Die Diskussion um die Start-up-Kultur in Deutschland lässt sich schon lange nicht mehr führen, ohne einen Blick über den großen Teich zu werfen. Kaum ein anderes Ökosystem steht so sehr für Innovation, Geschwindigkeit und technologischen Fortschritt wie das Silicon Valley. Kürzlich hatten wir mit Julian Windeck auch einen deutschen Gründer im Silicon Valley bei uns im Podcast zu Gast.
Gleichzeitig wächst in Deutschland seit Jahren ebenfalls eine lebendige Gründerszene. Diese stützt sich durch staatliche Programme, neue Hubs und ein wachsendes Interesse an Unternehmertum. Doch trotz dieser positiven Entwicklung bleibt die Frage: Warum wirkt das Valley weiterhin wie der Maßstab – und was bedeutet das für die deutsche Start-up-Landschaft?
Tatsächlich ist die deutsche Start-up-Kultur nämlich nicht so schlecht wie ihr Ruf. Sie funktioniert nur grundlegend anders und ist damit sicherlich nicht jeder Idee zuträglich.
Was macht die Start-up-Kultur im Silicon Valley aus?
Das Silicon Valley gilt weltweit als Inbegriff einer radikal innovationsgetriebenen Start-up-Kultur – und das aus gutem Grund. Seine Geschichte ist geprägt von einer einzigartigen Mischung aus Universitäten wie Stanford und Berkeley, militärischer Forschungsfinanzierung und Tech-Pionieren wie Bill Gates, die aus Garagen globale Unternehmen geschaffen haben. Dieser Mythos wirkt bis heute fort und prägt das Selbstverständnis der Region: Jeder kann das nächste große Ding bauen, solange er bereit ist, Risiken einzugehen und groß zu denken.
Zentrales Element der Valley-Kultur ist die hohe Risikobereitschaft uns das sowohl auf Seiten der Gründer als auch der Investoren. Venture-Capital-Firmen treffen schnelle Entscheidungen, investieren hohe Summen und akzeptieren, dass neun von zehn Wetten scheitern, solange die zehnte ein Milliardenunternehmen hervorbringen kann.
„Fail fast“ wird nicht nur akzeptiert, sondern aktiv gelebt. Scheitern gilt als Lernschritt, nicht als Stigma. Viele Start-ups denken von Anfang an global, treiben Wachstum vor Profitabilität und entwickeln ihre Produkte in schnellen Iterationsschleifen. So bezeichnet man einen sich wiederholenden Prozess, in dem das Produkt analysiert, verbessert und getestet wird.
Hinter dieser produktiven Ebene steht eine extrem dichte Vernetzung von Tech-Giganten, Talenten, Acceleratoren und Alumni-Netzwerken, die Wissen, Kapital und Kontakte im Minutentakt zirkulieren lassen.
Kurz gesagt: Das Silicon Valley ist ein Ort, an dem Geschwindigkeit, Visionen und Risikofreude den Takt bestimmen. Es ist ein Ökosystem, das nahezu perfekt darauf ausgelegt ist, aus Ideen in kürzester Zeit skalierbare Unternehmen zu formen.
Was macht die Start-up-Kultur in Deutschland aus?
Schon vor kurzem hatten wir uns den heutigen Tech-Innovationen aus Deutschland gewidmet. Unsere wichtigste Erkenntnis lässt sich auch auf die Start-up-Kultur in Deutschland anwenden: Es gibt Innovation, aber auf eine ganz andere Art. Die oft zitierte erwähnte „German Angst“ ist dabei eher eine noch immer langfristig gedachte Vorsicht. Dieser Perfektionismus kann Gründungsprozesse zwar verlangsamen, führt jedoch häufig zu Produkten, die besonders zuverlässig und qualitativ hochwertig sind.
Deutsche Gründungen entstehen dabei häufig aus einem technisch-wissenschaftlichen Hintergrund heraus. Ingenieure, Forscher*innen oder Expertenteams entwickeln Lösungen, die oftmals hochspezialisiert und technologisch anspruchsvoll sind. Der Fokus liegt daher weniger auf der schnellstmöglichen Skalierung, sondern eher auf Stabilität, Präzision und langfristiger Tragfähigkeit.
Auch bei der Finanzierung zeigt sich ein anderes Bild. Während in den USA große Venture-Capital-Fonds mit hohem Risikobereitschaft dominieren, ist das deutsche Ökosystem stärker von staatlichen Programmen, Förderbanken und eher konservativ agierenden Investoren geprägt. Kapitalknappheit und längere Entscheidungswege sind daher für viele Gründer Alltag. Hinzu kommt die in Deutschland oft komplexe und langsame Bürokratie, die Unternehmensgründungen und -wachstum zusätzlich erschwert. Das gilt nicht nur für Start-Ups, sondern auch etwa für Förderungen im Bildungssektor.
Der gesellschaftliche Umgang mit Scheitern unterscheidet sich ebenfalls stark vom amerikanischen Vorbild. Ein gescheitertes Projekt gilt hierzulande oft als Makel statt als wertvolle Erfahrung. Auch hier berichten allerdings viele Gründer, wie wichtig das Scheitern mit früheren Projekten für sie war, um Lehren für ihre Erfolgsprojekte zu ziehen.
Wo ist hinkt Deutschland dem Silicon Valley hinterher?
Wenn es darum geht, schnell die sogenannten „Unicorns“ zu finden, ist uns das Silicon Valley stark voraus. Als Unicorn bezeichnet man Start-Ups, die bereits vor Börsengang auf mindestens 1 Milliarde US-Dollar bewertet werden. Investoren sind auf der Suche nach eben diesen seltenen Einhörnern und nehmen dafür auch gescheiterte Investitionen an anderen Stellen in Kauf.
Sowohl Gründerinnen und Gründer als auch Investoren agieren in den USA deutlich risikofreudiger. Während im Silicon Valley innerhalb weniger Wochen Investments, Partnerschaften oder Markteinführungen möglich sind, zieht sich derselbe Prozess in Deutschland nicht selten über Monate. Gerade in Bereichen die schnell umkämpft sind, hat Deutschland daher das Nachsehen. Ehe man um den Markt mitkämpfen kann, ist dieser längst von anderen dominiert. Viele Auflagen erschweren es außerdem, neue Produkte schnell auf den Markt zu bringen und dort weiterzuentwickeln.
Auch Investitionssummen haben im Silicon Valley ganz andere Dimensionen. Zwar wächst die deutsche Venture-Capital-Landschaft, doch im internationalen Vergleich bleiben Investitionssummen kleiner und Investorennetzwerke fragmentierter. Große Finanzierungsrunden im dreistelligen Millionenbereich sind nach wie vor selten, was wiederum die Skalierbarkeit vieler Geschäftsmodelle limitiert. Start-ups, die schnell expandieren wollen, stoßen daher in Deutschland schneller an finanzielle Grenzen.
Schließlich fehlt es an einer vergleichbaren Talentdichte und Netzwerkstruktur. Deutschland verfügt zwar über hervorragende Fachkräfte, doch sie sind geografisch über das Land verstreut, und die Ökosysteme in Berlin, München oder Hamburg sind nicht so eng miteinander verzahnt wie im Silicon Valley. Zudem herrscht im Silicon Valley eine Arbeitskultur, die der Start-Up-Mentalität stark in die Hände spielt. Um das „nächste große Ding“ zu sein, nimmt man hohe Arbeitszeiten und ständige Erreichbarkeit selbstverständlicher in Kauf.
Die Stärken der Start-up-Kultur in Deutschland
Die Work-Life-Balance in Deutschland ist allerdings auch eine wichtige Errungenschaft. Bezahlte Urlaubs- und Krankheitstage, gesetzliche Krankenversicherung und ein strenges Arbeitszeitgesetz bringen uns auf Platz 4 im Global Life-Work Balance Index 2025. Die USA belegen in diesem Ranking den vorletzten Platz. Einzig Nigeria auf Platz 60 hat eine noch schlechtere Bewertung. Wollen wir diese Errungenschaft für ein aus China ins Silicon Valley adoptierten 996-Arbeitsmodell (von 9 bis 21 Uhr, 6 Tage die Woche) opfern?
Die deutsche Start-up-Kultur besitzt zudem auch einige Stärken, die im Silicon Valley längst nicht so ausgeprägt sind – und in bestimmten Branchen sogar klare Wettbewerbsvorteile schaffen. Eine dieser Stärken liegt im technischen Fundament. Deutschlands Hochschulen und Forschungsinstitutionen wie die Fraunhofer-Gesellschaft oder die Max-Planck-Gesellschaft genießen weltweit etwa hohes Ansehen. Viele Gründungen entstehen direkt aus wissenschaftlichen Projekten, die oft tiefes Fachwissen, patentfähige Technologien und industrielle Relevanz mitbringen. Sie sind etwa eine wichtige Säule für Entwicklungen bei KI, Materialwissenschaften, Biotechnologie, Robotik oder Industrie 4.0.
Ein weiterer Vorteil ist der Qualitätsanspruch. Deutsche Start-ups neigen eher dazu, Produkte sorgfältig und robust zu entwickeln, bevor sie auf den Markt kommen. Das liegt mitunter an den hohen Auflagen, zahlt sich in sicherheitskritischen Bereichen wie Medizintechnik, Mobilität oder im Energiesektor aus. Hier zählen nicht Geschwindigkeit und Iteration, sondern Zuverlässigkeit und Langzeitstabilität. Dieser Fokus mag weniger spektakulär wirken, sorgt aber dafür, dass deutsche Technologien oft besonders ausgereift sind.
Auch der Umgang mit Nachhaltigkeit und langfristiger Wertschöpfung unterscheidet sich positiv. Viele deutsche Start-ups setzen bewusst auf nachhaltige Geschäftsmodelle, faire Arbeitsbedingungen und transparente Unternehmensführung. Diese Orientierung trifft nicht nur den Nerv der Zeit, sondern schafft auch Vertrauen bei Kunden, Partnern und Investoren, die zunehmend Wert auf verantwortungsbewusste Innovation legen.
Zwei Philosophien mit eigenen Vorzügen
Das Silicon Valley lässt sich in Deutschland nicht einfach kopieren. Dafür engen Arbeitsschutz und Industriestandards die Freiräume von Unternehmen zu sehr ein. Deutschland tut daher gut, eher die Vorzüge des eigenen Standortes zu Nutzen. Und auch hier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Mittlerweile gibt es viele Coworking-Spaces, sowie zahlreiche Inkubator- und Accelerator-Programme für Start-ups. Die diesjährige Liste der Top 100 Rising European Start-ups führt Deutschland dieses Jahr sogar an. Auch dort dominieren wir vor allem in Bereichen wie KI, Robotik oder Logistik, mischen aber auch in der Kreativ-Industrie mit.
Trotzdem lässt sich auch für uns noch einiges aus dem Silicon Valley lernen. Mehr Risikobereitschaft und geringere bürokratische Hürden würden helfen, auf die Dynamik der hart umkämpften Innovationen schneller zu reagieren. Hier ist vor allem die europäische Gesetzgebung gefragt, die etwa mit dem Digital Markets Act eine starke europäische Position geschaffen hat. Wenn die deutschen Startup-Hubs besser zusammenarbeiten und sich auch europäisch stärker verbinden, sind außerdem noch mehr Synergien möglich.
Vor einem Scheideweg steht die deutsche Start-up-Kultur dagegen was den begehrten US-amerikanischen Markt angeht. Denkt man groß, geht kaum ein Weg an den US-Markt vorbei. Auf der anderen Seite ist die EU immer an europäischen Technologie-Alternativen interessiert. Das befeuert auch die wilde US-Politik, die derzeit mit willkürlichen Zöllen oder politischer Einflussnahme auf Unternehmen Schlagzeilen macht. Der europäische Markt wirkt dadurch zunehmend attraktiver.
Image via ChatGPT (KI-generiert)
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