Fallout 76 und Anthem: Die Großen versagen bei „Game as a Service“

Der Blick auf den Metascore sagt alles. Ein Presse-Schnitt von 6.0 Punkten und ein User-Score von derzeit 4.4 Punkten werden nicht dem Hype gerecht, der um das Spiel Anthem gemacht wurde. Eine desaströse Bilanz, vor allem wenn man auf die glänzende Historie des Entwicklers Bioware blickt. Dieser ist aber nicht gänzlich allein mit dieser Misere. Bethesda hat sich mit ihrem Multiplayer-Ableger Fallout 76 noch tiefer in die Nesseln gesetzt.

Beiden Spielen ist zu eigen, dass sie auf ein Game as a Service-Modell setzen. Dabei wird das Spiel auch nach Release mit neuen Inhalten erweitert. Ein beliebtes Modell aus der Indie-Szene, das aber für die großen Studios nicht wirklich zu funktionieren scheint. Schauen wir uns mögliche Gründe an, warum es die Großen einfach nicht hinbekommen.

Erwartungshaltung von Presse und Langzeit-Fans

Beide Studios haben sich über die Jahre einen enorm guten Ruf erarbeitet. Bioware war über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte das Vorzeige-Studio für Rollenspiele mit tollem Storytelling. Baldurs Gate, Neverwinter Nights, Star Wars: The Old Republic, Dragon Age: Origins und Mass Effect erzählten großes Kino und die meisten Titel hatten auch einen spielerisch höheren Anspruch. Nun kommt ein Ballerspiel heraus, welches das Storytelling eher hinten anstellt. Es ist nicht die erhoffte Revolution der Lootshooter, die sich Fans erhofft haben.

Hinzu kommt der nicht gerade beliebte Publisher Electronic Arts. Zwar liegt dessen Übernahme Biowares mittlerweile zwölf Jahre zurück, so manches Fanherz schmerzt jedoch noch immer. Electronic Arts kaufte zudem schon mehrere namhafte Studios auf. Viele von ihnen, darunter Bullfrog (Theme Hospital), Westwood (Command & Conquer) und Maxis (Sim City) wurden mittlerweile geschlossen. Durch massiven Gebrauch von Microtransactions hat sich EA sogar mehrfach den Negativpreis „Worst Company in America“ erarbeitet.

Nun bringt die ehemalige Edelschmiede Bioware einen Loot-Shooter heraus, der für Microtransactions geradezu prädestiniert ist. Diese Mischung aus verfehlter Erwartung und dem noch immer tief sitzenden Stachel der Enttäuschung, hat die Bewertungen sicherlich mit beeinflusst.

Ähnlich geht es auch Bethesda, obwohl sie im Vergleich den Luxus haben, ihre eigenen Spiele selbst zu veröffentlichen. Bethesda hat sich seinen Ruf vor allem mit offenen Sandbox-Rollenspielen erarbeitet. Zwar wünschten sich Fans schon länger einen Online-Ableger der Fallout-Reihe, doch eben nicht im Stile des vergleichsweise neuen Survival-Genres. Mit diesem kommen nämlich deutliche Abstriche, auch in Sachen Spielerzahl und Storytelling. So fällt unter anderem der Dialog mit lebenden NSCs dem Spielkonzept zum Opfer. Auch hier ging das Spiel einfach an den Erwartungen der langjähriger Fans und der Fachpresse vorbei.

Was bei Indiespielen klappt, funktioniert nicht unbedingt bei den Großen

Viele große Studios/Publisher begreifen auch nicht, dass Indiespiele ganz anderen Gesetzmäßigkeiten gegenüber stehen. Was bei ihnen funktioniert, muss noch lange nicht für die großen Namen gelten. Auch ist die Unternehmenskultur eine ganz andere. Crowdfunding im Vorfeld oder der Kauf via Early Access während der Entwicklung ist deren Butter und Brot. Ganz anders die großen Studios, denen von vorn herein ein großes Budget zur Verfügung steht.

Durch das sichere Budget und größere Teams ist auch die Entwicklung eine ganz andere. Indie-Titel setzen meist auf einen sehr engen Austausch mit der Community. Viele Vorschläge der Spieler finden auch Einzug ins Spiel. Diese Spiele haben teils Jahre vor Release schon hunderttausende Spieler, die sich rege zur Entwicklung austauschen. Es wird vieles ausprobiert und geschaut, was am besten funktioniert. Während sich Indiestudios also eher am Konsumenten orientieren oder aber ihre eigene Vision frei umsetzen, sind die großen Studios an ihre Chefetage gebunden. Diese scheint in vielen Belangen jedoch nur wenig Kontakt zum Konsumenten selbst zu haben.

Das Ende vom Lied: Fallout 76 und Anthem kommen mit vergleichsweise wenig Content auf den Markt. Als fertiges Produkt werden diese eigentlich unvollständigen Produkte getestet, bei denen eben noch einiges fehlt. Denn beide Spiele hatten keinen Early Access. Es gab nur eine Beta kurz vor Release. Ein Zeitraum, in dem sich kleine Bugs beheben, nicht aber ganze Features ändern oder hinzufügen lassen. Fallout 76 ließ zudem auch Genrestandards wie private Server und Modding vorerst außen vor. Was bei Indie-Titeln meist bereits früh im Early Access ermöglicht wird, bekommt man bei der AAA-Produktion erst spät nachgereicht.

Den Blick für die Spieler verloren

Bewertungen, gerade von Spielern, gehen gerne mal stark übers Ziel hinaus. Die meisten Niedrigstbewertungen der Fans haben wenig mit der tatsächlichen Qualität des Spiels zu tun. Sie sind eine Mischung aus Frust und teils auch Hass gegen einen Publisher oder eine bestimmte Art Spiele, die man von seinem geliebten Studio nicht sehen will. So haben weder Anthem, noch Fallout 76 objektiv null Punkte verdient, die viele User auf Metacritic vergeben.

Trotzdem sind diese Bewertungen Ausdruck für eine Unternehmensführung, die den Blick für den Spieler völlig aus den Augen verloren hat. Publisher formen aus den Wirtschaftszahlen ein Vermarktungsmodell und lassen dafür Spiele produzieren. Als Spieler wollen wir aber lieber die gute Idee, aus der etwas Tolles entsteht, was sich dann entsprechend vermarkten lässt. Aber das scheinen derzeit fast nur die Indie-Entwickler zu begreifen. Viele Spieler zahlen bereitwillig für die Umsetzung dieser Ideen, weil es die Spiele werden können, die sie sich wünschen.

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Image by grandfailure via stock.adobe.com

Das Internet ist sein Zuhause, die Gaming-Welt sein Wohnzimmer. Der Multifunktions-Nerd machte eine Ausbildung zum Programmierer, schreibt nun aber lieber Artikel als Code.


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