Bakterien machen es möglich: Wie man eine mikroskopische „Windfarm“ simuliert

Viele der Energieherausforderungen, mit denen unsere Gesellschaft sich konfrontiert sieht, setzen Gigawatt an Strom voraus, aber noch viel mehr sind sehr klein – manche von ihnen sind sogar mikroskopisch winzig. Wenn es darum geht, eine neue Generation von winzigen Mikromaschinen anzutreiben, die Medikamente liefern oder Spuren von Umweltverschmutzung beseitigen könnten, sehen sich Physiker verstärkt in der Biologie nach Inspirationen um.

In einer Arbeit, die in dem Wissenschaftsjournal Science Advances veröffentlicht wurde, stellen meine Co-Autoren und ich eine Simulation einer Art winziger „Windfarm“ vor, die durch die natürliche Selbstorganisation von Bakterien betrieben wird. Es ist ein kleiner Schritt in Richtung der Möglichkeit, das Energiepotenzial von Mikroorganismen nutzbar zu machen.

Von aktiven Flüssigkeiten angetriebene Windfarmen

Wir nutzten Computersimulationen, um viele schwimmende Bakterien modellhaft darzustellen, beispielsweise die E. coli, die man im Verdauungstrakt findet. Eine dichte Ansammlung dieser in Flüssigkeit schwimmenden Bakterien unterscheidet sich nicht sonderlich von herkömmlichen, Flüssigkeiten, doch es gibt eine wichtige Ausnahme: Sie geraten von selbst in Bewegung und bilden sich inwendig drehende Strömungen. Physiker haben sich darauf geeinigt, alles, was sich auf diese Weise spontan bewegt, eine „aktive Flüssigkeit“ zu nennen. Das sieht ungefähr so aus:

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Zunächst platzierten wir einen einzelnen, scheibenförmigen Rotor in der Mitte dieser Ansammlung chaotisch wirbelnder Düsen. Da der Rotor an einem Ort fixiert war, jedoch frei rotieren konnte, drehten die Verwirbelungen ihn willkürlich in alle Richtungen, wie eine Wetterfahne in einem Hurrikan.

Als wir jedoch eine ganze Reihe an nahe beieinander platzierten Rotoren einsetzten, wurden wir Zeuge, wie etwas Interessanteres passierte. Komplexere Arten der biologischen Selbstorganisation nachahmend organisierten sich die Rotationen spontan. Jeder Rotor drehte sich in die entgegengesetzte Richtung seines Nachbarn.

Jeder einzelne Rotor in unserer Simulation folgte diesem Muster durchgängig, solange die Rotoren nahe genug beieinander lagen und ein Wirbel bakterieller Flüssigkeit um jeden von ihnen gefangen war. Diese geordnete Drehbewegung erinnerte uns an eine mikroskopische Windfarm, angetrieben nicht von Windböen, sondern von den Bakterien, die sie umgaben.

Klartext: Was passiert?

Ohne die Rotoren fließen die chaotischen Wirbel der bakteriellen Strömungen willkürlich in alle Richtungen. Aber als wir die Rotoren hinzufügten, brachten diese Ordnung in das ungeordnete Durcheinander.

Da die Wirbel nicht ganz zwischen zwei Rotoren passten, begannen die Bakterien, immer und immer wieder um jeden Rotor herumzuwirbeln. Auf eine Art und Weise wurden die Rotoren zum mechanischen Herzstück jedes wirbelnden Stromes von Bakterien. Sie fixierten die Wirbel an einem Ort und im Gegenzug gewährleisteten die Bakterien die permanente Drehung der Rotoren.

Die Bakterien und die Rotoren bilden eine Partnerschaft, und dank dieser Zusammenarbeit tritt spontan ein organisiertes Muster auf. Physiker nennen diese natürliche Entstehung eines Musters „Selbstassemblierung“. Von Selbstassemblierung spricht man dann, wenn einfache Bausteine sich in komplexen Strukturen organisieren oder sich selbst heilen. Es handelt sich um einen spontanen, aber gesteuerten Vorgang.

Selbstassemblierung ist nirgends offensichtlicher als in sich entwickelnden Gewebeproben, wo Zellen sich kollektiv in einen bestimmten Teil eines Organismus’ bewegen. Beeindruckende Beispiele einer solchen multizellularen Kooperation sind unter Anderem Gastrulation, eine frühe Stufe in der Entwicklung eines Embryos von einem Zellklumpen zu einem vollwertigen Organismus, oder die Volvox Inversion, bei der eine Kolonie einzelliger Algen sich umstülpen. Allerdings sind diese Beispiele beide rein biologischer Natur.

Mikroskopische CyborgsMicroskop (image by PublicDomainPictures [CC0] via Pixabay)

Unser virtueller Prototyp zeigt einen spezifischen Fall einer biologischen aktiven Flüssigkeit, die mit einfachen, von Menschen gemachten Komponenten interagiert. Die Tatsache, dass sowohl eine biologische aktive Flüssigkeit als auch winzige Mikrorotoren benötigt werden, um dieses Ergebnis zu erzielen, zeigt, dass die natürliche Evolution bereits unglaublich effiziente aktive Materialien hervorgebracht hat, die wir uns für den Betrieb biomechanischer Maschinen zunutze machen könnten.

Tatsächlich arbeiten viele von uns Physikern bereits an Systemen, die sowohl biologische als auch mikromechanische Komponenten beinhalten, die zusammenkommen und sich selbst organisieren. So haben Wissenschaftler gerade beispielsweise einen Rochen-ähnlichen schwimmenden Roboter mit einem mikrosstrukturiertem Skelett und einem Gummikörper entwickelt, der von Herzmuskelzellen angetrieben wird.

Das ist das Langzeitziel: Winzige Maschinen zu bauen, die nicht im Konflikt mit der Natur stehen, sondern nahtlos mit ihr zusammenarbeiten oder sogar von ihr abhängig sind. Unsere Fähigkeit, die Welt auf einer mikroskopischen Ebene zu manipulieren, stellt für die Zukunft eine aufregende Perspektive dar.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image „Koli Bakterien“ by geralt [CC0]


ist EMBO Longterm Fellow an der Oxford-Universität und gehört dem Team um Professorin Julia Yeomans an, das theoretische und computergestützte Methoden einsetzt, um die Physik weicher Materie und biologischer Systeme zu erforschen.


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