Kennt ihr die Band The Velvet Sundown? Auf Spotify verzeichnete sie monatlich 1,5 Millionen Streams, einige Songs schafften es sogar in Großbritannien, Schweden und Norwegen in die Charts. Dabei erschien das allererste Album der Gruppe erst dieses Jahr, 2025. Schon im Juli desselben Jahres wurde dann aber klar: Die Band existiert gar nicht. Hinter der Besetzung von The Velvet Sundown stehen keine Menschen. Alles, von Gesang über Gitarre bis Schlagzeug, wurde von künstlicher Intelligenz erzeugt. Dieses Beispiel zeigt: KI-Musik ist längst auf Spotify angekommen und ist teilweise nur schwer von menschlich produzierten Songs zu unterscheiden. Doch was bedeutet es, wenn KI-Bands die Charts erobern? Und welche Folgen hat das für echte Musiker*innen, die in der Musikbranche um Aufmerksamkeit kämpfen?
KI-Musik auf Spotify: Konkrete Fälle und Perfect Fit Content
The Velvet Sundown ist nur ein Beispiel für KI-Musik auf Spotify. Es gibt weitere Fälle die zeigen, dass KI- oder auch Ghost-Musik schon länger Teil der Plattform sind. Der Ausdruck Ghost-Musik bekommt dabei eine ganz makabre Bedeutung, betrachten wir eine weitere Art KI-generierter Inhalte. So tauchten auf den offiziellen Spotify-Accounts verstorbener Künstler*innen plötzlich neue Songs auf – ohne Zustimmungen der Hinterbliebenen oder sonstiger Nachlassverwalter*innen.
Ein konkretes Beispiel ist der Country-Sänger Blaze Foley. Foley wurde im Jahr 1989 erschossen, im Juli 2025 veröffentlichte „er“ dann aber einen neuen Song namens Together. Dieser tauchte auf dem Spotify Account auf, der in seinem Namen, mit seiner Musik geführt und verwaltet wird. Den Fall deckte das Investigativportal 404 Media auf. Produziert wurde „Together“ unter dem Pseudonym Syntax Error. Das Plattencover der Single zeigt außerdem einen KI-generierten Mann, der Foley in keinster Weise ähnlich sieht. Craig McDonald, der Label-Chef von Lost Art Records – die sich um den Spotify-Account Foleys kümmern – behauptet gegenüber 404 Media, dass jeder Foley-Fan sofort erkennen würde, dass der Song nicht echt ist. Auch der Stil sei grundverschieden von dem Blaze Foleys.
Darüber hinaus bleibt „Together“ kein Einzelfall. Ein anderer Song, ebenfalls produziert von Syntax Error, erschien auf dem Spotify-Account des verstorbenen Sängers Guy Clark. Auch hier wurde keiner der Verantwortlichen im Vorhinein kontaktiert. Beide Fälle werfen Fragen darüber auf, wie einfach es ist, KI-generierte Inhalte in digitale Plattformen einzuschleusen. Spotify entfernte die Titel zwar, hat aber nicht weiter erläutert, welche Maßnahmen künftig ergriffen werden sollen, um ähnliche Fälle zu verhindern.
Perfect Fit Content
Doch KI-Musik beschränkt sich nicht nur auf solche Extremfälle. Auch innerhalb der alltäglichen Playlists der Plattform spielt sie eine Rolle – und das systematischer, als viele Nutzer*innen ahnen: In Form von sogenanntem Perfect Fit Content (PFC). Die Journalistin Liz Pelly hat in ihrem Buch Mood Machine: The Rise of Spotify and the Costs of the Perfect Playlist umfangreich dokumentiert, wie Spotify ihren Recherchen zufolge systematisch günstigere und oft anonyme Produktionen in ihre kuratierten Playlists integriert. Ihr Bericht über diese aufgefüllten Playlists lässt sich auch im Harpers Magazin lesen.
PFC ist dabei eine eigene Initiative von Spotify. Hier wird gezielt günstigere Musik in beliebte Playlists eingeschleust, um Tantiemen – also erfolgsabhängige Vergütungen – einzusparen. Zu diesem Zweck arbeitet das schwedische Unternehmen mit einem Netzwerk von verschiedenen Produktionsfirmen zusammen, die solche Musik in Masse produzieren. Dies geschieht zwar nicht ausschließlich, aber immer häufiger mithilfe von Künstlicher Intelligenz.
Die Folgen KI-generierter Musik
PFC-Musik ist besonders stark in Playlists vertreten, die einen Fokus auf Entspannung legen oder grundsätzlich als Hintergrundmusik fungieren. Beispielgenres sind hier LoFi, Jazz, Ambient oder Ähnliches. Oft ist es bei diesen Genres schwerer, reale Künstler von KI zu unterscheiden. Wie schwer genau, zeigt ein Post auf Reddit: Ein Nutzer schildert dort, wie er stundenlang einer Jazz-Band namens Pause Maybe auf Spotify zuhörte. Erst als er bemerkte, wie schnell neue Alben erschienen sind, wurde er misstrauisch. Auf dem YouTube-Kanal des Projekts Pause Maybe fand er schließlich die Bestätigung. Die Musik war vollständig KI-generiert. Sichtlich enttäuscht fragte er dann: „How do I not fall for Al music again, genuinely, this is very upsetting :( ?“.
Auch in der Community stieß der Post auf viel Resonanz, einige hatten ähnliche Erfahrungen gemacht. Ein Nutzer stimmte zu, dass es besonders bei Genres ohne Text sehr schwierig sein kann, zu erkennen ob es sich um KI handelt: „Honestly, if you like lofi or lyricless music from „ambient“ or „atmospheric“ genres, you might have a difficult time. Only way to avoid is to be aware of your consumption and double check to make sure it’s human made.“
Folgen für Musiker*innen
Für große Stars wie Taylor Swift oder Ed Sheeran stellt das keine Bedrohung dar. Ihre Namen, ihre Fangemeinden und ihre Sichtbarkeit sind zu groß, als dass sie von anonymen KI-Tracks verdrängt werden könnten. Ganz anders sieht es für kleinere Musiker*innen aus, vor allem in Bereichen wie beispielsweise Jazz. Hier bieten die vorgefertigten Playlists oft eine große Möglichkeit für die Künstler*innen, von einem neuen Publikum entdeckt zu werden. Wenn diese Listen zunehmend mit Perfect Fit Content oder KI-Projekten wie Pause Maybe gefüllt werden, sinken die Chancen für echte Künstler*innen, überhaupt wahrgenommen zu werden. Gleiches gilt auch für Bands wie The Velvet Sundown, schließlich konkurrieren auch sie mit anderen menschlichen Musiker*innen um die begrenzte Aufmerksamkeit der Hörer*innen. Sie alle stehen im direkten Wettbewerb um Streams.
Zusätzlich ist auch die Rechtslage der KI-Musik nicht umfassend geklärt, auch daher regt sich Widerstand in der Musikbranche. KI-Modelle müssen schließlich mit Input gefüttert werden, also mit bereits existierenden Songs. Somit werden schließlich auch Fragen des Urheberrechts berührt. Beispielsweise verklagte die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) die KI-Musiksoftware Suno AI. Sie wirft der Firma vor, dass bei der Musikgenerierung urheberrechtlich geschützte Werke ohne Genehmigung und Bezahlung verwendet wurden.
KI-Musik aus Plattformsicht
Aus Sicht von Spotify ist KI-Musik grundsätzlich kein Problem. Der Spotify-CTO Gustav Söderström sagte erst kürzlich, dass man es erlauben sollte, wenn Musikschaffende KI-Technologien nutzen, um damit erfolgreich ein Publikum erreichen. Voraussetzung sei dabei, dass die Uploader die Rechte an ihren Songs besitzen und sich nicht als andere Künstler*innen ausgeben – wie etwa im Fall Blase Foley.
Tatsächlich investiert Spotify auch in automatisierte und manuelle Überprüfungen und entfernte Zehntausende Songs, die über die KI-Plattform Boomy hochgeladen wurden. Offizieller Grund war jedoch nicht die KI-Herkunft der Musik, sondern der Einsatz von Bots, mit denen die Streams künstlich in die Höhe getrieben wurden, um sich Tantiemen zu erschleichen. Dass Spotify der KI-Musik an sich nichts entgegensetzt, zeigt auch das eigene Perfect Fit Content-Programm.
Quantität statt Qualität?
Mit über 100 Millionen Songs ist Spotify eine sehr volle Streamingplattform. Sich hier durchzusetzen, ist ohnehin schwierig, und die Massenproduktion von KI-Songs verstärkt dieses Problem zusätzlich. Manche Stücke erscheinen zudem in identischer Form gleich mehrfach, nur mit verschiedenen Songnamen und von unterschiedlichen Interpret*innen. Wie die Zeit berichtete, ist einem Nutzer dieses Phänomen aufgefallen, als er in einer für ihn erstellten Playlist den gleichen Song immer und immer wieder gehört hat – bis ihm genervt aufgefallen ist, dass es sich bei dem Song offiziell um verschiedene Werke handeln soll. Er hat daraufhin eine eigene Playlist erstellt, in der nur dieser Song zu hören ist – doch jeder der 49 Songs hat einen individuellen Namen, Interpreten und ein eigenes Plattencover. Solche Fälle müllen die Plattform natürlich zu und erschweren die Suche nach neuen Songs.
Gleichzeitig sollte KI auch nicht ganz und gar verteufelt werden. Als Werkzeug für Musiker*innen hat es durchaus Potenzial. Ob als einfache Inspirationsquelle, für Sounddesign oder um eigene Ideen schneller umsetzen zu können – KI bietet mehrere Möglichkeiten, um als Sparringpartner für künstlerische Prozesse zu fungieren. Dennoch zeugt nicht alles, was dann auf Spotify landet auch von künstlerischer Qualität. Im Gegenteil wirkt es zum Teil so, als würde – auch von Seiten der Plattform selbst – die Quantität über die Qualität gestellt werden. Ob sie also wollen oder nicht: Im Endeffekt bleibt es den Hörer*innen selber überlassen, welchen Platz sie KI-Musik im Alltag geben, ob nun als willkommene Ergänzung oder als störendes Füllmaterial.
Fazit
KI-Musik ist längst ein Teil von Spotify und der Streamingwelt. Sie eröffnet neue Möglichkeiten, wirft aber ebenso Fragen nach Qualität, Fairness und Urheberrecht auf. Klar ist: Verschwinden wird sie erstmal nicht. Entscheidend wird sein, wie Plattformen, Musiker*innen und Hörer*innen künftig mit ihr umgehen.
Image via ChatGPT (KI-generiert)
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