Ökonomie gone wrong: Wie Vulgärkapitalisten semantisch und faktisch die Welt dominieren

Der Erfolg „exponentieller Organisationen“ wie Facebook und Youtube erklärt sich nach Ansicht des Next Act-Konferenzmachers Winfried Felser ebenso wenig mit alten Vorstellungen von Mensch und Ökonomie wie das Problem innerlicher Kündigungen, wie es von Gallup & Co. dokumentiert wird, die eben deutlich machen, dass der Mensch kein Homo Oeconomicus ist, der deterministisch auf Basis von Kontrakten perfekt funktioniert.

Was könnte die Alternative sein? Felser verweist auf eine „Ökonomie als Wissenschaft der leidenschaftlichen Interessen“, die von Bruno Latour und Vincent Antonin Lépinay mit Bezugnahme auf den Kriminologen, Soziologen und Sozialpsychologen Gabriel Tarde beschrieben wird. Vielleicht seien es ja gar nicht der Unterbau und die Produktionsverhältnisse, die die Ökonomie und die Gesellschaft bestimmen, sondern die Ideen, der „Überbau“  – wie es der Suhrkamp-Verlag in der Vorstellung des Buches auf der eigenen Website formuliert.

Leidenschaftliche Ideen jenseits des Homo Oeconomicus

Nichts sei in dieser Ökonomie objektiv, alles ist subjektiv. „Die Ideen und die Leidenschaft für Ideen oder auch der schöpferisch neu entstehende Sinn regieren die Welt. Mit Tarde stellen Bruno Latour und Vincent Antonin Lépinay natürlich Karl Marx, aber auch Feuerbach und die ‚Materialisten‘ und ‚Rationalisten‘ in den Schulen des Ökonomischen von den Füßen auf den Kopf. Dass der Soziologe und Philosoph Latour der Begründer der Akteurs-Netzwerk-Theorie ist, ist ebenso wenig verwunderlich wie sein Engagement für die Erforschung der kreativen Wissenschaft. Beides gehört als Erklärungsansatz und Anwendungsbereich in diesen Kontext einer neuen Logik, die auch Leidenschaften kennt“, so Felser in einem Beitrag für das New Management-Format des Haufe-Verlags.

Der unermüdliche Netzwerker Felser bringt den Deloitte-Vordenker John Hagel ins Spiel, der den narrativen Faktor für die Ökonomie betont: Erzählungen liefern den Kontext und das gemeinsame Ziel, das andere in die Bewegung hineinzieht und sie motiviert und konzentriert hält, während sie mit den unzähligen unerwarteten Hindernissen umgehen, die einer Veränderung im Weg stehen.

Wie passen Macht, Marktwirtschaft und starker Staat zusammen?

Nun gilt das für positive Antriebe, die sich vom mechanistischen Weltbild des Homo Oeconomicus wegbewegen wollen, aber leider auch für die vorherrschende ökonomischen Lehre. Wie passt beispielsweise die liberale Orientierung der Marktwirtschaftler zu den bigotten Zielen von Donald Trump und der CSU? In der Sicherheitspolitik nach innen und außen reden die Vulgär-Rechten dem starken Staat das Wort, ziehen alternative Lebensmodelle in den Schmutz, positionieren sich gegen Abtreibungen und plädieren in der Wirtschaftspolitik für weniger Regulierung, sinkende Steuersätze und einem geringeren Staatsanteil in der Volkswirtschaft.

Laptop, Lederhosen, Überwachungsstaat und das Strenger-Vater-Modell

Also heisst es: Laptop und Lederhose oder Wirtschaftsförderung und Überwachungsstaat. George Lakoff, Professor für kognitive Wissenschaft und Linguistik an der University of California, bringt zwei gegensätzliche Familienmodelle in die Diskussion, um diese politischen Widersprüche aufzulösen: das konservative und in zum Teil reaktionäre Familienmodell mit einer Strenger-Vater-Moral und das progressive Familienmodell mit einer Fürsorgliche-Eltern-Moral. Dahinter verbergen sich unterschiedliche Weltsichten und ein metaphorisches Denken über Staat und Gesellschaft.

Die Strenger-Vater-Moral passt zu den Gesängen der konservativen und national-liberalen Protagonisten wie die Faust aufs Auge. Dahinter steckt eine gehörige Portion Sozialdarwinismus – in moderner Form wird auch vom Digitaldarwinismus gesprochen. Es ist die populäre Vorstellung von einer Gesellschaft, die sich durch Wettbewerb optimiert.

Nur die Stärksten überleben?

Nur die stärksten Menschen setzen sich an die Spitze des Systems. Dabei besagt die Evolutionstheorie etwas völlig anderes: Charles Darwin sprach von „survival of the fittest“ – also dem Überleben der Passenden, derjenigen, die sich am Besten anpassen können. Es geht um ökologische Nischen und nicht um das vulgärkapitalistische Credo von Donald Trump: „Nur der Stärkste gewinnt“.

Die Theorie von Darwin hat aber nicht das Geringste mit Eigenverdienst zu tun. „Es hat zu tun mit ökologischen Nischen und damit, per Zufall am besten in diese Nischen zu passen“, erläutert Lakoff.

Mythos des freien Marktes

Dennoch dominiert der Mythos vom Markt als natürlicher Gewalt – also das, was Adam Smith als Begründer der marktwirtschaftlichen Theorie im 18. Jahrhundert an Stecknadel-Weisheiten in die Welt gesetzt hat. Wenn jeder seinen eigenen Profit anstrebt, dann wird der Profit aller maximiert – also durch die unsichtbare Hand. So eine Art Naturgesetz. Dieser freie Markt ist aber eine Erfindung. Er ist eine Metapher. Alle Märkte sind in Wirklichkeit konstruiert. „Sie sind gemacht von Menschenhand. Und sie können geändert werden. Und Progressive sollten öffentlich darüber sprechen, dass der freie Markt ein Mythos ist, dass er nur frei innerhalb bestimmter Regeln ist, die ihn strukturieren, und dass diese Regeln geändert werden können“, so Lakoff. Wer die Metapher vom freien Markt akzeptiert, begibt sich auf die Leimspur der Rechten: Progressive im Sinne des Modells von Lakoff werden zu Kräften abgekanzelt, die den Markt durch Regulierungen unfrei machen wollen.

Die semantischen Tricks von Lindner & Co.

Das sind semantische Tricks, die man in jeder Rede von FDP-Chef Christian Lindner serviert bekommt. Problem: Die Befürworter des progressiven Lebensmodells, die sich um andere Menschen sorgen und nicht gegen andere Menschen behaupten, lassen sich immer wieder auf dieses sprachliche Glatteis leiten. Man unterschätzt, dass Frames, Metaphern und Sprachbilder einen Gutteil unseres Denkens bestimmen.

Informationen, die im Widerspruch zu gedanklichen Frames und zum eigenen Deutungsrahmen stehen, werden ignoriert, betont Lakoff. Als Beispiel verweist er auf die Bezeichnung „Steuererleichterung“. Das so harmlose Wort aus den Think Tank-Stuben der Rechten suggeriert, dass wir alle künstliche Lasten tragen müssen – also Steuern (zu den Rechten zähle ich übrigens auch die so genannten Libertären, die den Staat generell verfluchen).

Wer für „Steuererleichterungen“ eintritt, ist jemand, der für Bürgerinnen und Bürger etwas Gutes vollbringt. Man befreit Menschen von Lasten. Im Umkehrschluss sind Steuerbefürworter politische Kräfte, die anderen schaden wollen. Eine ziemlich perfide und zynische Strategie, die selbst bei der Arbeiterschaft in den ältesten und größten Industrieregionen der USA fruchtet – den Rust Belt-Bundesstaaten.

Vulgärkapitalisten als Trittbrettfahrer

„Dieser Frame blendet die Tatsache aus, dass die wohlhabenden Menschen in unserer Gesellschaft zu einem großen Teil das gemeinsame Vermögen der Gesellschaft nutzen, um ihren Wohlstand zu begründen und zu mehren“, sagt der Wissenschaftler Lakoff. Etwa Immobilien-Spekulanten in Bonn, die auf einen weiteren Anstieg der Bodenpreise setzen und Luxussanierungen in der Südstadt betreiben. Ohne die von der Allgemeinheit finanzierte Infrastruktur wären die Bodenpreis-Steigerungen aber gar nicht möglich. Entsprechend sollten die Grundsteuern für all jene drastisch erhöht werden, die mit der Knappheit von Liegenschaften in Ballungsräumen satte und unappetitliche Renditen einstreichen.

Keine Angst, liebste Reihenhaus-Fraktion, man könnte das am Wert der Immobilien festmachen. Welchen Frame sollten die Progressiven besetzen, um nicht mehr der rechten Strenger-Vater-Moral zu folgen? „Man kann Frames schaffen, in denen Steuern nicht als Abgabe unseres privaten Vermögens an den Staat begriffen werden, sondern als Rückerstattung dessen, was die Gesellschaft uns im Vorwege zur Verfügung gestellt hat“, so Lakoff. Beispielsweise das von Steuergeldern aufgebaute Internet.

Wer versucht, etwas auf Kosten der Gemeinschaft umsonst zu bekommen?

Andreas Zeuch von den Unternehmensdemokraten bringt das Phänomen der externalisierten Kosten ins Gespräch.

 

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Wir könnten die Externalisierung von Kosten als einen unlauteren Wettbewerb verstehen und bestrafen. Wenn Unternehmen eigene Kosten sozialisieren und Gewinne privatisieren, wie die Energiekonzerne bei der Handhabung des Atommülls, sollten sie mit dem Wettbewerbsrecht zur Rechenschaft gezogen werden. Will man solche Fakten in der öffentlichen Debatte nach vorne bringen, muss man einen Frame erwecken, in dem diese Fakten bedeutsam sind, empfiehlt Lakoff. Man darf dabei aber nicht die politischen Frames des Gegners übernehmen.

Das Notiz-Amt empfiehlt zur Vertiefung des Themas das Buch von George Lakoff und Elisabeth Wehling „Auf leisen Sohlen ins Gehirn – Politische Sprache und ihre heimliche Macht“, erschienen im Carl-Auer-Verlag.

ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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