beruhen zu einem Gutteil auch darauf, dass die Dialektik der Brille nicht erkannt wird. Der Beobachter zeichnet nämlich keineswegs „heimlich“ etwas auf, sondern ausschließlich sichtbar und dabei dokumentieren seine Aufzeichnungen auch seinen Gebrauch von der Brille, und zwar hoch exakt. Es ist z.B. kein Problem, einen GG-Clip, der bei youtube hoch geladen werden würde, sofort dem entsprechenden „Dokumentaristen“ zuzuordnen. Das ist wohl auch der Grund, warum Google darauf besteht, das die Brille niemand anders nutzen darf als die dafür jeweils registrierte Person. Damit sind eigentlich alle „gefährlichen“ Voyeurszwecke ziemlich gut unterbunden – und wer wirklich heimlich etwas aufzeichnen will, der findet dafür ja schon viel bessere Geräte, z.B. Knopflochkameras, die man sich unter die Sportkappe klebt oder so. Jedenfalls, wer meint, er müsste jemanden die Googlebrille von der Nase schlagen, hat’s einfach nicht begriffen, wie wenig er zu befürchten hat. Das „Herumspionieren“ und Herumvoyeurieren“ braucht kein 600-Euro Gerät, das zudem ausgerechnet für alle sichtbar im Gesicht getragen wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert