Liquide Demokratie ist unglaublich anstrengend – aber sie lohnt sich, denn im Schwarm gibt es wertvolles Expertenwissen. Wie groß der Widerstand gegen diese Art der Entscheidungsfindung ist, sieht man beim Blick auf die Transparenz-Debatte.
„Zeit“-Autorin Susanne Gaschke sieht die Piraten als ideologische Partei. Wer auf elektronisch verbundene Schwarmintelligenz setzt, zerstöre die repräsentative Demokratie. Liquide Demokratie ist für sie ein Albtraum. Man brauche doch auch Antworten und die beruhen auf Interessen, Werten, Konflikten und Lebensstilen. Deshalb sei es Aufgabe professioneller Politik, zwischen all diesen erträglichen Kompromissen zu vermitteln. „Die richtige Welt ist ein unordentlicher Ort und mit technikfixiertem Objektivismus nicht in den Griff zu kriegen.“
Forscher an der ETH Zürich meinen, einen Nachweis erbracht zu haben, dass sozialer Einfluss die Intelligenz der Vielen (Schwarmintelligenz) verschlechtern kann. Jan Lorenz und Heiko Rauhut extrapolieren aus ihren Studien die These, dass die Finanzkrise ein besonders gutes Beispiel dafür sei, dass Massenentscheidungen zu einem Fiasko führen können. Denn dort hätten sich viele unter dem Einfluß fremder Entscheidungen in die „falsche“ Richtung beeinflussen lassen.
Der locus classicus des Begriffs kommt aus England, wo Anfang des 20. Jahrhunderts Francis Galton alle Besucher einer Viehzuchtversteigerung die Viecher per Karte nach Gewicht und Größe schätzen ließ und zu seiner Verwunderung feststellte, dass im Mittel die Schätzungen näher am richtigen Wert lagen als die einzelnen Schätzungen für sich genommen. Damit war der Beweis erbracht, dass die Masse klüger war als das Individuum.
Der weise Leser wird merken, dass hier das Mittel des Grundgesamts aller Schätzungen verglichen wird mit zufälligen einzelnen Bewertungen. Analog könnte ich sagen, ich kann eine bessere Aussage über die Klimazone eines mir unbekannten Ortes machen, wenn ich ein Jahresmittel der Temperatur habe als wenn ich einen beliebigen Wert aus dem Jahr nehme. Natürlich ist der Mittelwert aussagekräftiger, weil die Extremwerte wegfallen, was als Fehlerkorrektur zu bewerten ist. Bei einem einzelnen Wert kann ich gar keine Fehlerkorrektur ausführen…