Blind im Web: Ein Stück Normalität

Braille
Das Internet und moderne Hilfsmittel machen es möglich: Blinde lesen
Zeitung, gehen einkaufen und können arbeiten. In einer kleinen Serie stellt Heiko Kunert das blinde Netz vor.

„Das versteht doch kein Mensch“, sagt mein Chef, wenn er die künstliche und monotone Stimme meines Rechners hört. Schnell spricht sie, sehr schnell. Ich habe mich an sie gewöhnt, stelle die Geschwindigkeit immer höher. Schließlich will ich – wie alle Webuser – schnell sein: aktuelle Infos bekommen, neueste Artikel kaufen, in Echtzeit kommunizieren – und das alles ohne Augenlicht.

Das Internet bedeutet für blinde und sehbehinderte Surfer einen großen
Schritt in die Gesellschaft. Es ermöglicht Normalität. Manch eine Barriere
fällt weg. Mithilfe eines Screenreaders werden Bildschirm-Inhalte so
strukturiert, dass sie an Sprachausgaben und Braillezeilen weiter geleitet werden können. Die synthetische Stimme liest mir Nachrichtenseiten vor. Kleine Punkte huschen über eine Leiste, die vor meiner Tastatur liegt; auf der Braillezeile kann ich mit den Fingern Texte im Web lesen.

Der Zugang zu aktuellen Nachrichten war für blinde und sehbehinderte
Menschen vor dem Internet nur über Radio und TV möglich. Die thematische Breite einer Tageszeitung war unerreichbar. Selbst Wochen-Magazine konnten nicht in Blindenschrift übersetzt werden. Braille braucht zuviel Platz und ist in der Produktion zu teuer. Im Online-Zeitalter sind Breaking News, Hintergrund-Artikel und multimediale Informationen auch für uns selbstverständlich.

Und wir können shoppen. Ganz gleich ob Amazon, Ebay, Schlecker,
Herrenausstatter oder der Bioladen vor Ort. Blinde und sehbehinderte
Computer-Nutzer sind beim Einkauf nicht mehr auf Hilfe angewiesen. In
unserer Konsum-Gesellschaft ist dieser Zugewinn an Freiheit nicht zu
unterschätzen.

Das Web und die modernen elektronischen Hilfsmittel schaffen Jobs. Die
meisten Büro-Arbeiten rund um den PC sind auch für blinde und sehbehinderte Arbeitnehmer möglich. Es gibt blinde Programmierer, Bürokaufmänner und -frauen, Onlineredakteure und PR-Fachleute. Sie verwalten ihre Kontakte am PC, versenden E-Mails, pflegen selbst Nachrichten in Websites ein. Internet sei Dank!

Über den Autor

Heiko Kunert (32) ist Sprecher des Blinden- und Sehbehindertenvereins
Hamburg
. Er ist mit sieben Jahren durch einen Tumor
erblindet. In seinem Blind-PR-Blog schreibt er über seine Arbeit als blinder PR’ler und das ganz normale Leben in Hamburg. Im zweiten Teil seiner Blogpiloten-Reihe berichtet er über die blinde Blogosphäre.

Die Netzpiloten nehmen immer mal wieder Gastpiloten mit an Bord, die über ihre Spezialthemen schreiben. Das kann dann ein Essay sein, ein Kommentar oder eine kleine Artikelserie.


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