Nimmt KI uns die Kreativität ab?

Als wir 2023 den gewagten Take „Künstliche Intelligenz zerstört die Kreativität nicht“ machten, bezogen wir uns allem auf die Veränderungen in der kreativen Arbeitswelt durch KI. Seitdem hat sich die KI stark im kreativen Bereich weiterentwickelt und wir müssen uns ernsthaft fragen: Nimmt KI uns die Kreativität ab? Alles begann mit dem Taschenrechner, als wir in der Schule das mühsame Rechnen plötzlich durch ein kleines Gerät abgenommen bekamen, das jede Rechenaufgabe schneller und zuverlässiger lösen konnte als wir selbst – oder Google Maps, das unserem Gehirn abnimmt, sich den Weg von unserem Zuhause zur Arbeit zu merken. Wenn KI uns das Rechnen und Merken abnimmt – warum nicht auch unsere Kreativität?

Mit Suno erstellen wir etwa ganze Audioaufnahme inklusive Text mit Gesang und Instrumenten. ChatGPT entwirft Geschichten passend zu jedem erdenklichen Thema und das Cover erstellt Midjourney. Ob Bild, Video oder Text, KI nimmt heutzutage etliche Stunden an Arbeit ab. Warum also noch selber kreativ denken? Doch haben wir vielleicht bemerkt, dass uns durch den Taschenrechner das Kopfrechnen schwerer fällt? Genau das Gleiche kann mit unserer Kreativität passieren: Je weniger wir sie anregen und aus ihr schöpfen, desto mehr verlernen wir womöglich, eigene Ideen zu entwickeln.

Kreative Arbeit mit KI: Warum es ein Problem sein kann

Eine KI spuckt uns nie wirklich Neues aus. Sie nutzt vorhandene Informationen und mischt sie neu zusammen. Sie kombiniert, was sie gelernt hat – aus Milliarden von Datensätzen, aus bereits Geschriebenem, Gesungenem, Gemaltem. Und das macht sie beeindruckend gut. Doch es birgt die Gefahr, dass es keine echte Quelle für Neues mehr gibt. In einer Studie aus dem Jahre 2025 „Generative KI und Kreativität: Eine systematische Literaturübersicht und Meta-Analyse“ – mit über 8.000 Teilnehmenden – wurde untersucht, wie sich KI auf die Kreativität von Menschen auswirkt. Das Ergebnis war zwiespältig: Menschen, die mit einer KI zusammenarbeiteten, hatten mehr Ideen als ohne. Aber: Die Ideen waren weniger vielfältig, also oft ähnlich gestrickt. KI kann uns beim Kreativsein also unterstützen, weil sie uns schneller auf Ideen bringt. Aber wenn wir uns zu sehr auf sie verlassen, denken wir vielleicht nicht mehr so „um die Ecke“ wie früher.

Zudem funktioniert menschliche Kreativität auch anders. Sie entspringt oft aus einem Gefühl, einer Erinnerung, einem Zufall – aus Fehlern, Unsicherheiten, Aha-Momenten. Aus echten Erfahrungen. Wenn wir also nur auf die KI vertrauen, nehmen wir uns die Chance, unsere eigene Sichtweise einzubringen – und das ist der Kern jeder echten menschlichen Kreativität. Für Immanuel Kant, ein deutscher Philosoph, bedeutet Kreativität zum Beispiel, etwas zu erschaffen, das nicht bloß nachahmt – sondern als originär gilt und als Vorbild dienen kann. Da würde die Kreativität der KI also nicht reinpassen. Trotzdem kann kreative Arbeit auch mit KI gelingen.

Wie kreative Arbeit mit KI gelingen kann

Stift und Papier – der erste Schritt: Wir starten auf einem Blatt Papier und schreiben auf, was wir machen wollen. Wir brainstormen frei – ohne KI. Was ist unser Thema? Welche Stimmung wollen wir erzeugen? Welche Botschaft steckt dahinter? Wir zeichnen lose Gedankennetze, verknüpfen Ideen, notieren Bilder, Gefühle oder Sätze. So sprechen wir erst einmal aus unserem Inneren – denn genau hier liegt der Ursprung unserer Kreativität.

KI kommt später ins Spiel: Wir nutzen sie nicht, um statt uns zu denken, sondern um mit uns zu denken. Wir geben der KI zum Beispiel unser Brainstorming und bitten sie, daraus neue Assoziationen zu entwickeln oder eine Struktur vorzuschlagen. Sie kann uns helfen, Lücken zu erkennen oder ungewöhnliche Wendungen zu finden. Doch wir entscheiden, was wir davon übernehmen. Wir bleiben die Leitung, aus der die kreative Arbeit entsteht.

Testen und ändern: Beim Schreiben können wir die KI nutzen, um Dialoge zu testen, Stilvarianten durchzuspielen oder Gliederungen zu entwickeln. Beim Gestalten hilft uns KI, Farbkonzepte auszuprobieren, Kompositionen zu simulieren oder Bildideen aus Wörtern zu generieren. Aber: Wir nehmen das nicht als Endprodukt – sondern als Impuls, um unser Werk weiterzuentwickeln.

Ideen reifen lassen: Wir lassen uns nicht täuschen von der Geschwindigkeit der KI. Kreativität braucht manchmal Umwege, Zweifel, Pausen. Wir halten diese aus. Wir begreifen KI als Werkzeug und nicht als Abkürzung – dann kann sie uns inspirieren, provozieren, vielleicht sogar über uns hinauswachsen. Aber sie kann uns nie ersetzen. Der große Fehler, den wir machen, ist, uns täuschen zu lassen – aus Faulheit. Unser Mindset muss darauf eingestellt sein, dass die kreative Quelle aus uns selbst kommt. Veröffentlichen wir direkt ein KI-generiertes Bild fallen oft erst später die Ungereimtheiten ins Auge. Doch auch Texte brauchen oft einen Reifungsprozess, bei dem man selbst nach ein paar Tagen oder besser noch ein anderer schaut, ob es auch wirklich stimmig ist. 

Eine Künstlerin zeigt, dass kreative Arbeit mit KI funktioniert

Ein spannendes Beispiel für kreative Arbeit mit KI ist die Musikerin und Klangkünstlerin Holly Herndon. Sie hat schon früh angefangen, mit KI nicht nur zu experimentieren, sondern sie aktiv in ihren kreativen Prozess einzubinden, und zwar auf eine ganz eigene, künstlerische Art.

Für ihr Album PROTO hat sie eine eigene KI namens „Spawn“ mitentwickelt. Das Besondere: Diese KI wurde mit ihrer eigenen Stimme trainiert. In sogenannten „Training Ceremonies“ hat sie zusammen mit anderen Sänger*innen live gesungen – dabei hat nicht nur die KI von ihr gelernt, sondern auch sie von der KI. So ist eine Art musikalischer Dialog zwischen Mensch und Maschine entstanden. Herndon sieht KI nicht als Ersatz, sondern als kreativen Sparringspartner. Sie spricht oft davon, dass sie durch die KI neue Klangideen bekommt, auf die sie alleine nicht gekommen wäre – aber immer so, dass sie selbst entscheidet, was daraus wird. Besonders spannend ist auch ihr Projekt Holly+, bei dem andere mit ihrer digitalen Stimme arbeiten können – aber nur mit ihrer Zustimmung. Es geht ihr darum, kreative Kontrolle zu behalten, nicht einfach alles freizugeben.

Die Problemstellen der Kreativität und KI in der echten Welt:

Ja, anhand des obigen Beispiels mit Holly Herndon sehen wir, dass KI und Kreativität vereinbar sind. Doch gerade dort, wo wir diese Verbindung am dringendsten bräuchten, stehen wir noch vor großen Herausforderungen – in der Schule und in der Arbeitswelt.

In Schulen etwa fehlt es nicht nur den Schülerinnen und Schülern an Erfahrung im kreativen Umgang mit KI, sondern oft auch den Lehrkräften. Viele von ihnen haben nie gelernt, wie man KI sinnvoll in den Unterricht einbindet und wie man sie als Werkzeug für kreatives Arbeiten nutzt, statt nur als schnelle Antwortmaschine. Das führt dazu, dass KI im Klassenzimmer entweder gar nicht vorkommt oder als Abkürzung verteufelt wird.

Ein möglicher Ansatz wäre, Lehrkräfte gezielt zu schulen und ihnen praktische Beispiele an die Hand zu geben. Denkbar wären zum Beispiel spezielle Kurse im Kunstunterricht, in denen gemeinsam mit KI experimentiert wird. Man könnte ein Gedicht schreiben und es anschließend mit KI visualisieren, ein Musikstück komponieren lassen und es dann gemeinsam interpretieren oder verändern oder eine Bildidee mit KI generieren und anschließend von Hand weiterentwickeln. Solche Projekte würden nicht nur zeigen, wie man KI kreativ nutzen kann, sondern auch, dass der wichtigste Impuls immer vom Menschen kommt.

Ähnlich sieht es im Arbeitsalltag aus. In vielen Berufen wird KI vor allem genutzt, um Zeit zu sparen und so früh wie Möglich Feierabend zu machen. KI ist zwar praktisch, aber wenn wir uns nur auf Effizienz konzentrieren, verpassen wir die Chance, mit KI neue Ideenräume zu erschließen. Kreative Lösungen entstehen, wenn wir KI als Sparringspartner verstehen, statt als Ersatz menschlicher Kreativität.

Fazit: Nimmt KI uns die Kreativität ab?

Wenn wir kreative Arbeit mit KI einfach nur an sie abgeben, laufen wir Gefahr, unsere eigenen Impulse ähnlich wie das Kopfrechnen durch den Taschenrechner zu verlieren. Doch genau diese Impulse – Gefühle, Erinnerungen, innere Beweggründe, sind der Ursprung echter menschlicher Kreativität. KI kann ein mächtiges Werkzeug sein, aber sie fühlt nicht für uns. Sie ist kein Ersatz für unser eigenes Denken, Fühlen, Ausprobieren. Wer den Stift zuerst selbst in die Hand nimmt, seine Gedanken sortiert, Ideen testet und mit KI in Dialog tritt, statt sich von ihr steuern zu lassen, kann sie gezielt nutzen – als kreative Erweiterung, nicht als Krücke.

Holly Herndon zeigt eindrucksvoll, wie kreative Arbeit mit KI gelingen kann: Sie macht KI zum Klangkörper, zum Gegenüber, zum Resonanzraum. Nicht zur schnellen Lösung, sondern zum Ausgangspunkt für Neues. Vielleicht ist genau das der Weg: Nicht entweder Mensch oder Maschine, sondern gemeinsam, aber bewusst. Kreativität beginnt in uns – und KI kann uns dabei helfen, sie neu zu entfalten. Wenn wir es zulassen. Und wenn wir sie führen.


Image by: cottonbro studio via pexels

 


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