Die fragwürdigen Geschäftspraktiken von TEMU

Während einige in Amazon den Teufel in Onlineshop-Gestalt sehen, pirscht sich mit Temu aus China das nächste Unheil an. Okay, von anpirschen kann man eigentlich nicht reden. Die sozialen Medien werden längst von Videos geflutet und seit kurzem macht der Onlineshop auch mit Fernsehwerbung auf sich aufmerksam.

Das Versprechen: Alles, was das Herz begehrt – zu Preisen, die kaum zu unterbieten sind oder sogar mit Gratis-Tablets. Für viele Konsumenten klingt das nach einem wahren Paradies des Online-Shoppings. Doch hinter den bunten Werbeanzeigen und verlockenden Schnäppchen offenbart sich ein Geschäftsmodell, das zunehmend in die Kritik gerät.

Fragwürdige Produktionsbedingungen, undurchsichtige Datenpraktiken und aggressive Marketingstrategien werfen einen Schatten auf den kometenhaften Aufstieg des Unternehmens. Verbraucherzentralen und Experten schlagen Alarm: Die niedrigen Preise könnten mit erheblichen sozialen, ökologischen und ethischen Kosten verbunden sein.

Wir haben uns die problematischen Geschäftspraktiken von Temu genauer angeschaut und verraten euch, warum ihr den neuen Shop-Giganten mit Vorsicht genießen solltet.

Arbeitsrechtliche & ethische Kritik

Ein erheblicher Kritikpunkt an Temu betrifft die Arbeitsbedingungen und ethische Standards in seiner Lieferkette – sowohl gegenüber Zulieferern als auch im eigenen Mutterkonzern.

Im Juni 2023 veröffentlichte der US-Repräsentantenhaus-Ausschuss für strategische Konkurrenz einen Bericht, der Temu einen eklatanten Mangel an Compliance-Mechanismen attestiert. Demnach betreibe das Unternehmen überhaupt kein System zur Überprüfung der Einhaltung des „Uyghur Forced Labor Prevention Act“ (UFLPA) – lediglich eine formelhafte Zustimmung seiner Lieferanten reiche als Schutzmaßnahme aus. Dies verdeutlicht ein erhebliches Risiko, dass Produkte aus dem Gebiet Xinjiang, wo Zwangsarbeit von Uiguren dokumentiert ist, in die Lieferkette gelangen könnten.

Dieses strukturelle Problem bekräftigt der Wikipedia-Eintrag: Temu habe keinerlei Compliance-System, um den Anforderungen des UFLPA gerecht zu werden – es bestehe ein „extremely high risk“ für Zwangsarbeitskreuzkontaminationen. Auch über 20 US-Bundesstaaten forderten im August 2024 Aufklärung zu Temus Arbeitsbedingungen und Folgen für Verbraucherrechte.

In Europa geriet Temu ebenfalls unter Druck: Im Januar 2025 wurden leitende Vertreter von Temu und dem Konkurrenten Shein vor das britische Parlamentskomitee für Wirtschaft und Handel geladen. Der zuständige Jurist von Temu versicherte, dass keine Verkäufer aus der Region Xinjiang zugelassen seien, räumte aber zugleich ein, dass das Thema Zwangsarbeit auf der Agenda stehe.

Zudem liefert der 2024er Ethical Fashion Report ein düsteres Gesamtbild: Sowohl Shein als auch PDD Holdings – Temus Mutterkonzern – schnitten besonders schlecht ab. Die Bilanz beklagt fehlende Lieferketten-Offenlegung, keinerlei Maßnahmen zur Vermeidung von Ausbeutung und das Fehlen verlässlicher Sozial- oder Umweltstandards. Präsentiert werden Berichte über massive Überstunden, teils bis zu 75 Wochenstunden bei Zulieferern.

Schnäppchenverlockung & irreführende Verkaufsstrategien

Temu lockt seine Nutzer mit extrem niedrigen Preisen, kostenlosen Produkten und vermeintlich limitierten Angeboten – ein Mix aus aggressivem Marketing und psychologisch kalkulierter Verkaufsstrategie. Dabei kommen zahlreiche sogenannte Dark Patterns zum Einsatz. So nennt man manipulative Designentscheidungen, die Nutzer zu unüberlegtem Verhalten verleiten sollen.

Ein zentrales Element ist die starke Gamification der Einkaufserfahrung. Wer die App öffnet, wird sofort mit Glücksrädern, Geschenkboxen oder Countdowns konfrontiert. Diese vermitteln den Eindruck vermitteln, jetzt und nur kurzzeitig besonders günstige Angebote zu erhalten. Dieses künstlich erzeugte Zeitlimit setzt Nutzer unter Druck – ein klassischer Trick, um spontane Kaufentscheidungen herbeizuführen.

Besonders kritisch ist die Praxis, Nutzer durch In-App-Spiele, Empfehlungsboni und Produktbewertungen zu animieren, Kontakte einzuladen oder positive Rückmeldungen zu hinterlassen. Dies führt nicht nur zu einer viralen Verbreitung der App, sondern untergräbt auch die Glaubwürdigkeit von Bewertungen. In vielen Fällen sind die 5-Sterne-Bewertungen nicht das Resultat echter Zufriedenheit, sondern Teil eines Belohnungssystems.

Zudem suggeriert Temu häufig exorbitante Rabatte, die auf fiktiven „Originalpreisen“ basieren. Ein Produkt, das für 2,49 € angeboten wird, wird gerne als „Reduziert von 39,99 €“ deklariert – obwohl es keinen realen Beleg für diesen Ursprungspreis gibt. Solche irreführenden Preisvergleiche stehen bereits in der Kritik von Verbraucherzentralen und waren unter anderem Gegenstand eines Verfahrens durch das Schweizer SECO im Frühjahr 2025.

Verbraucherschutzorganisationen wie BEUC (Bureau Européen des Unions de Consommateurs) werfen Temu vor, durch diese Mechanismen gegen die EU-Verordnung über digitale Dienste (DSA) zu verstoßen. Das führte auch zu einer Untersuchung der europäischen Komission. Im Juli 2025 kam die EU-Kommission zumindest zur vorläufigen Feststellung, dass man auf Temu höchstwahrscheinlich nichtkonforme Produkte findet.

Daten- und Datenschutzbedenken

Temu steht zunehmend im Fokus datenschutzrechtlicher Kritik – und das keineswegs ohne Anlass. In den vergangenen Monaten haben mehrere US-Bundesstaaten Klagen gegen die Plattform eingereicht, die schwerwiegende Vorwürfe erheben: Der Nebraska Attorney General wirft Temu vor, Telefon- und Nutzerdaten unrechtmäßig zu erfassen und dabei Kinder mit einzubeziehen. Laut der Anklage häufe Temu „Daten ein, einschließlich von Kindern, nutze multiple irreführende Praktiken, um Käufe anzuregen, erlaube Fälschungen und Counterfeits und nutze Greenwashing-Marketing“.

In Kentucky ging das Vorgehen noch weiter: Die Klageschrift spricht von Malware, die ins Nutzergerät eingeschleust werde, Daten stiehl und diese „direkt an die chinesische Regierung“ sende. Laut einem Bericht des Wall Street Journal schlossen sich weitere Bundesstaaten – darunter Arkansas, Illinois und New York – diesen Verfahren an. Die zentralen Vorwürfe: Temu sammele heimlich sensible Daten, installiere Malware und ermögliche so Zugriff durch die chinesische Regierung.

Parallel dazu haben Verbraucherschützer auch die datenschutzrechtlichen Praktiken der App selbst unter die Lupe genommen. Die Plattform verlangt Zugang zu sehr weitreichenden Nutzerinformationen – inkl. Bank- und Zahlungsdaten, Sozialmedia-Links, geografischen und technischen Gerätedaten, sowie Mediendateien wie Fotos und Audioaufnahmen. Experten warnen, dass solche Daten in China gesetzlich einforderbar sein könnten – ein Risiko, das weit über das vertrauten europäische Datenschutzniveau hinausgeht.

Auch eine aktuelle Untersuchung der Verbraucherorganisation Which? macht auf Temus übermäßigen Datenhunger aufmerksam. Die App verschickte binnen 30 Tagen allein 23 Marketing-Mails – ein Hinweis auf aggressive Datennutzung – und gehört zu den datenhungrigsten Apps im Vergleich.

Doch Temu reagierte bereits: Um abzulenken und mögliche Kritik zu mildern, schloss das Unternehmen eine Datenhosting-Vereinbarung mit Oracle. US-Nutzerdaten sollen nun lokal gespeichert werden. Doch Analyst:innen sind skeptisch – insbesondere angesichts paralleler staatlicher Klagen.

Wie macht Temu überhaupt Gewinn?

Bei den teils absurd niedrigen Preisen muss man sich allerdings auch fragen, wie Temu überhaupt wirtschaftlich bleiben kann. Das können sie allein schon, weil sie lediglich als Vermittler zwischen den tatsächlichen Händlern und dem Kunden fungieren. Temus Anteil am Verkauf ist dabei abhängig von mehreren Faktoren, wie etwa geschalteter Werbung. Teils geht Temu aber auch bewusst Verluste ein um zu wachsen. Diese werden teils durch Subventionen abgefedert.

Auch Temu-System davon, dass man kaum Markenprodukte vertreibt. Stattdessen sind es meist chinesische Händler, die ihre Produkte ohne große Lager- und Logistikkosten direkt aus der Fabrik verkaufen. Mittlerweile findet man dort aber auch immer wieder bekannte Marken. Hierbei muss man sich aber auch mit Plagiaten rechnen. 

Schließlich kommen die Arbeitsbedingungen in den produzierenden Fabriken hinzu. Wie schon weiter oben erwähnt, gibt es wenig Überwachung ob ethische Standards bei den produzierenden und verkaufenden Unternehmen eingehalten werden.

Temu & Co und das große Zoll-Problem

Dass Temu aus China trotzdem so billig verkaufen kann liegt auch an einigen Tricks, die beim Paketversand genutzt werden. Unter anderem die Zollfreigrenze von 150 Euros. Größere Bestellung teilt Temu daher in mehrere Pakete auf, die einzeln jeweils unterhalb des Zollfreibetrags bleiben. Teurere Produkte sollen zudem wohl öfter billiger billiger deklariert werden, um Zollkosten zu umgehen. Das ist außerdem kein exklusives Problem mit Temu, sondern gilt auch für andere Plattformen wie Shein.

Zwar ließen sich die Sendungen kontrollieren, doch der Zoll ist derzeit vollkommen überfordert. Eine Kommunikation der EU-Kommission zum E-Commerce veranschaulich das Problem in Zahlen. Laut dieser wurden 2024  fast 4,6 Milliarden Waren im Wert von unter 150 Euro in die EU importiert. Von diesen kamen 91% allein aus China.

Zum Vergleich: 2023 waren es noch 2,3 Milliarden und 2022 nur 1,4 Milliarden Waren. Beides jeweils nahezu Verdopplungen zum Vorjahr. Bei über 12 Millionen Paketen unter 150 Euro pro Tag in der EU lassen sich daher auch nur stichprobenartige Kontrollen durchführen. Selbst wenn einzelne Pakete dadurch aus dem Verkehr gezogen werden, fällt dies für Temu und Co einfach nicht ins Gewicht. Der EU entgehen dagegen Zölle in Milliardenhöhe.

Die EU versucht das Problem künftig mit strengeren Richtlinien einzudämmen. Zudem ist die Einführung einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von zwei Euro pro Sendung für Pakete aus dem Onlinehandel im Gespräch. 

Sollte man Temu boykottieren?

Ob man eine Plattform wegen ihrer Geschäftspraktiken boykottieren sollte, muss natürlich jeder für sich entscheiden. Was rechtlich unzulässig ist haben schließlich andere zu entscheiden.

Wo Preise ungewöhnlich niedrig ist, muss man immer vermuten, dass dahinter auch eine Art der Ausbeutung steht. Das gilt ebenso für günstige Kleidung im Supermarkt. Selbst in der Produktionskette für Marken-Elektronik besteht eine hohe Chance, dass etwa die Gewinnung von Kobalt oder seltenen Erden unter menschenunwürdigen und hochgradig umweltschädlichen Bedingungen geschieht. 

Bei Temu sammeln sich aber eben ein paar „Red Flags“ mehr. Zudem könnt ihr euch bei den No-Name-Produkten wenig auf die Qualität verlassen, was am Ende für noch mehr Elektroschrott sorgt. Hinzu kommen teils lange Lieferzeiten. Dann vielleicht doch lieber seltener aber aus zuverlässigeren Quellen bestellen. Das macht auch den Zollbeamten das Leben leichter.


Image by Preis_King via Pixabay 

Das Internet ist sein Zuhause, die Gaming-Welt sein Wohnzimmer. Der Multifunktions-Nerd machte eine Ausbildung zum Programmierer, schreibt nun aber lieber Artikel als Code.


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