Digitalisierung in deutschen Kommunen: Nerds sind gefragt!

In Zusammenarbeit mit dem Geographischen Institut der Universität Bonn hat das Beratungshaus PwC den Status quo der Digitalisierung in deutschen Kommunen untersucht und Chancen wie Herausforderungen beleuchtet. Hierzu wurden mehr als 200 Städte und Landkreise von einem Marktforschungsinstitut befragt und ökonomische Kennzahlen analysiert. Ein Blick auf das Ranking zeigt deutlich: Je digitaler eine Region ist, desto besser sind auch ihre wirtschaftliche Situation und ihre Zukunftsaussichten.

Die Top-Platzierungen verfügen durchschnittlich über deutlich bessere Kennzahlen als die übrigen Städte. In den Top-Ten-Städten werden mehr Gewerbe angemeldet, sie können ein höheres Gewerbesteueraufkommen erzielen und die Zahl der Beschäftigten wächst schneller. Digitale Städte ziehen neue Einwohner an und verfügen über mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte. Es sei laut der PwC-Analysten dringend nötig, die Digitalisierung zur Chefsache zu machen: “Die Bürgermeister sollten zu Treibern der Digitalisierung in den Kommunen werden. Sie sind gut beraten, die Kompetenzen in einer schlagkräftigen Funktion zu bündeln: dem Digitalisierungsbeauftragten.

Bonn liegt vor Berlin

PwC und die Uni Bonn haben die 25 bevölkerungsreichsten Städte in Deutschland mit 20 Indikatoren unter die Lupe genommen. Betrachtet wurden Verwaltung, Politik, Kommunikation, Infrastruktur und Energie. Herausgekommen ist ein Ranking, das ein umfassendes Bild des Stands der Digitalisierung zeigt. Mit 16,4 von 20 möglichen Punkten setzt sich Köln gegen Hamburg auf dem zweiten und München auf dem dritten Platz durch. Bonn verpasst den Sprung in die Top 3 nur knapp. Liegt aber deutlich vor Düsseldorf, Leipzig, Berlin (!), Wuppertal, Dresden und Stuttgart.

Die Städte auf den Platzierungen eins bis vier bieten ihren Bürgern und Unternehmen eine Vielzahl von Online-Angeboten und zumeist schnelle Internet-Übertragungsraten. Mit jeweils über 15 Punkten heben sich diese Städte deutlich von den nachfolgenden Plätzen ab. Die Städte auf den Plätzen fünf bis zehn bieten zwar oft verschiedenste Online-Dienstleistungen an, die Komplexität und der Umfang dieser fallen aber zumeist geringer aus, erläutern die PwC-Analysten.

Muss sich nun Bonn im Städte-Battle mit Köln geschlagen geben? Der Wettbewerb wurde in einer Session auf dem Barcamp Bonn ausgetragen und das Urteil des Notiz-Amtes lautet: “Unentschieden”.

Setzt man die Zahl der IT-Beschäftigten in Relation zu den Gesamtbeschäftigten, liegt Bonn bei 6,1 Prozent und Köln nur bei 4,2 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Standortanalyse des Forschungsunternehmens empirica.

Hidden Champion ohne digitale Lebenskultur

Punkten kann die Bundesstadt vor allem bei digitalen Diensten für IT-Sicherheit, Lebensmittelsicherheit, Gesundheit und Geoinformation. Hier tummeln sich eine Vielzahl von mittelständischen Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen, Behörden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Bonn ist Hidden Champion der Digitalisierung und genau das ist das Problem der beschaulichen Stadt am Rhein. Nach den Experteninterviews von empirica sei ein Manko, dass “der IT-Standort Bonn nicht so auffällt”. In der Öffentlichkeit sind nur die Dax-Unternehmen im Fokus und nicht die vielen kleinen IT-Unternehmen eben nicht.

Aber das ist nicht das einzige Problem, wie die Bonner Barcamp-Session zum Städte-Wettstreit belegt. Bonn fehlt im Vergleich zu Köln eine ausgeprägte digitale Lebenskultur. Es fehlen Begegnungen der etablierten Protagonisten von Wirtschaft und Politik mit den Netzaktivisten, die meistens vom Establishment eher belächelt werden. Es gibt zu viele Honoratioren-Events, die auf Berieselung und Frontalbeschallung ausgerichtet sind. Da hilft dann auch kein weiter Digitalisierungsbeauftragter weiter, den PwC ins Spiel gebracht hat.

Fehlender Mut zu offenen Formaten

Es mangelt an der nötigen Offenheit, die Potenziale der digitalen Crowd zu heben, die man beispielsweise im Coworking Space Bonn in Poppelsdorf abrufen könnte. Der Netzexperte Guido Bosbach setzt sich intensiv damit auseinander, wie man offene Dialoge und Vernetzungen fördern kann.

Wie erzeugt man mehr Breite in den digitalen Debatten, einen Meinungsaustausch mit vielen Akteuren und nicht nur mit den so genannten Meinungsführern einer Stadt? Ein Hebel sieht er bei den Un-Konferenzen, also jenen Formaten, die nach Barcamp-Prinzipien ablaufen.

Das sind Veranstaltungen, bei denen jeder mit jedem auf Augenhöhe über ‘sein Thema’ sprechen kann. Es gibt manchmal ein zentrales Thema, aber keinen vorher erarbeiteten Plan, wer wann welchen Impuls gibt. Lediglich Zeiten, also ‘Sessionslots’ werden festgelegt. In einer Vorstellungsrunde erklären freiwillige Sessiongeber, worüber sie sprechen möchten. Was nach einem purem Chaos klingt ist – sofern gut gemacht – ein perfekter Raum für Kreativität, Inspiration und Energie, so Bosbach.

Gut organisierte Open Space-Plattformen seien wie eine perfekt arrangierte Choreographie bei der man mittendrin ist, statt nur dabei.

Generell wird die Etablierung einer digitalen Szene nicht gelingen, wenn man Nerds, Geeks, Hacker, Gamer und Blogger als belanglose Randerscheinungen betrachtet. Wie wollen Unternehmen, Behörden und Wissenschaftseinrichtungen coole Mitarbeiter mit Technologie-Kenntnissen anwerben, wenn sie selbst mit dem Rücken zum Netz stehen und gerade mal die Fernbedienung für Power Point-Präsentationen beherrschen? Da müssen auch die Hidden Champions der Digitalisierung in Bonn noch einiges ändern müssen, um weniger hidden rüberzukommen. Bürokratische Digitalisierungsbeauftragte werden da wenig bewirken.

Genügend Stoff für den nächsten netzökonomischen Käsekuchen-Diskurs, diesmal im Coworking-Space in Bonn.


Image (adapted) „PWC Head Office Berlin“ by Peter F. (CC BY-SA 2.0)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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