Wie ist es überhaupt obdachlos zu sein? Ich muss zugeben, dass ich mittlerweile sehr abgestumpft gegenüber der Obdachlosigkeit geworden bin. Gerade um den Hauptbahnhof herum ist sie einfach zu Allgegenwärtig und auch bei Bettlern in S- und U-Bahn schalte ich oft eher Durchzug. Dass gerade die immer weiter steigende Zahl das Leben dieser Menschen zusätzlich erschwert ist mir aber auch bewusst. Nur wie sich dieses Leben am Rand der Gesellschaft anfühlt, lässt sich kaum nachfühlen, wenn man es nicht selbst durchlebt hat.
Es war eher Zufall, dass ich über die lieben Kollegen von nextReality.Hamburg die VR-Erfahrung Unhome kennenlernen durfte. Dabei taucht man für 20 Minuten in das Leben eines Obdachlosen ein und sieht die Welt aus seinen Augen. Es handelt sich um eine Kooperation der Digital-Agentur Curious Company mit GoBanyo, die in Hamburg Duschbusse für obdachlose Menschen betreiben.
Die Blicke und Worte ertragen
Die Geschichte beginnt nicht auf der Straße, sondern noch Zuhause. Nachdem ich meinen Job verloren habe, verliere ich auch immer mehr die Kontrolle über mein Leben. Die Wohnung vermüllt, die Miete kann nicht mehr gezahlt werden und die Freunde haben sich auch schon längst von mir abgewendet. Der Rausschmiss lässt nicht lange auf sich warten und ich muss meine symbolischen letzten Sachen in den Rucksack packen, der fortan mein ganzes Leben ist.
Zum Glück treffe ich auf der Straße direkt auf einen Hund. Ein cleverer Kniff: Der Hund spricht und dient als unser Guide, der uns erklärt, was wir tun müssen, um zu überleben. Alles ohne Zeigefinger, sondern auf eine angenehm kumpelhafte Art. Zugleich ist unser empathischer Begleiter aber auch eine emotionale Stütze, während sich die ganze Welt von einem abwendet.
So stehe ich schon bald auf der Straße und halte die Hand auf, wenn Menschen vorbeikommen, um irgendwie die 30 Euro zusammen zu bekommen, die täglich zum Leben nötig wären. Angewiderte Blicke, ein „Geh doch Arbeiten!“ ins Gesicht – insgesamt noch die eher harmloseren Erfahrungen. In der Bahn oder in unserer Schlafstätte im Park werden wir mit weiteren Realitäten konfrontiert und schließlich droht die Kälte des Winters. Dass ich als Hamburger zum Teil die Schauplätze kenne, macht die Erfahrung noch intensiver. Die selben Orte und doch völlig anders.
Ein bleibender Eindruck
Die interaktiven Möglichkeiten in Umhome sind eher begrenzt. Sie erfüllen aber ihren Zweck, Immersion zu schaffen. Die begrenzten Szenen sind dabei nicht nur ein Eingeständnis der begrenzten Hardware einer Meta Quest. Die VR-Erfahrung ist dadurch auch sehr kompakt und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. In nur 20 Minuten erlebte ich, wie mir mein Leben entgleitet und habe ein ganzes Jahr auf der Straße verbracht.
Was ich an Unhome besonders schätze: Es belehrt nicht, sondern zeigt wichtige Ausschnitte, erklärt währenddessen die größten Gefahren und untermauert dies mit Statistiken zur Situation in Deutschland. Die Förderung durch die Moin-Filmstiftung und weiteren gemeinnützigen Organisationen hat sich Unhome ebenso verdient, wie die Nominierung für den Deutschen Computerspielpreis.
Habt ihr Zugang zu einer Meta Quest 2 oder 3, solltet ihr unbedingt Unhome runterladen. Es kostet euch lediglich 20 Minuten eurer Zeit und hinterlässt bleibenderen Eindruck als viele 100-Stunden-Spiele. Schade, dass Schulen eher selten mit einem Klassensatz VR-Headsets ausgestattet sind. Eigentlich ist diese VR-Erfahrung nämlich wie gemacht, um soziale Themen an die Schulen zu bringen.
Image by GoBanyo gGmbH & Curious Company GmbH
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