Die Denkfallen der Industrie-4.0-Initiative

Die Industrie-4.0-Initiative steckt in einer Denkfalle: Wenn der deutsche Mittelstand nicht entscheidende Entwicklungen verschlafen will, braucht es mehr Team-Spirit und weniger Normierungswahn. Viele Unternehmen haben nach einer Mind-Business-Studie noch nicht den Einstieg in den digitalen Wandel gefunden. Es fehlt die notwendige Expertise, um die Chancen digitaler Technologien für das eigene Geschäft zu erkennen, zu bewerten und zu erschließen. Fehlender Leidensdruck in den Chefetagen verhindert oder verschleppt den Wandel, der von der Organisation bereits gesehen und gewünscht werde. Es mangelt dabei nicht an der Wahrnehmung der Umbrüche. Die Führungskräfte der deutschen Wirtschaft scheinen jedoch von schwerfälligen und komplexen Business-Systemen und -Prozessen „paralysiert“ zu sein.

Es liegt vielleicht an den klassischen hierarchischen Führungsmodellen, die in einer vernetzten Ökonomie nicht mehr so richtig greifen: „Je stärker wir in das digitale Zeitalter kommen, umso stärker werden Unternehmen die Notwendigkeit spüren, Kommunikationsverantwortung und damit Macht zu dezentralisieren. Die Abneigung dem Neuen gegenüber, vor allem im Mittelbau deutscher Unternehmen, ist insofern verständlich, weil es gerade für sie ein mehr an Arbeit bedeutet. Die meisten Firmen werden den Transformationsprozess nur dann schaffen können, wenn sie Personal an wichtigen Stellen austauschen oder den Generationswechsel gestalten„, so die Empfehlung der Studienautoren.

Mehr Freiraum für Querdenker

Den Querdenkern müsse mehr Anerkennung entgegengebracht werden – sie brauchen Freiräume in der Organisation: „Wer das Nutzenversprechen für die nächste Ära seines Geschäfts entwickeln will, der darf nicht linear denken, sondern muss wie Internet-Start-ups denken lernen. Viele Unternehmen machten, als sie die Notwendigkeit zur Digitalisierung der Geschäftsmodelle erkannten, den Fehler, ,analogen Wein in digitalen Schläuchen‘ zu verkaufen„, kritisieren die Mind-Business-Analysten.

Die Gefahren einer unsicheren digitalen Zukunft könne man verringern, indem digitale Strategien von Internet-Start-ups Teil des Szenario-Prozesses werden: „Das Internet im Allgemeinen und die Digitalisierung im Besonderen führen dazu, dass ganze Branchen durch Software neu gestaltet werden. Erfahrungswerte und das Wissen über das Bewährte dürfen daher nicht als Wegweiser für die digitale Transformation herangezogen werden. Denn immer dann, wenn Produkte und Dienstleistungen zu Software werden, verlieren sie ihre physikalischen Eigenschaften und Beschränkungen.

Die Geschäftserfolge der Vergangenheit würden dabei wie Denkfallen wirken. Wer ausschließlich wie eine Hardware-Company denkt, verpasse neue Chancen, weil man ähnlich wie Best Buy versucht, die Neuentwicklung zu bremsen, indem man Störsender in den Verkaufsflächen installiert, anstatt wie in den Apple Stores neue Zahlverfahren per Handy einzuführen, um den vernetzten Kunden besser zu bedienen.

Internet der Industrie kommt nicht voran

Eine Erkenntnis bleibt in jedem Fall: Man kann technologische Entwicklung nicht stoppen, man kann sie nur zu seinen Gunsten nutzen„, resümieren die Analysten von Mind Business. Die von den Beratern dargestellte Gemengelage passt zu den Ungereimtheiten bei den diversen Industrie-4.0-Aktivitäten von Bundesregierung, Produktionsfirmen und Spitzenverbände wie die Faust aufs Auge.

In den vergangenen Tagen wurde deutlich, dass wir trotz hektischem Aktionismus von Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Wissenschaftsministerin Johanna Wanka auch beim „Internet der Industrie“ den Wettbewerb mit den USA verlieren könnten, kritisiert Netskill-Geschäftsführer Winfried Felser in der Sendung „Kompetenzgespräche“.

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Dass zugleich deutsche Industrie-Ikonen ihre neue Liebe zum amerikanischen Wettbewerber, dem Industrial Internet Consortium, in der Breite entdecken, ist der eigentlich wichtigste Warnindikator dafür, dass der bisherige deutsche Weg 4.0 auf einem Abstellgleis enden kann„, so Felser.

Industrie 4.0 bedeutet nicht nur Roboter und RFID-Chips, sondern vor allem bessere Produkte, Services und Prozesse durch Zusammenarbeit in Produktionsnetzwerken. „Wir arbeiten uns in Gremien jahrelang an Standards und Normungen ab, klopfen uns gegenseitig auf die Schulter und verlieren dabei die Marktdynamik aus dem Auge„, weiß Felser.

Karl Tröger von der PSI AG, der in fast allen Industrie-4.0-Kreisen mitwirkt, hält die Organisationsprobleme für beschämend. „Wir bekommen es nicht hin, solche Initiativen auf die Straße zu bringen. Man braucht nicht den allumfassenden Super-Standard, sondern Beispiele und Ideen. Jeder zieht sich auf seine persönlichen ökonomischen Interessen zurück, statt etwas im Sinne der Gesamtheit zu tun„, betont Tröger im Kompetenzgespräch.

Industrie-4.0-Bürokraten

Es werden enorme Potenziale durch die Umsetzung der hinter Industrie 4.0 stehenden Ideen erwartet. Dennoch sei der Bekanntheitsgrad der entsprechenden Konzepte in Unternehmen eher gering. „Diese Diskrepanz zwischen der Beschreibung der wirtschaftlichen Potenziale und der Wahrnehmung in der Industrie muss überwunden werden. Das ‚Team Deutschland‘ braucht einen entsprechenden Team-Spirit„, fordert Tröger.

Industrie 4.0 sei vor allem eine dezentral-intelligente, vernetzte und kooperative Industrie. „Technik ist dafür nur der Enabler„, erklärt Felser. Wir machen es in Deutschland schön kompliziert, statt komplex zu denken und einfache Lösungen auf dem Markt zu etablieren. Das macht das IIC besser und das liegt vor allem an der Führungsfigur. Richard Mark Soley ist ein Antreiber, Marktkenner und exzellenter Redner im Unterschied zu den Industrie-4.0-Bürokraten in deutschen Spitzenverbänden und Ministerien, erklärt ein Branchenkenner. Soley gibt der amerikanischen Initiative ein Gesicht. Die liebwertesten 4.0-Gichtlinge in Deutschland verstecken sich lieber hinter Arbeitskreisen und Normungsgremien. Es reicht nicht aus, wenn Verbandsvertreter des Maschinenbaus, der Elektroindustrie und der Informationstechnologie, das Bundeswirtschaftsministerium sowie das
Bundesministerium für Bildung und Forschung mit dem IIC sprechen. Sie sollten international auch das nötige Sendungsbewusstsein entwickeln.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.


Image (adapted) „Industrie“ by Huskyherz (CC0 Public Domain)

ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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3 comments

  1. Ist doch alles prima. Könnte gar nicht besser sein. Wir schotten uns einfach in DE gegen diesen ganzen technischen Blödsinn ab, kappen die Internetleitungen (Da ist ja eh bald kein Platz mehr,irgendwann sind die Festplattenbestimmt voll) und dann ist wieder gut.
    (Digitale) Kleinstaaterei gab es doch im Mittelalter auch, und hat gut funktioniert.
    Wenn wir das geschafft haben, werden noch die paar Unternehmen, die diesen Digitalen Wandel (man könnte es auch techologischen Fortschritt nennen – aber das klingt dt. Ingenieuren zu vertraut – zur „Digitalsteuer“ (70% des digital erzielten Umsatzes) verdonnert, und alles ist gut.

    Ernsthaft: Wir werden in den nächsten 3-5 Jahren erleben, dass eine digitale 2-klassen Unternehmenswelt entsteht. Die, die dieses digitale Teufelszeug einfach mal ausprobieren – und die anderen. In 5-8 Jahren wissen wir dann wer das Rennen gewinnt. Vorher suche ich mir noch einen (englischen) Buchmacher, beidem ich Wetten abgeben kann, welche Unternehmenswelt dabei gewinnt. Wobei ich fürchte, dass die Quoten schlecht sind. Das Ergebnis ist zu leicht vorhersagbar.

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