Die digitale Welt prägt unseren Alltag wie kaum eine andere Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Ob im Beruf, in der Schule oder in der Freizeit – IT-Kompetenzen sind längst zu einer grundlegenden Kulturtechnik geworden, vergleichbar mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Doch obwohl Kinder sich bereits immer früher in der digitalen Welt bewegen, klagt der IT-Sektor noch immer über einen Fachkräftemangel. Dabei hat die Informatik attraktive und zeitgemäße Jobs mit Aussicht auf ein gutes Gehalt.
Ein Grund dafür ist sicherlich, dass Deutschland die Digitalisierung der Schulen im Vergleich zu anderen Ländern verschlafen hat. Wie kann man Kinder von der IT begeistern? Das war auch das große Thema in unserem Podcast mit Julia Freudenberg von der Hacker School. Das haben wir zum Anlass genommen, auch selbst nochmal tiefer in das Thema abzutauchen.
Warum Kinder kein Interesse an Informatik haben
Trotz der großen Bedeutung der IT für unsere Zukunft, tun sich viele Kinder schwer damit, ein echtes Interesse für Informatik zu entwickeln. Einer der Hauptgründe ist, dass der erste Kontakt mit der Materie oft zu abstrakt oder trocken vermittelt wird. Programmieren wirkt dann wie eine Sammlung von komplizierten Befehlen und Regeln – weit entfernt von dem, was Kinder begeistert.
Informatik im schulischen Umfeld macht die Informatik auch selten attraktiv. Während Fächer wie Kunst oder Sport unmittelbar erlebbar sind, fehlt bei IT-Themen oft der spielerische Zugang. Statt kleine, sichtbare Ergebnisse zu schaffen – etwa ein eigenes Spiel oder eine einfache App – begegnen Kinder eher theoretischen Konzepten, die schwer nachvollziehbar wirken. Ohne eine interessante Praxisanwendung bleiben sie nicht länger als bis zum nächsten Test im Kopf.
Auch gesellschaftliche Vorurteile spielen eine Rolle: Informatik gilt noch immer als „nerdig“ oder „Jungen-Domäne“. Gerade Mädchen fühlen sich dadurch manchmal ausgeschlossen oder glauben, sie seien für technische Themen nicht „geschaffen“. Fehlende Vorbilder – etwa Lehrkräfte, Eltern oder auch weibliche IT-Vorbilder – verstärken diesen Eindruck.
Nicht zuletzt kann auch der übermäßige Konsum digitaler Medien paradoxerweise dazu führen, dass Kinder IT als reine Unterhaltungswelt wahrnehmen. Sie nutzen Tablets und Smartphones zwar täglich, interessieren sich aber wenig dafür WIE sie funktionieren.
Warum frühe IT-Bildung wichtig ist
Gerade weil sich Kinder oft nicht bewusst sind, wie ihre Geräte überhaupt funktionieren ist es wichtig, schon früh das Interesse zu wecken. Das ist nicht nur wichtig für ein technisches Verständnis, sondern auch für einen bewussteren Umgang. Zudem erlernen Schüle viele zentrale Fähigkeiten, die weit über den Computerbildschirm hinausreichen.
Ein wichtiger Aspekt ist etwa die Förderung von Problemlösefähigkeiten und logischem Denken. Programmieren bedeutet im Kern, eine Aufgabe in kleine Schritte zu zerlegen und kreative Lösungen zu entwickeln. Diese Art zu denken hilft Kindern nicht nur beim Coden, sondern auch in Mathematik, Naturwissenschaften oder beim Strukturieren alltäglicher Probleme. Auch inhaltlich lassen sich andere Fächer gut in Programmierprojekte integrieren.
Frühe IT-Bildung trägt zudem entscheidend zur Kreativitätsentwicklung bei. Viele Kinder erleben Informatik zunächst als etwas rein Technisches. Wenn sie jedoch eigene Spiele, Animationen oder kleine Apps gestalten dürfen, entdecken sie IT als ein Werkzeug zum Selbstausdruck – ähnlich wie Stift und Papier oder Musikinstrumente.
Darüber hinaus schafft ein früher Einstieg die Chance, Hemmschwellen und Stereotypen abzubauen. Je vertrauter Kinder mit digitalen Werkzeugen umgehen, desto weniger empfinden sie Informatik als „schwierig“ oder „nur für bestimmte Gruppen“. Gerade Mädchen oder Kinder ohne Technik-affinem Umfeld profitieren davon, wenn IT von Anfang an als etwas Natürliches und Selbstverständliches erlebt wird. Kinder erleben so außerdem früh, dass viele unterschiedliche Skills und dadurch auch Teamwork nötig sind.
Nicht zuletzt eröffnet frühe IT-Bildung Kindern einen Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Technologie. Sie lernen, dass sie nicht nur passive Nutzerinnen und Nutzer digitaler Medien sind, sondern die digitale Welt aktiv mitgestalten können. In der Deloitte Gen Z and Millennial Survey 2025 gab immerhin die Hälfte der der Befragten an, dass ihnen eine bedeutungsvolle Arbeit sehr wichtig ist. Da IT fast überall involviert ist, findet man Arbeitsplätze auch in Branchen und Unternehmen, die einem am Herzen liegen.
Altersgerechte Einstiege
Damit Kinder Freude an Informatik entwickeln, ist es entscheidend, den Zugang altersgerecht zu gestalten. Je nach Entwicklungsstand unterscheiden sich sowohl die Interessen als auch die Möglichkeiten, IT erfahrbar zu machen.
Vorschulalter:
Obwohl es kindgerechte Lern-Apps oder Robotik-Spielzeuge gibt, müssen Kinder nicht gleich Smartphones und andere Technikgeräte in die Hand gedrückt werden. Brettspiele, Rätsel oder auch Bewegungsspiele oder Bausteine eignen sich ebenfalls hervorragend. Hierbei lässt sich bereits das problemorientierte Denken hervorragend lernen. Besonders gut sind Spiele, bei denen mehrere Kinder zusammenarbeiten müssen, um zum Ziel zu kommen.
Grundschule:
In dieser Phase beginnen Kinder, eigene Ideen gezielt umzusetzen. Plattformen wie Scratch ermöglichen es, spielerisch Animationen oder kleine Spiele zu entwickeln. Dabei steht nicht das trockene Erlernen von Code im Vordergrund, sondern die Freude am kreativen Gestalten. In unserem Podcast erzählt Julia Freudenberg von der Hacker School davon, wie sie selbst auch immer wieder von den Ideen der Kinder überrascht wird. Die Hacker School bietet vielfältige Formate an, um junge Menschen spielerisch das Programmieren beizubringen.
Weiterführende Schule:
Mit zunehmendem Alter steigt die Fähigkeit, komplexere Zusammenhänge zu verstehen. Jugendliche können nun eigene Websites, Apps oder einfache Spiele programmieren und dabei erste Programmiersprachen wie Python oder JavaScript kennenlernen. Elektronik-Baukästen oder Raspberry-Pi-Projekte erlauben es, Hardware und Software miteinander zu verbinden – vom Bau einer Wetterstation bis hin zum kleinen Roboter. Diese praktischen Projekte zeigen den Jugendlichen, dass Informatik weit mehr ist als nur „Code am Bildschirm“ und eröffnen vielfältige Anwendungsfelder. Hier lassen sich gezielt Projekte mit anderen Fächern verknüpfen.
Methoden und Lernumgebungen
Um Kinder nachhaltig für IT zu begeistern, braucht es mehr als nur gute Materialien – entscheidend ist, wie Inhalte vermittelt werden und in welchem Umfeld das Lernen stattfindet. Spielerische, praxisnahe Methoden helfen, das Interesse wachzuhalten und Hemmschwellen abzubauen.
Schulische Angebote und außerschulische Initiativen
Damit alle Kinder erreicht werden, braucht es IT-Angebote sowohl im Unterricht als auch außerhalb der Schule. Projektwochen, Wahlfächer oder Kooperationen mit Vereinen schaffen Gelegenheiten, über den normalen Lehrplan hinauszugehen. Programme wie die bereits erwähnte Hacker School oder das Netzwerk Jugend hackt bieten Workshops, Feriencamps und Hackathons, die zeigen, wie spannend Informatik in der Praxis sein kann.
Gamification – Lernen durch Spielen
Kinder lieben Spiele. Wenn Lerninhalte in spielerische Herausforderungen verpackt sind, steigt die Motivation enorm. Punkte sammeln, Levels erreichen oder gemeinsam Rätsel lösen verwandelt Programmieren in ein Abenteuer. Spiele wie LightBot oder Plattformen wie Code.org oder Kodable bieten kindgerechte Spielumgebungen, in denen Logik und erste Programmierprinzipien auf spielerische Weise vermittelt werden. Für Schulen ist Minecraft Education auch ein spannender Einstieg, da die Schulversion des bekannten Spiels viele fertige Lektionen für die Schüler, aber auch Anleitung für die Lehrer selbst bietet.
Maker-Spaces und Coding-Clubs
Freiräume, in denen Kinder selbst experimentieren dürfen, sind besonders wertvoll. In sogenannten Maker-Spaces oder Coding-Clubs können sie eigene Projekte entwickeln, Roboter bauen oder Apps programmieren – meist mit Gleichgesinnten und ohne Leistungsdruck.
Internationale Initiativen wie CoderDojo oder Code Club bieten offene, kostenlose Lernumgebungen, die Kindern und Jugendlichen weltweit den Einstieg erleichtern. In Deutschland gewinnen auch lokale Hacker- und Makerspaces an Bedeutung, in denen Kinder und Jugendliche mit Unterstützung von Mentor*innen kreativ werden können. bildung.digital bietet Schulen auch eine Einführung zur Errichtung eigener Makerspaces.
Eltern und Lehrkräfte als Vorbilder
Kinder lernen nicht im luftleeren Raum. Kinder orientieren sich stark an Vorbildern. Lehrkräfte, engagierte Eltern oder junge Mentor*innen aus der IT-Welt können entscheidend dazu beitragen, Begeisterung zu wecken. Auch wenn sie selbst keine IT-Expert*innen sind, können sie durch Haltung, Unterstützung und kleine Impulse viel bewirken.
Oft genügt es, Interesse zu zeigen und gemeinsam zu entdecken. Wenn Eltern ihre Kinder ermutigen, Fragen zu stellen, Projekte auszuprobieren oder kleine Experimente durchzuführen, schaffen sie eine offene Lernatmosphäre. Bücher mit altersgerechten Coding-Geschichten, Rätselhefte oder gemeinsame Bastelprojekte mit einfachen Robotik-Sets können zu gemeinsamen Erlebnissen werden. So lernen auch die Eltern noch etwas dazu: Eine Win-Win-Situation.
In der Schule entscheidet die Art der Vermittlung, ob Informatik als spannend oder trocken erlebt wird. Lehrkräfte profitieren deshalb von praxisnahen Fortbildungen und Materialien, die über reine Theorie hinausgehen. Projektorientierter Unterricht – etwa die Gestaltung einer Klassen-Website oder ein gemeinsames Spiel in Scratch – macht Informatik greifbar. Auch fächerübergreifende Ansätze, z. B. kleine Datenexperimente im Geografieunterricht oder Robotik im Sachkundeunterricht, zeigen Kindern, dass IT ein Werkzeug für viele Lebensbereiche ist.
Besonders wichtig: vielfältige Rollenbilder. Wenn Mädchen sehen, dass auch Frauen erfolgreich in der Informatik arbeiten – etwa durch Initiativen wie die GIRLS Hacker School – senkt das Hemmschwellen und erweitert das Selbstverständnis, wer in der IT „dazugehört“.
Trotzdem sind Ressourcen noch immer ungerecht verteilt und nicht jede Schule und Familie hat es leicht, Vorbild zu sein. Hier ist auch die Politik gefragt. Informatikunterricht muss endlich flächendeckend und möglichst früh als Pflichtfach stattfinden. Auch muss geholfen werden, dass durch den Digitalpakt 2.0 einheitliche Strukturen entstehen und Gelder auch unkompliziert zu den größten Nachzüglern gelangen. Auch Open Educational Resources helfen, Barrieren zur digitalen Teilhabe einzureißen.
Image via ChatGPT (KI-generiert)
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