Digital Natives – Über die naiv-kompetenten Web-Youngsters

Eine junge Generation von Internetnutzern steht gerade im Zentrum der Aufmerksamkeit von Forschern, Telekommunikationsunternehmen und Internetdiensten: die Digital Natives. Eine Nutzergruppe, die nicht mehr zwischen Online- und Offline-Identität unterscheidet, die sich Nachrichten über Facebook und StudiVZ zusendet statt E-Mails und für die YouTube zum täglichen Leben gehört wie für Ältere die allabendliche Tagesschau. Die Digital Natives sind mit den digitalen Medien aufgewachsen, bewegen sich seit ihren Kindertagen im World Wide Web. Dadurch verändern sie Einstellungen von Identität und Privatheit, ihr Lernverhalten und nicht zuletzt die Arbeitswelt – so zumindest einige Thesen.

Nur zu logisch, dass es für die Generation, die das Internet scheinbar mit der Muttermilch aufgesogen hat, eigene Netzwerke gibt: DNAdigital will die auf den Arbeitsmarkt drängenden Digital Natives mit „Topentscheidern“ in Kontakt bringen. Kreativer, offener, vernetzter – das seien die Vorteile der Digital Natives. Im Gegensatz zu ihnen müssten sich ältere Nutzer, die „Digital Immigrants“, ihre Fähigkeiten zu einer späteren Zeit im Leben aneignen. Daher hinkten sie den Natives in Sachen Medienkompetenz immer ein Stückchen hinterher – und würden sich nie im gleichen Maße im Netz zu Hause fühlen.

Marc Prensky, Designer für e-learning Games und Web-Experte, machte den Begriff 2001 mit seinem Artikel „Digital Natives, Digital Immigrants“ [PDF] erstmals in der breiteren Öffentlichkeit bekannt. Mittlerweile beschäftigt sich ein gemeinsamer Forschungszweig der Harvard Universität und der Schweizer Universität St. Gallen mit der jungen Nutzergruppe. Gleich mehrere Bücher machen sie zum Thema: So etwa Johann Günthers „Digital Natives & Digital Immigrants“ [Amazon] und das in der Forschungsarbeit von Harvard und St. Gallen entstandene „Generation Internet. Die Digital Natives: Wie sie leben – Was sie denken – Wie sie arbeiten“ von Urs Gasser und John Palfrey [Amazon].

Tatsächlich stellen Teens und Twens heute die größte Nutzergruppe: In Deutschland haben laut ARD/ZDF-Onlinestudie fast 97 Prozent der 14-19-Jährigen Zugang zum Internet. Für sie ist das WWW das Medium Nummer eins, sie verbringen mehr Zeit im Netz als mit jedem anderen Medium. 120 Minuten pro Tag sind sie online – dagegen sitzen sie etwa 100 Minuten vor dem Fernseher und hören 97 Minuten Radio. Von den 20-29jährigen sind immerhin noch fast 80 Prozent regelmäßige Internetnutzer.

Doch wie kreativ sind sie dabei wirklich? Die Produktion eigener Inhalte ist auch für die jungen Nutzer eher die Ausnahme. Nur etwa ein Drittel ist laut der ARD/ZDF-Studie überhaupt daran interessiert. Auch die gute alte E-Mail ist noch längst nicht tot: Von den 20-29-Jährigen wird sie wesentlich häufiger genutzt (zu 96 Prozent) als etwa Chats oder Foren (46 Prozent) oder Instant Messaging (60 Prozent). Senden und empfangen von E-Mails und die Nutzung von Suchmaschinen gehören zu den beliebtesten Internetaktionen – bei den 14-Jährigen wie bei den 60-Jährigen. Auch Weblogs werden nur von einer Minderheit der jungen Nutzer gelesen oder gar selbst geführt. Die OECD berichtet in einer Studie [PDF], dass knapp über 20 Prozent der 16-24-Jährigen Deutschen eine eigene Website oder ein Blog betreiben würden.

Wesentlich häufiger als die „Immigrants“ nutzen die Digital Natives allerdings interaktive Medien. Zum großen Teil findet man sie in den Social Networks von StudiVZ bis MySpace. 68 Prozent der Teenies und immerhin noch 57 Prozent der Twens haben laut ARD/ZDF-Studie ein Profil bei einem Social Network-Anbieter. Beliebt ist alles, worüber man sich mit Freunden unterhalten kann: Nach dem OECD-Report haben fast 65 Prozent der 16-24-Jährigen Nachrichten in Chats, Newsgroups oder Foren geschrieben. Hier vernetzen sie sich mit Freunden, machen neue Bekanntschaften und tauschen Nachrichten aus.

Das bringt aber auch neue Probleme mit sich: Social Networks, Chats und Instant Messaging Systeme (IMS) bauen auf die Eingabe persönlicher Daten – und der Großteil der Digital Natives gibt diese nur zu freizügig über sich preis. Denn die Datenschutzrichtlinien der Websites lesen die Wenigsten, wie Gasser und Palfrey in ihrem Buch anhand von Interviews mit jungen Nutzern feststellen. Es fehle häufig ein Bewusstsein dafür, dass der scheinbar private Raum der Netzwerke tatsächlich komplett öffentlich sei. So landet dann auch das ein oder andere Knutschfoto bei SchülerVZ – und kann spätestens bei einer Bewerbung negative Auswirkungen haben.

Eine andere Frage ist, wie gut die jungen Internetnutzer zwischen glaubwürdigen und weniger glaubwürdigen Informationsquellen unterscheiden können. In Deutschland findet laut ARD/ZDF-Onlinestudie zwar nur eine Minderheit der Internetnutzer Infos auf Weblogs vertrauenswürdig – in den USA vertrauen junge Nutzer dagegen schon sehr auf User Generated Content, will eine Studie von Capgemini festgestellt haben [PDF]. Und nicht zuletzt die Wikipedia ist bei Schülern und oft auch Studenten erste Anlaufstelle für Informationen– was in dem nutzergenerierten Online-Lexikon steht, wird schon stimmen, so die Annahme.

Noch nicht jeder junge Internetnutzer ist gleich ein Digital Native. Denn noch bestimmen häufig der Wohnort oder der Geldbeutel der Eltern, ob ein Zugang zum Internet überhaupt möglich ist: Die flächendeckende Anbindung von ländlichen Gebieten ist noch nicht gegeben, Kinder aus einkommensschwachen Schichten und Migranten haben häufig nicht dieselben Zugangschancen wie ihre Altersgenossen. Zurzeit unterscheidet sich die Internetnutzung eines Abiturienten mehr von der eines Hauptschülers als von der eines gut ausgebildeten, netzaffinen Erwachsenen – die Zugehörigkeit zu den Digital Natives ist weniger eine Frage des Alters als eine der Zugangsmöglichkeiten, das schreiben auch Palfrey und Grasser in ihrem Buch. Zudem bedarf es medienkompetenter Anleitung, der Vermittlung eines Bewusstseins für Datenschutz, Privatsphäre und Informationsbewertung, damit Kinder sich zu Digital Natives entwickeln können. Daher müssen ausreichend Zugangs- und auch Schulungsmöglichkeiten geschaffen werden, damit nicht ein Teil der Jugendlichen ins digitale Abseits gerät.

ist freie Journalistin. Von April 2007 bis September 2008 absolvierte sie ein Volontariat bei politik-digital.de und arbeitet heute under anderem für Zebralog. Privat bloggt sie unter More Sexappeal In Politics.


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22 comments

  1. Interessant in dem Zusammenhang ist auch die aktuelle Allensbach-Studie (http://www.acta-online.de/ unte Präsentationen), die die Veränderung der Mediennutzung beobachtet. Die kommt noch mal auf ein paar andere Zahlen als die ARD/ZDF-Studie: So würden 11 Prozent der Internetnutzer etwa ein Weblog führen und Video-Inhalte einstellen – was dann doch ziemlich viele wären.

  2. Ein sehr guter Artikel findet man unter (ist leider in Englisch):

    Locative media and the city: from BLVD-urbanism towards MySpace urbanism by Martijn de Waal

    „The city of the digital natives

    Most of these theories see the city as a purely physical space. So, how do these theories hold up in the era in which the city is saturated with media networks such as, to name just a few, GPS, WIFI, UMTS, HSDPA, GSM? Now that mobile and locative media change our interaction with our environment, no longer do we just experience the physical city itself: we SMS and chat with distant friends who in our minds are near at hand. We can inquire about our location, or leave virtual graffiti for those who’ll pass by after us. We can withdraw our attention from our actual surroundings, and into the mediated spaces of these networks. Or we can actively engage with our surroundings through the screens of our mobile phones.“

    http://www.receiver.vodafone.com/locative-media-and-the-city

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