Spin off! – Vom Transfer von Forschung zum Unternehmertum in Deutschland

Die Wirtschaftswoche berichtet von einem deutschen Paradox: Der Bund investiere mehr denn je in Forschung – und Einrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft schwimmen im Geld. „Allerdings machen sie daraus zu wenig: Denn es entstehen kaum neue Unternehmen.“

Als positives Gegenbeispiel nennt die Wochenzeitschrift das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Zwischen 2005 und 2018 gründeten Mitarbeiter dort 65 Firmen, die auf vor Ort geleisteter Forschung aufbauen – damit liege das Zentrum klar vor allen anderen Forschungszentren. „Während immerhin fast vier Fünftel der Institute der Helmholtz-Gemeinschaft, zu der auch das KIT gehört, zwischen 2005 und 2018 mehr als eine Ausgründung hervorbrachten, gab es bei der Fraunhofer-Gesellschaft bei knapp der Hälfte der Institute kein oder nur ein Spin-off. Noch schlechter sieht es bei der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft aus“, schreibt die Wiwo.

Das ernüchternde Ergebnis gehe aus der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der FDP hervor. „Die Forschungsverbünde sollen gesellschaftlichen Nutzen stiften, deshalb bekommen sie Geld vom Staat. Ohne Ausgründungen verkommt dieser Anspruch allerdings zur Lachnummer“, kritisiert Thomas Sattelberger, forschungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: Das gelte gerade für die stark auf Transfers ausgerichtete Fraunhofer-Gesellschaft. Auch die Max-Planck-Gesellschaft könne sich nicht mit ihrem Fokus auf Grundlagenforschung herausreden. „Deutschland investiert in Forschung wie ein Weltmeister. Aber andere Länder holen die Medaillen.“

Sattelberger-Analyse nicht stichhaltig

Die Frage ist nur, ob diese Kritik wirklich ins Schwarze trifft. Professor Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, hält die Analyse von Sattelberger für nicht stichhaltig. Damit meint er vor allem die Vergleiche zur Helmholtz-Gesellschaft oder zur Fraunhofer-Gesellschaft. „Wir haben deutlich kleinere Institute, die zudem in Gebieten forschen, in denen ein Spin-Off per se eher unwahrscheinlich ist. Dazu gehören auch eine Reihe von Instituten, die im geistes-, sozial- und humanwissenschaftlichen Bereich forschen. Es sind vor allem die Life Sciences und die Informatik, die als potentiell anwendungsnah gesehen werden können.“

Ohnehin sei eine präzise und umfassende „Return-on-investment-Quote“ öffentlicher Aufwendungen für die Grundlagenforschung – entgegen den Vorstellungen von Herrn Sattelberger – auch schwierig zu errechnen, insbesondere aufgrund der oft langen Zeiträume, die zwischen Entdeckung und Anwendung liegen.

Der Nutzen von Erkenntnissen

„Der Nutzen, den die Grundlagenforschung bereitstellt, bemisst sich darüber hinaus nicht nur in Patenten, Lizenzen und Ausgründungen. Erkenntnisse haben einen Wert an sich. So stellt die Klimaforschung bereits seit Jahrzehnten wichtige Daten zum Fortschreiten des Klimawandels und seinen Folgen bereit. Nur: Die Gesellschaft macht zu wenig aus diesen Erkenntnissen. Grundlagenforschung stellt einen Pool an Ideen bereit, aus dem die Gesellschaft schöpfen kann, wenn es um neue Lösungen für die Zukunft geht. Demnach und ihrer Mission folgend, rekrutiert die Max-Planck-Gesellschaft nicht unter dem Gesichtspunkt der möglichen Realisierung von Ausgründungen, sondern orientiert sich am potentiellen Erkenntnisgewinn“, sagt Stratmann.

Forschung macht Technik alltagstauglich

Eine Reihe von Forschungsbeispielen belege zudem, dass der Indikator Ausgründungen nicht ausreicht. „So hat Jens Frahm vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie die MRT revolutioniert und sie zu einem der bedeutendsten bildgebenden Verfahren in der klinischen Diagnostik gemacht. Die von ihm und seinem Team in den 1980er Jahren entwickelte FLASH-Technologie reduzierte die Bildaufnahme-Raten von Minuten auf Sekunden – erst damit wurde das MRT alltagstauglich. 2010 beschleunigten Frahm und sein Team die MRT-Aufnahmen ein weiteres Mal erheblich auf bis zu 100 Bilder pro Sekunde, indem sie ein neues mathematisches Verfahren für die Bildrekonstruktion nutzten“, erläutert Christina Beck, Leiterin Abteilung Kommunikation der Max-Planck-Gesellschaft, im Gespräch mit den Netzpiloten.

Die Technik erlaube es, beliebige Vorgänge im Inneren des Körpers wie ein schlagendes Herz oder komplexe Abläufe wie das Sprechen oder Schlucken direkt zu beobachten. Für seine Arbeiten wurde Jens Frahm 2018 mit dem Europäischen Erfinderpreis ausgezeichnet. Die Technologie wird von Unternehmen wie Siemens und Bruker genutzt, die MRT-Apparate herstellen. Keine Ausgründung, aber unverzichtbar für die Herstellung und Anwendung des bildgebenden Verfahrens.

Mit Theorie zum Quantencomputer

Ein weiteres Beispiel für den langen Weg von der Grundlagenforschung in die Anwendung sind die Arbeiten von Ignacio Cirac vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Er ist theoretischer Physiker und als solcher ein Wegbereiter der zweiten Quantenrevolution. Seine theoretischen Arbeiten haben den Grundstein gelegt für wegweisende Experimente zu Quantencomputern und Quantenkryptographie. In einer Publikation von 1995 erklärten Cirac und sein Kollege Peter Zoller, wie man mit Ionenfallen einen Quantencomputer bauen könnte. „Ohne diese theoretischen Grundlagen wären die Arbeiten von IBM und Google gar nicht vorstellbar und damit auch nicht der jüngst gefeierte Meilenstein bei der Entwicklung eines Quantencomputers“, so Beck. Nicht alle Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung vollziehen sich in der Produktwelt.

Anreize für unternehmerische Umsetzung schaffen

Forscher seien per Definition zunächst einmal keine Gründer, betont Professor Tobias Kollmann von netCAMPUS: Theorie für die Digitale Wirtschaft: „Sie erforschen die theoretischen Grundlagen und sind auch im Selbstverständnis nicht dafür da, diese auch in marktfähige Produkte umzusetzen. Und solange zudem eine Ausgründung für diese Forscher nicht die gleiche Reputation unter Kollegen hat, wie eine Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Journal, haben sie ferner auch keinerlei Anreiz dazu.“ Dieses Grundproblem könne man nur im Ansatz lösen, indem man entweder schon in den Berufungsverfahren neben der wissenschaftlichen Qualifikation auch auf eine Entrepreneurship-Kompetenz gleichberechtigt achtet, oder ganz klare Anreizmechanismen einführt, die eine unternehmerische Umsetzung stimuliert. Ansonsten bleibe nur ein klare Trennung in der öffentlichen Erwartungshaltung mit Spitzen-Theorie auf der einen und Entrepreneurship-Praxis auf der anderen Seite. „Den Outpacer-Theorie-Gründer-Prof gibt es halt nur sehr selten“, weiß Kollmann.

Funktionierender Austausch von Wissenschaft und Wirtschaft

Professor Julian Kawohl von der Hochschule für Technik und Wirtschaft sieht Nachholbedarf im Ausbildungssystem: Man brauche an Universitäten und Fachhochschulen ein anderes Mindset. „Hier sollten gezielte Investitionen in Lehrstühle und Praxiskooperationen erfolgen, um den Studierenden das Ausgründen noch weiter zu vereinfachen.“

Entscheidend für den funktionierenden Transfer von Forschungserkenntnissen in die unternehmerische Anwendung ist nach Ansicht von Professor Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, ein funktionierender Austausch von Fachleuten zwischen Wissenschaft und Wirtschaft – zum Beispiel über Ausgründungen. „Fraunhofer bringt mit Weltklasse-Hightech und unternehmerisch denkenden Forschern erfolgreiche Spin-Offs an die Märkte – 30 allein in 2018, über 260 seit 2005: Echter Gründergeist für Spitzentechnologie. Ausgründungen sind ein integraler Bestandteil der Verwertungsaktivitäten der Fraunhofer-Gesellschaft. Sie sind eine wichtige und vor allem effektive Brücke zwischen Forschung und Wirtschaft und ein direkter Katalysator für den Innovationstransfer.“

Für Deutschland sei es von zentraler Bedeutung, die Förderung von Ausgründungen aus der Wissenschaft auszubauen und nachhaltig zu verstetigen. „Mit dem Fraunhofer Technologie Transfer Fonds unterstützen wir junge Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Forschungswelt und leisten einen wichtigen Beitrag zur Übertragung neuer Technologien aus dem Labor in die wirtschaftliche Wertschöpfung. Um Hürden zur Zusammenarbeit zu senken, interessierten Unternehmen regionale Anlaufstellen und Start-ups effektive Innovationsökosysteme anzubieten, betreiben wir bei der Fraunhofer-Gesellschaft zudem 17 Leistungszentren als Infrastruktur für Forschungstransfer in Deutschland“, resümiert Neugebauer.

Themenschwerpunkte klarer kommunizieren

Dennoch könnte eine stärkere Fokussierung in Forschung und Technologieentwicklung ratsam sein. Zu diesem Urteil gelangt Professor Volker M. Banholzer vom Forschungsschwerpunkt Innovationskommunikation der Technischen Hochschule Nürnberg. Helfen könnte dabei ein Blick zu den Nachbarn in Nordeuropa. „Ein starkes Signal ist die jüngste gemeinsame Erklärung der Staatschefs der nordischen Nationen und der CEOs der führenden Unternehmen im Norden, die sich nicht nur vage für eine grüne Ausrichtung von Entwicklung aussprechen, sondern eine gemeinsame Selbstverpflichtung abgeben. Grüne Technologie wird als Chance gesehen, Themen wie TrustworthyAI sind gesetzt und Responsible Research and Innovation wird ernst genommen.“

Das sollte man aber nicht auf Gründungen reduzieren. „In den nordischen Volkswirtschaften stehen Entrepreneur und Intrapreneur gleichberechtigt nebeneinander“, erläutert Banholzer. Gerade Digitalisierung, Algorithmen und Künstliche Intelligenz zeigen, dass technologische Entwicklungslinien eher komplex seien und nicht monokausal gesteuert werden können. „Deshalb ist der Diskurs über diese Dinge so wichtig und gerade da hat Deutschland noch einiges nachzuholen“, betont Banholzer.

ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , ,