Flashmobs und Flamenco als Werkzeuge politischen Protests

Der berühmte spanische Flamenco-Tanz hat sich durch die Vermischung mit modernen Protestformen zu einem politischen Werkzeug entwickelt. Flamenco stellt möglicherweise Spaniens verführerischstes Kulturphänomen dar, das von den Stereotypen Sonne, Leidenschaft und wehendem, schwarzen Haar charakterisiert wird. Politischer Protest und soziales Engagement kommen einem bei dem Gedanken an Flamenco weniger in den Sinn. Für einige Künstler stellte er jedoch schon immer ein wirksames Mittel zum Ausdruck politischen Protests dar. Heute mehr als je zuvor.

Spanien hat immens unter der Weltwirtschaftskrise gelitten – insbesondere Andalusien, die südlichste Region des Landes, die am engsten mit Flamenco in Verbindung gebracht wird. Der Neoliberalismus hat seinen Tribut von der spanischen Bevölkerung, die unter der höchsten Arbeitslosenquote in Europa leidet, gefordert. Im Jahr 2011 führte dies zu der berüchtigten Protestbewegung 15M (Indignados), die Millionen Bürger im ganzen Land gegen die politischen Sparmaßnahmen nach der Bankenkrise mobilisierte.

Auf dem Rücken dieser Bewegung hat die Flashmob-Gruppierung Flo6x8 dem Flamenco eine neue Idnetität als starke politische Waffe verliehen. Diese antikapitalistische Gruppierung wurde weitläufig bekannt für ihre politischen Darbietungen, die in Banken und sogar im andalusischen Parlament stattgefunden haben. Den Körper und die Stimme als Werkzeug verwendend, führt die Gruppe genau choreografierte Acciones (Aktionen) vor irritiertem Bankpersonal und Kunden auf. Diese Darbietungen werden aufgenommen, später online gestellt und erhalten eine immense Reichweite.

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Über eindeutig politische Texte prangern Flo6x8 die Bankenkrise sowie die Sparmaßnahmen durch den europäischen Rettungsschirm an. Durch ihre Anklage an öffentliche, kapitalistische Räume senden die Künstler eine kraftvolle politische Nachricht aus, die den Status quo infrage stellt. Diese Darstellungen brechen zudem mit den typischen Geschlechterstereotypen des Flamenco. Das exotische, verführerische und orientalische Bild der weiblichen Tänzerin wird auf den Kopf gestellt. Sie werden in diesen Aufführungen stattdessen zu kraftvollen, politischen Figuren.

Die Gruppe ist der Überzeugung, dass sie den Flamenco repolitisiert und ihn zu seinen historischen Wurzeln zurückführt. Heutzutage ist der Flamenco eng verbunden mit der Weltmusikbranche und dem Tourismus. Die Ursprünge des Flamencos erzählen jedoch eine andere Geschichte. Flamenco findet seinen Ursprung in sozialen Randgesellschaften wie den Sinti und Roma, Grubenarbeitern und anderen benachteiligten, andalusischen Gruppen. Liedtexte aus dem 18. und 19. Jahrhundert erzählen Geschichten von Armut und sozialer Not.

Tatsächlich verdankt der Flamenco, den wir heutzutage kennen, sein Erbe den kommerziellen Theatern (Cafés Cantantes) des Spaniens des mittleren 19. Jahrhunderts. Seine politische Seite trat jedoch in Zeiten des sozialen Umbruchs zutage. Während des Spanischen Bürgerkrieges sangen Republikaner ideologische Botschaften. Und Sänger der 1960er und 70er Jahre, wie Manuel Gerena und José Menese, forderten das Franco-Regime im Streben nach Demokratie und Gleichheit heraus.

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“Ich will es mit Leidenschaft sprechen, dieses Fandango, das ich singe, Spanien ist republikanisch. Und dies kommt von Herzen, runter mit dem Gesetz und der Tyrannei.“

Flo6x8 sehen sich selbst als die Fortsetzung dieses politischen Erbes, in dem Flamenco zu einem Katalysator für sozialen Wandel wird, wie bei dem Flashmob gegen die Sparmaßnahmen im andalusischen Parlament im Juni 2014 zu sehen war.

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Das neue kontroverse Knebelgesetz, das im Jahr 2015 von der spanischen Regierung verabschiedet wurde, schränkt die Aktivitäten von Flo6x8 ein. Die Mitglieder sind jedoch weiterhin dem Flamenco als politische Waffe gegen die fortlaufenden sozialen und ökonomischen Ungleichheiten in Spanien verschrieben.

Rassismus entgegentreten

Die Geschichte des Flamenco wurde auch dazu verwendet, Toleranz zu fördern. Dem Flamenco wird nachgesagt, Verbindungen zu Spaniens islamischer Vergangenheit zu haben. Ein Zeitraum in dem Christen, Juden und Muslime vermeintlich in Frieden koexistierten (convivencia). Obwohl sie von einigen als utopischer Mythos kritisiert wurde, überbringt uns convivencia heute eine Botschaft der Toleranz.

Viele behaupten, dass Flamenco aus einer Verschmelzung kultureller Einflüsse in Südspanien entstanden ist: Arabern, Juden, Sinti und Roma, afrikanischen Sklaven, der andalusischen Unterschicht usw. Der Glaube besagt somit, dass Flamenco aus einem interkulturellen Dialog entsprungen ist.

Die Beziehung Spaniens zu seiner islamischen Vergangenheit ist jedoch problematisch. In einigen Vierteln wird sie gefeiert, in anderen verneint. Die seit 1980 wachsende Zuwanderung nach Spanien, besonders aus Marokko, hat die Lage erschwert. Wie in vielen anderen europäischen Staaten haben rassistische Spannungen und Islamophobie zugenommen. Hier ist Flamenco eingesetzt worden, um sich Rassenkonflikten gegenüber zu stellen und Toleranz zu fördern.

Im Jahr 2003 feierte die Show Inmigración (Immigration) der Tänzerin Ángeles Gabaldón und ihres Ensembles Premiere. Die Darbietung wurde auch online von mehr als 50.000 Zuschauern verfolgt. Inmigración förderte das Bewusstsein gegenüber humanitären Themen rund um das Thema der Migration über die Straße von Gibraltar: Menschenhandel, Tod von Migranten, Prostitution von Immigranten und Rassismus.

Die Show, mit einer gemischtrassigen Besetzung, zielte darauf ab, das Bewusstsein gegenüber der sozialen Realität von Immigration zu fördern – interessanterweise stellte es gleichermaßen Spaniens eigene Emigrationsgeschichte, bevor es zu einem Einwanderungsland wurde, dar. Das kraftvollste Element von Inmigración war jedoch, auf welche Weise die Vergangenheit und die Gegenwart über eine musikalische Darbietung verknüpft wurden. Flamenco wurde mit Musikstilen verbunden von denen angenommen wird, dass sie ihren Ursprung im islamischen Spanien, das jetzt in Nordafrika existiert, haben.

Teil des Ensembles war Jalal Chekara, ein marokkanischer Darsteller, der über viele Jahre in Spanien gelebt hat. Er ist bekannt für seine Zusammenarbeit mit Flamenco-Musikern und die Förderung von Toleranz über die musikalische Neubebilderung einer geteilten kulturellen Vergangenheit.

Seit dem Jahr 2003 hat sich die Situation in Spanien und Europa verschärft. Die gegenwärtige Migrantenkrise ist möglicherweise die schwierigste Herausforderung, der sich Europa gegenübergestellt sieht und Inmigración ist heute möglicherweise noch relevanter als zum Zeitpunkt seiner Uraufführung. Es zeigt die Fähigkeit des Flamenco als eine Form der Sozialkritik den Machtlosen Macht und den Stimmlosen eine Stimme zu geben.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image „flo6x8 Cuatro Trileros – BBVA“ Screenshot by Youtube.


ist Ethnomusikwissenschaftler an der Universität von Cambridge. Er promovierte an der Universität Cardiff im Jahr 2013. Sein aktuelles Forschungsprojekt konzentriert sich auf die Flamenco-Beziehung mit dem interkulturellen Dialog im zeitgenössischen Andalusien.


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