Frictionless Sharing – eine neue Form des Teilens

Im Verlauf der letzten Woche ist man als aufmerksamer Internetnutzer um ein Thema wohl kaum herum gekommen. Es geht um Facebooks Open Graph, Social Apps und in dem Zusammenhang um das Frictionless Sharing. Eine anfangs vor allem in den USA hochgelobte Facebook-Funktion hat sich quasi über Nacht zu einer Grundsatz-Diskussion mit höchster Brisanz in den einschlägigen Medien entwickelt. Was hat es auf sich mit dieser Neuerung? Und was bedeutet das Feature für unseren Alltag auf Facebook? Ein kleiner Überblick…

Was ist Frictionless Sharing und was bewirkt es?

Facebook versucht seit Einführung der Timeline, das digitale Leben seiner Nutzer nicht nur auf seinen Servern im Hintergrund aufzuzeichnen, sondern die aufgezeichneten Inhalte nun auch auf den Profilen sichtbar zu machen. Die Timeline, eine erweitertes Facebook-Profil, soll alles aufzeichnen und abbilden, was der Facebook-Nutzer so tut. In ihr soll zu sehen sein, welche Texte man gerade liest, welches Musikstück man sich gerade anhört oder welchen Film man gerade sieht. Das Timeline-Profil soll ein Spiegelbild des Nutzerverhaltens werden mit allem Pipapo. Ein Vorhaben, welches nicht nur sehr ehrgeizig ist, sondern auch technisch durch verschiedene Neuerungen und zusätzliche Features großer Vorbereitung bedarf.

Um die Timeline entsprechend mit Inhalten automatisch füllen zu können, hat Facebook beispielsweise den Open Graph eingeführt. Der Open Graph ist eine Schnittstelle, die es Entwicklern erlaubt, sogenannte Social Apps mit Facebook zu verbinden. So hat die Washington Post und auch das Wall Street Journal einen Social Reader entwickelt in Form einer App, die auf Facebook läuft. Nutzt ein Anwender beispielsweise den Social Reader der Washington Post auf dem sozialen Netzwerk, bekommt er verschiedene Artikel des Blattes auf einen Blick vor sich ausgebreitet. Liest er nun einen Artikel aus dem Sammelsurium, so wird diese Aktivität direkt von der App, in die Timeline übertragen und wird dort groß sichtbar für andere zu lesen sein. Ebenfalls wird diese Aktivität in den Newsfeed transportiert, sodass Freunde, Bekannte und Kollegen direkt sehen können, welchen Text man sich gerade anschaut. Diese Mitteilungen über das eigene Verhalten bedürfen dann keiner expliziten Einwilligung mehr durch etwaige Like- oder Share-Buttons. Inhalte werden automatisch und reibungslos geteilt, sobald man sie aufruft und genau auf diese Kriterien baut das Frictionless Sharing (wie der Name schon sagt) auf.

Für und Wider des Frictionless Sharings

Alles in allem ist das Frictionless Sharing eine Funktion, die augenscheinlich für den User eher weniger Vorteile mit sich bringt. Die größten Nutznießer sind Facebook selbst und die Entwickler. Facebook kann einen reibungslosen Aufbau der Timeline garantieren und die Entwickler können die Reichweite ihrer Inhalte vergrößern. Schaut man sich die entfachten Debatten genauer an, erkennen viele Kritiker allerdings nicht nur den ausbleibenden Vorteil, sondern verstärkt den daraus resultierenden Nachteil. Hauptargument gegen das Frictionless Sharing ist, dass die Empfehlungsfunktion komplett abgeschafft wird und man bemängelt, dass die Nutzung nicht gleich eine Empfehlung darstellt. Diesen Eindruck gewinnt man nämlich wenn man von Freunden gelesene Artikel in seinen Newsfeed findet. Viele Menschen reagieren ganz natürlich und klicken auf Headlines die reißerisch geschrieben sind. Man liest einen Beitrag wie „Think twice before getting tattooed“ und sobald man bemerkt hat, dass dieser von der inhaltlichen Substanz eher zu wünschen übrig lässt, schließt man die Seite oftmals wieder. Auf keinen Fall würde man den Artikel empfehlen. Manch einer würde es vielleicht doch tun. Doch diese Entscheidung braucht man nicht mehr zu treffen, denn das Frictionless Sharing übernimmt das für einen. Ob man will oder nicht.

Ein weiteres Argument gegen das vorbehaltslose Teilen von Inhalten ist natürlich auch wieder das für Facebook sowieso immer anwendbare Privacy-Argument, welches hier meines Erachtens aber nur teilweise greift. Dass nun quasi JEDER alles mitlesen kann, was der Nutzer so auf seinem täglichen Streifzug im Netz anklickt, ist zwar möglich, aber dennoch nicht die Regel. Immerhin kann man zuallererst selber entscheiden, ob man die Social Apps, die das Frictionless Sharing erst ermöglichen, nutzen will oder nicht. Hier hat Facebook sogar einige Lehren gezogen aus vergangenen Fehlern. Der User wird vor der Nutzungsbestätigung über das automatische und vorbehaltlose Teilen informiert und muss dann erst abschließend sein Einverständnis geben. In der Vergangenheit wurden Änderungen dieser Art einfach umgesetzt ohne zu fragen. Dieser Attitüde hat sich Facebook scheinbar entledigt. Nicht zuletzt sicher auch durch die Auseinandersetzung der FTC (Federal Trade Commission) mit dem Privatsphäre-Geschäftsgebaren des sozialen Netzwerkes auf Druck einiger amerikanischer Politiker. Weiterhin ist es bei vielen (aber leider noch nicht bei allen) Social Apps möglich über die Privatsphäre-Einstellungen selber zu entscheiden, welche Personen und Gruppen diese Informationen in der Timeline sowie im Newsfeed sehen können. Eine Entwicklung, die natürlich auch ein wenig Eigenverantwortung und persönliches Zutun des Nutzers voraussetzt. Privatsphäre ist im Netz nämlich kein automatisches Grundrecht. Man muss sich weitestgehend gerade auf Facebook selber darum kümmern.

Dass Social Apps und Frictionless Sharing allerdings nicht nur Nachteile für den Nutzer mit sich bringt, sondern auch Vorzüge hat, wurde zuletzt auch von Robert Scoble, einem amerikansischen Blogger, Technik-Evangelisten und Autor, mitgeteilt. Er selber nimmt zwar im Großen und Ganzen auch eher eine kritische Haltung in der Debatte ein, muss sich aber zugestehen, dass er durch die Neuerung mehr Inhalte entdeckt hat, die ihm vorher wohl nicht aufgefallen wären. Weiterhin hat er zugegeben, dass er in den 2 Monaten, die er nun diese Funktion nutzt mehr und mehr auch über sein eigenes Nutzerverhalten gelernt hat. Letzteres kann ich zwar nicht eindeutig bestätigen, aber zumindest zum ersten Part kann ich ebenfalls seine Meinung teilen. Ich nutze den Washington Post Social Reader nun auch seit ca. 2 Wochen und habe dadurch ebenfalls Artikel gelesen, die ich sonst nicht per se in meinem Newsfeed gefunden hätte. Der Grund dafür ist, dass die Social Reader wie bei einer Tageszeitung verschiedene Themen, verschiedener Ressorts aufzeigen plus welche besonders oft gelesen werden. Während sich in meinem Newsfeed überwiegend Posts aus dem Bereich Internet und Medien tummeln, die höchstens von den Beiträgen der ZEIT, der FAZ oder des Spiegels abgelöst werden, habe ich in dem Social Reader auch mal den ein oder anderen Beitrag zu einem anderen interessanten Thema gefunden. Der große Vorteil meines Erachtens liegt also darin, dass man sich so neue Nachrichtenkanäle auf Facebook erschließen kann. Für den Otto-Normal-Nutzer ist dieser Vorteil vielleicht nicht unbedingt von großer Bedeutung, allerdings denke ich für Menschen, die sich über soziale Netzwerke nicht nur austauschen, sondern auch informieren wollen schon. Ob man diesen weiteren Nachrichtenkanal nicht auch anders hätte einführen können, steht dabei natürlich auf einem anderen Blatt Papier. Es gehört aber auch nicht unbedingt zu Facebooks Expertise, Nachrichtenkanäle zu optimieren. Es ist halt nur ein netter Nebeneffekt.

Fazit

Ob das Frictionless Sharing nun doch noch auf eine breite Akzeptanz unter den Nutzern stoßen wird, hängt von der zukünftigen Strategie ab. Dass es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem neuen Standard in der Art und Weise des Teilens wird, davon gehen viele Spezialisten bereits jetzt schon aus. Richard MacManus von ReadWriteWeb glaubt, dass das vorbehaltslose Teilen für künftige Generationen auch über Facebooks Grenzen hinaus zum Alltag wird, beispielsweise auch auf Diensten wie foursquare und Twitter. Meine persönliche Meinung ist, dass es ganz klar Potenzial besitzt den Informationsaustausch zu vereinfachen, aber gerade auch in Bezug auf das doch immer stärkere Gefühl von Spaming im Newsfeed sollten auch mögliche Filteroptionen angeboten werden. Grundsätzlich und nicht nur individuell. Zusätzlich sollte man es dem Nutzer nicht nehmen, Inhalte, die besonders gefallen, durch eine Empfehlungsoption von allen anderen geteilten Inhalten abzuheben. Spielt doch auch der Aspekt der Identifizierung mit bestimmten Künstlern, Autoren oder Meinungsmachern eine große Rolle. Immerhin präsentiert man sich ja auch über das Profil anderen Nutzern und möchte seinen Charakter entsprechend mit Glanz und Gloria ausschmücken. Dieses Zugeständnis an den Nutzer, sollte im Übrigen auch im Sinne von Facebook und seinen Vermarktungsstrategien sein. Denn bei allem Für und Wider des Frictionless Sharing – es eignet sich wenig als guter Qualitätsfilter für persönliche Daten und dient somit auch kaum zum Personalisierungsinstrument. Das wiederum ist ja dann eigentlich wieder ein Etappensieg, den sich die datenschutzkritische Fraktion auf die Fahnen schreiben kann, oder?

schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , , , ,

5 comments

  1. Facebook hat sich mit der Timeline schon (negativ) selbst übertroffen. Leider gibt es hier mehrere Beispiele, also war es irgendwo klar, dass man sich hier was Neues, auch wenn man es „Frictionless Sharing“ nennt, einfallen lässt. Es ist wirklich schade, wieviele Informationen man sich über jeden besorgen kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert