Internet Manifest – Nachlese

Photo: alviman

Vor gut vier Wochen veröffentlichten einige im Web bekannte Journalisten und ihre Bekannten das Internet Manifest. Sie wandten sich damit vordergründig gegen Zeitungsverleger, die eine Überarbeitung der Gesetze verlangen, damit sie ihr bisheriges Geschäftsmodell bewahren können. Das bestand bis dato darin, dass man Reichweiten (Leser), die durch ein Übergewicht an Agenturtexten aller Art und einigen intern erstellten Artikeln enstanden war, an Anzeigenkunden verkaufte. Aber das war gar nicht das Problem der Unterzeichner.

Denn fälschlicherweise erklärten die Journalisten, dass sie glaubten, der eigentliche Mehrwert zu sein, der das Geld in die Kassen der Verleger brachte. Dabei waren es zumeist Kleinanzeigen und Stellenangebote, die den Gewinn steigen ließen. In Wahrheit lag dieser Wert also in den Lesern selbst. Da jetzt fast alle Stellenanzeigen auf Online–Stellenbörsen oder bei Xing gelandet sind, Kleinanzeigen durch eBay obsolet wurden, sank der Stern der Verlage zunehmend. Gleichzeitig stieg der Anteil an Massenware in den Zeitungen: Mantelredaktionen versorgen heute Dutzende von Zeitungen und der Rest kommt aus den Presseagenturen oder wird mehr oder weniger offensichtlich von PR–Agenturen beigesteuert und erhält in den Redaktionen einen neuen Teasertext (der erste Absatz) und einige marginale Überarbeitungen, damit keiner sofort merkt, wer den Text bezahlt hat.

Die 15 Unterzeichner des Internet Manifests arbeiten fast alle für eben diese Verlage, die so arbeiten. Aber statt sich über die enorme Ausbeutung der freien Autoren zu mokieren oder diesen Verfall an Qualität zu ereifern, pflücken sich die Damen und Herren die letzten Google–Angstschreie der Verleger und ihrer Diener (Burda wird enteignet, Konken mag das Internet nicht) raus und begründen mit ihnen eine seltsame Auffassung eines neuen Begriffs von Journalismus. Da kommt kein Wort von Networked Journalism, kein Civil Journalism und auch keine Beteiligung an dem Projekt Postjournalismus vor. Man kocht eine eigene Suppe, die glücklicherweise auch noch internationale Anerkennung findet und in viel Sprachen übersetzt wird. Da man mit Online–Journalismus (Untertitel: So funktioniert Journalismus heute) kein großes Zielpublikum erreichen kann, setzt man kurzerhand Schlüsselthemen wie Netzsperren (Zensursula) und Netzneutralität (Schäuble, IPv6) in einer trivialen Form mit dazu und fertig ist eine Deklaration der technoliberitären Art, wie wir es schon damals vor über 10 Jahren bei John Perry Barlow erleben durften:

Die Freiheit der Webnutzer geht über alles. Die Freiheit des Netzes selbst ist die Freiheit der Gesellschaft. Und das Netz muss frei bleiben.

Menschen oder Lebensentwürfe ohne Netz kommen nicht vor. Und um es vorsichtig zu bezeichnen, auch die Arbeit von Journalisten kommt dort eigentlich nicht vor. Recherche wird nicht diskutiert. Das Verhältnis zwischen PR und den freien Autoren kommt nicht vor. Und das Einbinden politischer Initiativen der Bürger in die journalistische Arbeit wird nicht einmal angedacht. In Amerika wird seit zwei Jahren um partizipative Modelle gerungen, die in den oben angeführten englischen Fachbgegriffen eine Ausdifferenzierung andeuten – sei es in die Richtung, dass Bürger eingebunden werden in die vierte Macht des Staates oder ein Netzwerk aus freien Journalisten zusammen mit anonymen Hinweisgebern aus der Wirtschaft und Politik eine neue Art der öffentlichen Kontrolle einführen. Auch die neuen Finanzierungsmodelle, wie sie beim National Public Radio in den USA über Mitgliedsgebühren, Spenden à la Knight Foundation und praktische Hilfen der Bürger stattfinden, finden keinen Widerhall im Manifest. Werbung wird dort fokussiert. Und wenn man sich an ein Interview anlässlich des „Kommunikationskongresses“ (PR–Event) erinnert, bei dem die Mitunterzeichnerin Mercedes Bunz erklärte, dass Werbung journalistischer werden müsse, dann wird die Verwunderung über die Ignoranz des Manifests gegenüber der aktuellen globalen Diskussion über das Web und politische Teilhabe sowie Journalismus nicht nachvollziehbarer.

Die Kritik war global und umfassend und entzündete sich zumeist an den Personen, die das Manifest unterzeichneten. Die anfängliche Kritik daran, dass im Web 2.0 gemeinsame Meinungsbildung stattfindet, führte für einige Tage dazu, dass schnell im Nachhinein ein Wiki für die Web–Community eröffnet wurde, bei dem jeder seine Meinung posten konnte. Als ein Foto auftauchte, das einige Unterzeichner in wenig schmeichelhafter Pose zeigte, wurde es wieder geschlossen. Das Ganze erinnert sehr an die missglückte Pressekonferenz im Sommer, bei der ein Telekommunikationsunternehmen, das sich ausgerechnet zwei deutsche Webpromis wie Nico Lumma und Sascha Lobo als Berater und Testimonial ausgesucht hatte, keine Ruhmestaten vollbrachte. Dort wurde auf dieselbe Weise Frontaltheater betrieben, das in seiner höchsten Form der Demokratie eine Zustimmung oder Ablehnung herausforderte und den Gedanken des neuen Journalismus’ oder einer Demokratisierung per Web, die in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt sehr erfolgreich und vielversprechend realisiert ist, auf schlimme Weise konterkariert.

Diejenigen, die bei den arrivierten Verlagen und Sendern Geld damit verdienen, als Sprachrohre einer neuen Plattform der gesellschaftlichen Kommunikation zu fungieren, erklären im besten manipulativen Gebrauch der Sprache, die einem Werbetexter zur Verfügung steht, eine fiktive Welt zur Realität, die sowohl im Web wie auch außerhalb bedeutend vielschichtiger ist. Aber diese Schichten sind nicht Teil des Manifests, wie alle Unterzeichner nicht müde werden zu erklären. Man wollte eine Diskussion anstoßen.

Jetzt, fünf Wochen später, ist die Spurenlese nach der Diskussion zu einem Fall für Nick Knatterton verkommen, der mit seiner Lupe Indizien für einen Diskurs finden muss. Leider ist da nichts mehr. Dieselben Themen, die das Manifest für seine Poularität nutzte, sind noch immer frei vom Thema Online–Journalismus, Burda hat es Google nachgemacht und einen eigenen News–Aggregator in das Nirvana der digitalen Welt geschossen ohne besondere Relevanz oder Können attestiert zu bekommen und die Manifestierer schreiben und drehen weiterhin als bezahlte Kritiker derjenigen, die sie kritisieren (sollen) wollten. Einen Interessenkonflikt können sie weiterhin nicht erkennen. Sie haben uns sehr gut den Unterschied zwischen Reichweite und Relevanz erklärt. In den Lehrbüchern des Online–Marketings kann dies als Lehrstück dafür gelten, dass enorme Reichweite eine enorme Tendenz dazu hat, sich „zu versenden“. Der „Impact“, also die Wirkung, kann in homöopathischen Verdünnungen nachgewiesen werden. Es hat eben keinen Sinn, mit einem Minigolfschläger auf einem Golfplatz aufzutauchen und alle Hinweise auf einen Driver beim Abschlag mit einem wissenden Lächeln abzutun – auch dann nicht, wenn man Minigolfweltmeister ist. Das musste auch Vodafone schmerzlich lernen. Zum Glück hatten die ein Bauernopfer namens Schnutinger. Das Bauernopfer der nicht geführten Debatte um partizipative Modelle des Journalismus’ steht noch staunend an der Schaufensterscheibe des Internets. Ob es je erfahren wird, dass es mit dem Internet Manifest ein Chance gehabt hätte, an der vierten Macht teilzunehmen? So wird es also auch weiterhin von einer intelligenten Presse im Web mit intelligenter Werbung an intelligente Werbekunden verhökert – und es weiß noch immer nicht, dass nicht Bürger, sondern Reichweite genannt wird.

Achja, wer dachte, dass ich zu Bodo Hombachs Artikel zum Internet Manifest Stellung nehme, dem kann ich nur sagen, dass Bodo Homach kein Journalist ist, nie als Journalist gearbeitet hat und in der Folge keine sachgerechte Einschätzung zum Thema abgegeben kann, wie er selbst eindrucksvoll dargelegt hat.

Mehr dazu hier und hier und hier und hier.

Photo: alviman

  ist seit 1999 als Freier Autor und Freier Journalist tätig für nationale und internationale Zeitungen und Magazine, Online-Publikationen sowie Radio- und TV-Sender. (Redaktionsleiter Netzpiloten.de von 2009 bis 2012)


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5 comments

  1. das manifest war in seiner schuelerzeitungshaftigkeit und intellektuellen duerftigkeit nicht zu ueberbieten. die neuer anpasser generation hat wenig zu bieten ausser woche fuer woche immer aufs neue als interneterklaerer ihr butterbrot zu verdienen. in absehbarer zeit ist endlich schluss damit. und auch fuer diese art duenbrettbohrerei, die es nicht mal schafft irgendwelche gueltigen popkulturellen feststellungen zu treffen.

  2. Naja, dass die Unterzeichner keine Intellektuellen sind, machen sie wohl aus einem gewissen libertären Selbstverständnis heraus als positiven Wert geltend. Das ist ja durchaus weit verbreitet. Legion sind die Mitschüler aus ferner Zeit, die sich genauso wie wir umschauten und bekannten, nichts für die Klausur gelernt zu haben, weil es XYZ im Fernsehen gab und dann „zufällig“ doch eine Eins schrieben.

    Das größere Problem ist die populistische Wirkung. Man muss ja unterstellen, dass die „Dünnbrettbohrerei“ gezielte Absicht war. Der kurzzeitige und vollständig unreflektierte globale Widerhall hat ja eher eine entlarvende Wirkung für die gesamte „digitale Bewegung“ gehabt. Ich würde da schon gerne weiter differenzieren. Denn man kann 15 Leute nicht unterstellen, hitzköpfig gemeinsam mal eben einen Text zu verfassen. Mir kam es eher vor wie eine gelenkte Revolution, die bewusst die empfindlichen Stellen eines beginnenden Diskurses mit viel Schmierseife und Konfetti glatt streichen wollte. Aber es kann auch mein grassierender Verschwörungstheorieinfekt sein, der mich glauben läßt, „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“.

  3. Etwas ungeduldig, Herr Wittkewitz. Die Debatte setzt jetzt erst ein. Hombach hat reagiert und derzeit versuchen zwei Organisatoren Debatten zwischen Verlagsmanager und Autoren des Manifestes hinzubekommen – was weniger an der zweiten Gruppe liegt. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen.

    Also: Es tut sich eine Menge.

    Was die Visionen betrifft: Dieses Papier sollte ein Gegenentwurf zur Hamburger und Heidelberger Erklärung sein (ja, das hätten wir explizit schreiben sollen). Weshalb es keine Visionen enthält, sondern vor allem die Gegenwart.

    Und in der, übrigens, wird online Geld verdient. Von Verlagen. Sie sagen es nur nicht. Mehr dazu demnächst in der Indiskretion Ehrensache.

  4. Das selbst ernannte Manifest fiel in die Zeit des BT-Wahlkampfs und der Debatten um die Piraten. Eine Zeit, wo jeder noch schnell etwas sagen wollte. Mich hat erstaunt, wie wenig Leser und Blogger erkannt haben, wie dünn diese Suppe war. Statt am Thema zu arbeiten, haben die Autoren nur formuliert und dann regnete es Resonanz wegen der Formulierungen. Und erstaunlich ist auch, dass die Autoren stolz zu sein schienen auf die Tütensuppe. Wobei Lobo offenkundig mehr von Geltungssucht als von irgendetwas anderem getrieben zu sein scheint. Er ist beinahe so etwas wie ein männliches Gegenstück zu Jenny Elvers – viel Antrieb, in den Medien irgendwie präsent zu sein, wenig harte Arbeit dafür. Über kurz oder lang wird er beim Fernsehen landen, da bin ich mir ganz sicher. Video-Mätzchen macht er ja schon. Ich will hier aber gar nicht persönlich werden, solche Selbstdarsteller haben ja manchmal auch etwas Erfrischendes. Nur ist das Manifest insgesamt von einem Begehren nach hoher Aufmerksamkeit unterhöhlt. Deshalb redet da jetzt eigentlich schon keiner mehr drüber, stattdessen sind und bleiben die Probleme auf dem Tisch, die du in deinem Beitrag ansprichst: Es geht um Medien-Ökonomie als Voraussetzung für Medien-Produktion. Kosten gibt es immer. Es fragt sich wer dafür bezahlt. „User-generated Content“ ist ein Spendenmodell und in hohem Maße korrumpierbar. Paid-Content ist schwer durchsetzbar in einem Internet, das von den User als Gratis-Welt und Ramschbude genutzt wird. Im Moment tendiert alles dazu, das Internet zu einer Mischform von Anzeigenblatt (90% der jornalistischen Inhalte) und gespendeten Good-Will-Content zu machen. Toll ist das alles nicht und vor allem nicht mehr lange durchhaltbar. Die Verlagskrise führt zu einer „Content-Krise“. Der Berufsstand des gelernten Journalisten ist medienweit auf dem Rückzug. Es kann gut sein, dass alle die, die heute das Internet wie bekloppt bejubeln, sich in ein paar Jahren die Augen reiben werden…

  5. @Knüwer
    Für die „Menge an Veröffentlichungen“ sehe ich keine Belege, abgesehen von den seltsam substanzlosen Kritiken in message und beim Westen abgesehen. Dass diese Debatte eigentlich an dem Tag zuende war, als Friede, Liz und Angie sich zum Canasta zusammensetzen, um ein Leistungsschutzrecht zu deklamieren, dass an jenes der Musik/Filmverleger anschließen sollte, dürfte klar sein. Ich hoffe inständig, dass ab jetzt Werbung mitten im Film, während eines Songs und innerhalb der Notenblätter auftaucht, damit wenigsten da Gerechtigkeit entsteht.

    Dass sich um eine Postulat des status quo handeln soll, sagte ja der bescheidene Untertitel „So funktioniert Journalismus heute“. Mein Problem ist, dass es sich um eine Art Leistungskatalog libertärer Herkunft handelt, die wir zumeist (abgesehen von der offenbar heiß geliebten Werbung) schon bei John Perry Barlow vor 12 Jahren lesen durften. Und auch damals war das ganze sehr stark an die Leistungspflegerdiskussion, die Sloterdijk jetzt wieder beatmet, angelehnt: Wer sich Breitband, mobiles Web und Notebooks leisten kann, der soll auch die Freiheit genießen, damit zu tun, wie ihm beliebt.

    Das mag bei der in Internetkreisen üblichen Selbstvergessenheit einer technologisch überinformierten Kaste noch ganz verständlich sein.
    Die Presse hat allerdings eine kontrollierende Funktion gegenüber der Politik und eine transferierende Aufgabe gegenüber den verwalteten Menschen, um ihnen die Stimme zu verleihen, die die Politiker im schlimmsten Sinne Sloterdijks nicht hören möchten, weil die Armen ja so wenig produzieren und daher eigentlich besser überhört werden sollten.

    Das Manifest, in seiner technolibertären Ausrichtung erwähnt mit keinem Wort die eigentlich tief demokratische Aufgabe der Vermittlung zwischen Himmel in Berlin und Plebs an der Bushaltstelle. Viel schlimmer, es bedient die restaurativen Kräfte der Verlegerfamilien aufs Trefflichste. Wenn sich die Unterzeichern mit den Verlagsmanagern treffen, dann wird da ja nur eine Hierarchieebene mit ihren freien Mitarbeitern zusammentreffen. Glauben Sie nicht, dass es da ein Problem der Diskussion auf gleicher Augenhöhe geben kann? Lobo will ja sogar Werbung bei denen unterbringen, bzw. von denen auf seine Blogmaschinen lenken. Das ist eine denkbar ungünstige Konstellation für die Diskussion zwischen den drei Eckpfosten Autoren, Lesern und Verlagen.

    Die Unterzeichner vertreten nämlich keine der drei beteiligten Gruppen legitim.
    Das Aushalten einer breiten und zum Teil auch sehr volksnahen Diskussion hätte eine Legitimation bedeuten können. Aber das Wiki war ja schnell wieder dicht. Und ob es eine gute Idee ist so eine Legitimation ohne einen Open Space durchzuführen möchte ich bezweifeln.

    Ja, einige wenige Verlage verdienen Geld im Netz. Was genau bedeutet das für die Diskussion um Partizipation, hyper-personalized Newsstreaming, hyperlocal journalism, civil journalism, Postjournalismus?

    Differenzierung erreicht man nicht durch das Aufzählen möglichst vieler Aspekte eines Themenfeldes sondern durch das begründen und erklären möglichst vieler Perspektiven darauf.

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