Die Siedler: Neue Allianzen – Selbstzerstörung einer Kultreihe


nn Das war wohl nichts, Ubisoft. Mit „Die Siedler: Neue Allianzen“ zerstört sich wieder einmal eine große Spielereihe selbst. Das traurige daran: Fans haben das schon kommen sehen. Ubisoft hat zwar die Kritik aus der ersten Beta angenommen und das Spiel ein weiteres Jahr lang überarbeitet – jedoch zu wenig und zu spät. 

Doch was ist beim Spiel schiefgelaufen? Wo waren der Publisher blind und was bedeutet das für die Zukunft der Reihe? Und was ist dieses Pioneers of Pagonia, von dem so viele Serienfans aktuell sprechen? 

Das Spiel selbst ist dabei weniger schlecht als es zunächst klingt. Es sind vor allem die Entscheidungen während der Entwicklung, die das Spiel zum emotionalen Tiefpunkt der Serie machen. Denn ursprünglich sorgte das Spiel für viel Euphorie unter den Fans.

Die Siedler: Neue Allianzen – Chronologie der Selbstzerstörung

2018 – Die große Gamescom-Ankündigung

2018 war die Welt noch in Ordnung. Für mich war der erste Trailer für den großen Siedler-Reboot eines der Highlights der Gamescom. Die Optik stimmte, erste Informationen klangen einfach gut und sogar Serienschöpfer Volker Wertich war erstmals seit Siedler 2 wieder an Bord. Gerade Wertich war für mich ein Grund, sofort Vertrauen in das neue Siedler zu haben. Alles klang danach, dass man zurück zu den Wurzel möchte, dieses Fundament aber um interessante Aspekte erweitert wird. 

Nicht falsch verstehen: Die Siedler-Reihe lieferte trotz der sehr verschiedenen Ansätzen seiner Sequels meist echt gute Strategie-Kost. Trotzdem hatte ich das erste Mal seit langer Zeit das Gefühl, hier entsteht ein Spiel, dass die ursprüngliche Siedler-Essenz in die heutige Zeit holt. Man sah sofort in den ersten Sekunden bereits vertraute Elemente, aber auch neue Mechaniken und urbanere Elemente. Zusammen mit der großartigen Optik, traute ich dem Spiel sogar zu, den großen Wusel-Durchbruch außerhalb des deutschsprachigen Raumes zu schaffen. 

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2019 – Anspielbare Version auf der Gamescom

Ein Jahr später Stand das Spiel erstmals auf dem Prüfstand. Hinter verschlossenen Türen durfte das neue Siedler von Pressevertretern und bekannten YouTubern bereits in seiner Pre-Alpha-Version angespielt werden. 

Man hatte sich gekonnt auf die Wurzeln des Spiels zurückbesonnen, ohne dabei aber altbacken zu wirken. Das Spiel wirkte auf der einen Seite vertraut, auf der anderen aber auch wieder sehr frisch mit tollen neuen Ideen. Es gab bereits sehr komplexe Warenketten, die taktische Planung erforderten und das Aufstufen von Gebäuden fügte sich als interessante neue Ebene ins Gameplay ein. Nicht nur gab es dabei ein spannendes Nahrungssystem für die wuselnden Siedler – man musste zugleich auch aufpassen, weiterhin etwa einen Lebensraum für wilde Tiere zu bieten.

Neben dem Kampf gab es außerdem auch eine Ruhm-Mechanik, mit der wir unseren kulturellen Einfluss nutzen, um die Arbeitsmoral anderer Fraktionen zu senken bis es Unruhen gibt oder sie sogar zu uns überlaufen. Kriegerisch gab es zudem Mauern, die sich sogar bemannen ließen. Der Eindruck vom Vorjahr bestätigte sich: Da kommt ein großer Strategie-Kracher auf uns zu! 

Anfang 2022 – Die Beta des Grauens

Lange Zeit wurde es still um die neue Siedler-Hoffnung. Gerade weil anfangs bereits viel gezeigt wurde, ließ die lange Stille wenig gutes erahnen. Ende 2021 kündigte man überraschend eine Closed Beta an, die im Januar 2022 startete. Und es war noch schlimmer als befürchtet.

Das Spiel wurde einmal komplett auf Links gedreht und sollte nun offenbar Echtzeit-Strategie-Fans ansprechen. Es gab nur noch 20 verschiedene Waren ohne komplexe Produktionsketten und den Holzfäller hatte man sogar komplett vergessen. Auch die neuen Fantasy-Fraktionen hatten zum Teil fragwürdige Designentscheidungen, die allerdings von der fraktionsübergreifenden Vogelscheuchen-Einheit getoppt wurden, die Truppen in die Irre führen soll. Dass das Gameplay allgemein auch mehr auf schnelle Spiele getrimmt war, merkte man unter anderem an fehlender Speicher-Funktion.  

Auf YouTube hagelte es Rants gegen das neue Siedler. Am stärksten in Erinnerung blieb mir dabei Gamestar-Redakteur Maurice. Dieser ist ein wirklich großer Strategie- und Siedler-Fan und man spürte in jeder Sekunde des Videos, wie ihn diese Beta schmerzt. 

Für mich selbst war auch der offizielle Trailer eine Zumutung. Phrasen wie „Mit tollen Animationen und detaillierter Grafik“ machten bereits klar: Zielgruppe sind Personen, die bisher kaum ein Videospiel in der Hand hatten.  Nach dem vernichtenden Feedback der Beta sah Ubisoft wenig überraschend vom geplanten Release im März ab und zog sich nochmal ein gutes Jahr zurück, um das Spiel entsprechend zu überarbeiten. 

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2023 – Die Siedler: Neue Allianzen „Nicht so schlimm wie befürchtet“

Im Februar 2023 erschien schließlich „Die Siedler – Neue Allianzen“. Vom ursprünglichen Hype um das Spiel war längst nicht mehr viel geblieben. Das Interesse vieler Siedlerfans war eher die typische Frage in der Notaufnahme: „wie schlimm ist es?“. Die Antwort der erfahrenen Spieledoktoren lautet: „Nicht so schlimm wie befürchtet“. Also doch noch alles gut?

Auch davon ist das Spiel weiterhin stark entfernt. Das Spiel sieht optisch echt gut aus, der Stadtbau in Hexfeldern sorgt für recht organische Städte und auch die modular erweiterbaren Wohnhäuser sind toll. Doch auch wenn der Wuselfaktor zunächst stimmt, ist er auf ein Maximum von 500 Siedlern begrenzt. Es gibt zudem noch immer wenig Waren im Vergleich zu anderen Serien-Teilen und die Nahrungsproduktion gibt dem Bergbau lediglich einen Boost, anstatt dass er essentiell ist. Auch der neue „Förster“ ist lediglich ein Gebäude, in dessen Hof Bäume wachsen, die dann vom Förster gefällt werden. Außerdem müssen Gebäude nicht wirklich um den etwas zu großzügig vorhandenen Bauplatz konkurrieren.

Auch auf der Echtzeit-Strategie-Seite bietet das Spiel zu wenig, um zumindest dort zu punkten. Es gibt wenig Einheiten, wenig strategischen Spielraum und auch die Bandbreite an Karten und Optionen fürs freie Spiel sind eher dünn. Zum Release waren Online-Partien außerdem durch Abstürze und Desyncs quasi unspielbar. 

Wenn Publisher blind sind 

Manchmal fällt es einen schwer nachzuvollziehen, was in den oberen Etagen vieler Spielepublisher abläuft. Wie offenbar keinerlei Verständnis für die eigenen Produkte und deren Zielgruppe vorherrscht. Natürlich möchte man diese Zielgruppe ausbauen. Dafür aber eine sehr treue Community derart vor den Kopf zu stoßen, war noch nie eine gute Idee. 

Dieses fehlende Verständnis für die eigenen Produkte und ihre Käufer mahnte ich auch schon bei Blizzard an, als sie 2018 bei der Blizzcon mit Diablo Immortal für einen Shitstorm sorgten. Dort war der Fehler allerdings, dass man einer Community PC-Gamer keine großen Neuheiten auf ihrer Plattform gab, dafür jedoch ein Mobile-Game auf der eigenen Haus-Convention zum großen Headliner machte. Dass der Publisher davon überrascht war, zeugte aber ebenso von einem verlorenen Verständnis für die eigenen Spieler. Selbst ich, der kaum Blizzard-Spiele zockt, hätte die Reaktion vorausgeahnt.

Beim Siedler-Debakel fing zudem alles noch gut an: Die anspielbare Gamescom-Version des Spiels bot bereits komplexe Warenketten, ein spannendes Nahrungssystem und ließ Städte mit mehreren Tausend Siedlern zu. Sogar Stadtmauern gab es in dieser frühen Phase. Dass Features bis zum Release wegfallen ist normal, aber die Anspielversion von 2019 wirkte um so vieles kompletter und runder als das Flickwerk, welches man nach über 2 Jahren weiterer Entwicklung als Closed Beta präsentierte. Es war war als hätte man die selben Assets für ein ganz neues Spiel genutzt – für das dann aber Zeit und Geld fehlten, um es gut zu machen. 

Das ist übrigens keine Schuldzuweisung an Entwickler Ubisoft Düsseldorf. Die haben bestimmt nur den Schlamassel ausbaden müssen, den andere angerichtet haben. Und das Spiel ist auch keine Vollkatastrophe, sondern nur weit entfernt von dem, was zwischendurch bereits war.  

Anno darf nicht das Problem sein

Als Grund für die radikale Neuausrichtung des Spiels sehen viele die Anno-Reihe. Gerade Anno 1800 war für Ubisoft ein großer Erfolg und mündete in 4 Seasons an DLCs, die den ohnehin schon umfangreichen Wirtschafts-Aufbau zu einem wahren Strategie-Monument formten. Die Theorie also: Man wollte mit Siedler keine hauseigene Konkurrenz erschaffen. Das könnte der Grund für den stärkeren RTS-Fokus sein und eventuell auch dafür, dass Volker Wertich das Projekt verließ. 

Wenn das tatsächlich mit reinspielte, ist es ein weiteres Beispiel für mangelnde Identifikation mit den eigenen Produkten. Siedler und Anno sind zwar beides Strategie-Schwergewichte aus Deutschland, aber dennoch meilenweit voneinander entfernt. Bei Anno stand das Ressourcenmanagement immer im Vordergrund, um die Bedürfnisse der immer gierigeren Bevölkerungsschichte zu befriedigen. Dabei blieb sich die Serie trotz Ausflüge in andere Settings vom Grundaufbau immer treu. Das Endgame bei Anno 1800 besteht vor allem darin, die Bevölkerung zu maximieren und trotzdem alle Bedürfnisse zu versorgen.

Bei Siedler ist der Warenlauf auch wichtig. Eckpfeiler der Serie ist, dass man die die Ware beim Abbau, Transport, der Weiterverarbeitung, im Lager bis hin zum Endverbraucher sehen und mitverfolgen kann. Am Ende steht dagegen trotzdem oft der militärische Sieg über die KI-Gegner, der aber in erster Linie das Endresultat eines guten Warenkreislaufs ist. Trotzdem war sich Siedler nie so treu wie Anno und hat sich über die Jahre immer wieder neu interpretiert. In Anno-Gefilde stießen sie allerdings nie vor und hätten es auch diesmal nicht getan. Daran ändert auch das Aufleveln von Gebäuden nichts. 

Wer hier hausinternes Konfliktpotential sieht, hat die eigenen Produkte nicht verstanden. Beide Spiele haben eher einen gemütlichen und wirtschaftlichen Kern, interpretieren diesem aber grundverschieden. Natürlich haben Anno und Siedler bestimmt mehr Überschneidung in ihrer Zielgruppe als mit einem Age of Empires. Für diese heißt es aber weniger „Anno oder Siedler“, sondern „Anno UND Siedler“. 

Volker Wertich mit neuem Spiel „Pioneers of Pagonia“

Die Personalie Volker Wertich habe ich bereits mehrfacht genannt. Der gute Mann ist zwar erst 53 Jahre jung, war aber 1993 bereits federführend für das erste Siedler, das er zunächst in Assembler programmierte. Für die Siedler 3 kehrte er als freier Mitarbeiter zurück. Kein Wunder also, dass seine erneute Rückkehr zur Siedler-Reihe hohe Wellen schlug.

Kurz vor Release von Die Siedler: Neue Allianzen kam dann eine vermutlich nicht so zufällig getimte Ankündigung: Volker Wertich arbeitet an einem eigenen Spiel namens „Pioneers of Pagonia“, welches noch 2023 in den Early Access starten soll. Die Features auf der offiziellen Seite des Spiels lesen sich ähnlich der ersten Siedlerpräsentation bei der Gamescom: Mehr als 10.000 wuselnde Siedler, über 40 Gebäudetypen, mehr als 70 Waren, verzweigte Produktionsketten und Stadtwachen die für Sicherheit sorgen. Es gibt sogar von Beginn an Förster und in größeren Wäldern siedeln sich Tiere an. Oh, und die Karten sind außerdem zufallsgeneriert. 

Das sind bislang natürlich nur hübsche Worte, denen Inhalt folgen muss. Und auch nicht alles an der Ankündigung wird Siedler-Fans gefallen. So soll es einen Koop-Modus geben, jedoch keinen Multiplayermodus gegeneinander. Stattdessen ist es das Spielziel, alle Dörfer auf einer Insel einigen. Es gibt dabei auch Kämpfe, aber insgesamt möchte sich das Spiel offenbar von der Tradition des militärischen Siegs befreien. Auch eine Kampagne ist nicht geplant, sodass der Fokus auf den Zufallskarten liegt. 

Ich schließe allerdings nicht aus, dass sich einige Features zu Pioneers of Pagonia noch ändern. Noch ist es erst die Ankündigung zu einem Early Access. Dort gibt es sicherlich noch einige Anpassungen, bevor das Spiel dann final erscheint. Ich gehe nicht von einem finalen Release 2025 aus, gerade da die Konzeption des Spiels eigentlich erst stattgefunden haben kann, als Ubisoft die Pläne zum neuen Siedler über den Haufen warf. Ich hoffe Volker Wertich nutzt die Möglichkeiten eines Early Access, um dem Spiel die mögliche Zeit zum Reifen zu geben und Feedback sinnvoll aufzugreifen. 

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Ist Die Siedler: Neue Allianzen das Ende der Siedler-Reihe?

Beim neuen Siedler ist viel falsch gelaufen. Aus einem bereits anspielbaren, heiß erwarteten Titel einen halbgaren Strategie-Genre-Mix zu erschaffen, der im Trailer sogar noch den Einbau einer Speicherfunktion als Feature anpreist, wiegt dabei viel schwerer, als wäre Die Siedler: Neue Allianzen von Anfang an ein durchschnittliches bis unterdurchschnittliches Spiel geworden. Das ein potentiell großartiges Spiel durch etwas so viel plumperes ersetzt wird, habe ich zuvor noch nicht erlebt.

Wie allerdings in einem anderen Artikel geschrieben ist es nicht zwingend schlimm, wenn gute Spielereihen oder Entwickler plötzlich schlecht werden. Meist schafft es Platz für neue Studios oft alter Entwicklerhasen oder sogar ganz frischer Persönlichkeiten. Bei den Siedlern ist es der Urvater selbst, der nun erstmals auf Early Access setzt, um seine Siedler-Vision umzusetzen. 

Mich erinnert das Timing an Sim City und Cities Skylines. Auch Sim City wollte einen Reboot statt einer Fortsetzung machen und enttäuschte dabei die erwartungsvollen Fans – vor allem mit der geringen Kartengröße. Genau in dem Moment kam Colossal Order mit Cities Skylines und bot das, was sich Fans bereits vom Sim City-Reboot erhofften. Erst nach 8 Jahren voller Erweiterungen kündigte das Studio kürzlich den Nachfolger an. Von Sim City, das über 20 Jahre der Inbegriff seines Genres war, redet kaum einer mehr.

Dieses Schicksal kann auch die Siedler ereilen. Pioneers of Pagonia nimmt sich genau die Features vor, die sich Genre-Fans von Die Siedler: Neue Allianzen erhofften und will früh genug in den Early Access starten, um die enttäuschten Fans mit an Bord zu nehmen. Wenn der Kapitän dann auch noch der Serien-Urvater ist, der trotzdem auch viele neue Ideen ausprobieren mag, steht der Kultreihe eine quasi selbst erschaffene Konkurrenz gegenüber. Ich habe jedenfalls schon richtig Lust auf das Gewusel.


Image by Ubisoft via IGDB


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