Ob Tänze, neue Trends oder Comedy – wer die App TikTok auf seinem Handy öffnet, möchte in der Regel unterhalten werden. Die Nutzer*innen sehen auf der sogenannten For You-Page einen endlosen Strom verschiedenster Videos. Obwohl sich die einzelnen TikToks in Inhalt und Art stark voneinander unterscheiden können, lässt sich dennoch eine Gemeinsamkeit beobachten: Der jeweilige Inhalt scheint wie für die individuellen User gemacht zu sein. Warum sehen wir auf TikTok also nur das, was uns ohnehin schon interessiert, das was wir kennen, denken und mögen? Welche Implikationen kann dies haben, wenn man bedenkt, dass auf der Plattform vielfältige Informationen geteilt werden und eben nicht nur harmloser Unterhaltungscontent? Eine mögliche Konsequenz sind Filterblasen auf TikTok.
Personalisierung durch Lernalgorithmen
Die Grundlage für das Phänomen lässt sich im TikTok-Algorithmus wiederfinden. Besonders relevant ist dabei die erwähnte For You-Page. Sie ist das Erste was den Nutzer*innen begegnet, wenn sie die App öffnen. Die Videos laufen hier in Dauerschleife und mit einem kurzen Wischen geht es von einem Clip zum nächsten. Was angezeigt wird ist kein Zufall: TikToks Recommendation System, oder auch Empfehlungssystem, basiert auf dynamischen Lernalgorithmen. Diese analysieren das Verhalten der Nutzer*innen und passen die Inhalte entsprechend an. Der Algorithmus reagiert dabei auf verschiedene Engagement-Signale, etwa Likes, Kommentare oder auch die Verweildauer auf einzelnen Videos. So erstellt er einen individuellen Feed entsprechend der persönlichen Interessen, ein Vorgang der den Usern selten bewusst ist.
Neben der algorithmischen Grundlage gibt es weitere Ursachen außerhalb der digitalen Welt, welche die Entstehung der Filterblasen auf TikTok begünstigen. Eine dieser Begebenheiten stellt die im menschlichen Verhalten verankerte Bestätigungsneigung, oder auch „Confirmation Bias“ dar. Diese kognitive Neigung führt dazu, dass Menschen bevorzugt Informationen oder Quellen auswählen, die ihre eigenen Meinungen und Erwartungen bestätigen. Ein weiterer Faktor leitet sich aus einem Teil der Netzwerktheorie ab. Dort geht es darum, wie Knoten innerhalb eines Netzwerkes die Veranlagung aufweisen können, sich mit ähnlichen Knoten zu verbinden. Übertragen auf soziale Netzwerke beschreibt dann die sogenannte „soziale Homophilie“, dass die Menschen den Kontakt zu anderen Menschen mit gleicher oder ähnlicher Einstellung bevorzugen.
Wechselwirkungen und Echokammern
Diese äußeren Faktoren und das algorithmische Gerüst bedingen sich schließlich gegenseitig, denn je mehr sich ein Mensch in seinen Ansichten bestätigt fühlt und je stärker sein Interesse an einem Thema ist, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit für eine lange Verweildauer, Likes oder Kommentare. Im Grunde also für sämtliche Interaktionen, die dem Recommendation System signalisieren, hier besteht Bedarf für mehr Videos dieser Art. Betrachtet man beispielsweise die soziale Homophilie, so liegt es nahe, dass Nutzer*innen genau den Menschen folgen, deren Inhalte mit den eigenen Ansichten übereinstimmen. Dies ist zwar nachvollziehbar, sorgt aber dafür, dass der Algorithmus diese Präferenz weiter bestärkt. Wer also regelmäßig mit gleichgesinnten Inhalten interagiert, signalisiert dem System die Relevanz dieser und beschränkt somit potentiell die inhaltliche Vielfalt.
Was bedeutet das jetzt für die Filterblasen und wie sehen diese aus? Sich mit Menschen zu umgeben die die gleichen Hobbys, Interessen oder Werte haben ist grundsätzlich nichts Neues. Auf diese Weise entstanden auf TikTok verschiedene Subcommunities wie „BookTok“ oder „FitTok“, in denen – wie der Name schon vermuten lässt – Empfehlungen im Bereich von Literatur und Fitness konsumiert werden. Während es hier jedoch mehr um den Austausch über gemeinsame Hobbys geht, zeichnen sich klassische Filterblasen vor allem durch die algorithmisch bedingte Einschränkung inhaltlicher Vielfalt aus. Diese Selektion wird besonders relevant wenn es um Informationen und Meinungen geht. So begünstigen Filterblasen auch die Entstehung von Echokammern, also von Kontexten, in denen kaum abweichende Meinungen oder Information aufkommen. Hiermit gehen potentielle Gefahren einher.
Gesellschaftliche Folgen: Polarisierung und beschädigte Diskussionskultur
Innerhalb solch einer Blase steigt die Wahrscheinlichkeit eines homogenen und geschlossenen Weltbildes. Menschen nehmen Inhalte wahr, die ihre Meinung bestätigen, andere blenden sie aus. Dies kann zu Verstärkungseffekten führen und bestehende gesellschaftliche Probleme verschärfen. Überzeugungen werden radikaler und die Spaltung nimmt zu. Ein konstruktiver Austausch von Meinungen wird erschwert oder vermieden. Mit Blick auf die Diskusssionskultur stellt dies eine besonders kritische Entwicklung dar, denn wenn Nutzer*innen sich nur in bestätigenden Kontexten bewegen, sinkt die Fähigkeit mit Widerspruch umzugehen und die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen – sowie gegenteilige Argumente ernst zu nehmen – nimmt ab. Eine Gefahr rührt auch daher, dass problematische Inhalte, wie Desinformation und Hassrede oft eine hohe Aufmerksamkeit generieren und der Algorithmus sie deshalb verstärkt ausspielt.
Die gesellschaftlichen Folgen sind keine abstrakte Theorie. Der Einfluss von Social Media Plattformen wie TikTok wird auch in der Praxis spürbar. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist die Querdenker-Bewegung, die sich im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt hat. Was zunächst als Verunsicherung oder Kritik an staatlichen Maßnahmen begann, entwickelte sich in vielen Fällen zu einer radikalen Gegenposition. Nutzer*innen, die mit dem Verschwörungscontent interagierten, die Videos bis zum Ende schauten, wurden immer wieder neue Inhalte dieser Art ausgespielt. Faktenbasierte Informationen zum Virus wurden so zunehmend aus dem Feed exkludiert, da der Algorithmus sie als weniger relevant eingestuft hat. Laut einer aktuellen repräsentativen Allensbach-Umfrage glauben immerhin 44% der befragten TikTok-User, Corona sei absichtlich zur Kontrolle inszeniert worden. Die Erhebungen stammen aus Ende 2024.
Gleichzeitig kritisierten, verspotteten und grenzten viele diese Bewegung stark aus. Konstruktive Kritik an Desinformation und der Hinweis auf Schutzmaßnahmen waren dabei durchaus berechtigt. Doch auch auf der Gegenseite zeigte sich oft wenig echte Gesprächsbereitschaft. Die verhärteten Fronten verdeutlichen, wie stark Filterblasen die Diskussionskultur belasten und zur gesellschaftlichen Spaltung beitragen können.
Was tun gegen Filterblasen – und warum es schwierig ist
Es gibt dennoch Möglichkeiten die Filterblasen auf TikTok aktiv zu durchbrechen, etwa indem man bewusst neuen Accounts folgt, gezielt mit gegensätzlichen Perspektiven interagiert oder den Algorithmus durch untypisches Suchverhalten beeinflusst. Die Plattform selbst bietet die Option Videos als uninteressant zu markieren, um den Feed zu optimieren. Paradoxerweise kann es sinnvoll sein, diese Funktion dann zu nutzen, wenn Inhalte zwar interessieren, aber zu einseitig erscheinen. Die Verantwortung scheint letztlich also bei den Nutzer*innen zu liegen.
Aus Plattformperspektive ergibt das Sinn, denn: Je interessierter ein User, desto mehr Zeit verbringt er auf der App und je länger auf der App verweilt wird, desto profitabler ist das für TikTok. Der App selbst liegt also weniger an inhaltlicher Ausgewogenheit, als an möglichst langer Nutzungszeit. Filterblasen verstärken das Engagement, Vielfalt hingegen birgt das Risiko Nutzer*innen zu verlieren.
Sich aktiv gegen die Filterblasen auf TikTok zu wehren erscheint unbequem und verfehlt das, was viele sich von dem Nutzungserlebnis erhoffen: Entspannung, Unterhaltung und ein „Berieseln-Lassen“. Wer der Blasenbildung entgegenwirken will, muss Aufwand betreiben und sich mit irritierenden oder langweiligen Inhalten auseinandersetzen. Deshalb bleibt dieser Weg für viele unattraktiv. Umso wichtiger ist es, die konsumierten Inhalte während des Berieseln-Lassens zu hinterfragen und seine eigenen Gewohnheiten zu prüfen. Das Bewusstsein über den unscheinbaren und unsichtbaren Algorithmus kann dabei helfen, eigene Blasen zu erkennen.
Wir sollten Social Media also nicht nur als reine Unterhaltung betrachten, sondern auch kritisch reflektieren, wie es das eigene Denken prägen kann.
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