Gründe für den Chipmangel

In vielen auch nur entfernt technischen Bereichen kommt es gerade zu mitunter langen Wartezeiten. Mercedes hat die Produktion ihres E-type-Modells gänzlich gestoppt und die PlayStation 5 gibt es selbst ein Jahr nach Marktstart noch kaum zu kaufen. Das liegt an einem allgemeinen Chipmangel, der seit ca. zwei Jahren herrscht. Allerdings ist die Knappheit nicht auf ein einziges Problem zurückzuführen, sondern hat diverse Ursprünge. Aber es sind nicht nur diese beiden Branchen, die betroffen sind. Laut Beratungsunternehmen Goldman Sachs leiden rund 169 Branchen unter der akuten Verknappung. Darunter zum Beispiel auch Medizin und Landwirtschaft. Die Gründe für den Mangel an Chips erfahrt ihr hier.

Lieferkette und Produktion

Einen Chip herzustellen ist sehr aufwendig. Verschiedene Halbleiter müssen mit dünnen Schichten verbunden werden. Mehrere Hundert Schritte sind für die Produktion eines einzelnen Mikrochips nötig. Die durchschnittliche Produktionszeit beträgt daher 12 Wochen, kann aber auch bis zu 20 Wochen dauern. Mit Verpackung und Tests kann so eine Herstellung über sechs Monate Zeit in Anspruch nehmen. 

Die Produktionskette ist zwar sehr effektiv durch enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Herstellern, Abhängigkeit untereinander und einen hohen Spezialisierungsgrad. Aber das sorgt auch dafür, dass die ganze Produktion stockt, sobald eines der Kettenglieder ausfällt oder beschädigt ist. Selbst die größten Hersteller von Endprodukten kaufen ihre Chips teils bei anderen Firmen ein. Darüber hinaus macht die Transnationalität der Industrie das ganze noch komplizierter. Kein Land hat Zugang zu allen Ressourcen, die es zur Produktion braucht, deshalb ist eine enge Zusammenarbeit erforderlich. 

Äußere Anforderungen 

Problematisch ist auch, dass nicht einfach so neue Fabriken gebaut werden können, wenn die Nachfrage steigt. Neue Fabriken zu bauen ist nicht nur zeitaufwendig sondern auch sehr teuer. Im Vergleich: Eine bereits bestehende Fabrik aufzurüsten dauert um die 18 Monate, eine neue hochzuziehen ganze drei Jahre. Außerdem kostet es mehrere Milliarden Dollar, eine neue Fabrik zu bauen, weshalb es sich nicht wirklich lohnt. Lohnenswert ist ein Geschäft in der Chipindustrie auch nur, wenn die Fabriken ihre Kapazitäten mit mindestens 80% ausschöpfen. Darum müssen Kapazitäten vorsichtig erhöht werden, um bei doch wieder sinkender Nachfrage Kein Minusgeschäft zu machen.

Deshalb konnte bei der hohen Nachfrage in letzter Zeit aber auch nicht einfach die Produktion der vorhandenen Fabriken angezogen werden – die Fabriken arbeiteten schon fast mit ihrem Maximum.

COVID-19 

Mit der größte Faktor für den Chipmangel ist natürlich die COVID-19 Pandemie. Neben den langen Lieferzeiten, die wir derzeit bei jeder Bestellung erleben, hat die Pandemie aber noch andere Auswirkungen auf die Chipproduktion. Anfang 2020 stornierten viele Autobauer ihre Bestellungen bei Chipherstellern. Die Befürchtung: in einer neuen und unbekannten Lage würde niemand Autos kaufen. Allerdings schätzten die Autobauer die Lage falsch ein, nach einem kurzen Einbruch der Käufe erholte sich die Autoindustrie schnell wieder. Nur, dass die Hersteller jetzt ohne die benötigten Mikrochips dastanden. 

Die Chips, die die Autobranche nicht hatte haben wollte, verkauften die Chipfabriken an die Unterhaltungsindustrie weiter, wo sie dringend gebraucht wurden. Schließlich verbrachte quasi die ganze Welt den Frühling 2020 zuhause, im Lockdown und Homeoffice, bzw. -schooling. Deshalb wurden auf einmal viel mehr technische Geräte benötigt. Ein Computer pro Haushalt reichte plötzlich nicht mehr, jedes Kind und jeder Erwachsene brauchte ein internetfähiges Endgerät für Hausaufgaben und Arbeit. Darüber hinaus sorgte die Homeoffice-Situation dafür, dass man deutlich mehr technisches Equipment braucht. Nicht nur Kopfhörer und Webcams, sondern auch Server und so weiter, die die Videocalls verarbeiten mussten. Auch diese Server benötigen Mikrochips.

Hinzu kam, dass viele Menschen sich langweilten. Da man nicht raus konnte, erfüllte man sich statt einer Reise, gelegentlicher Restaurantbesuche oder Kulturveranstaltungen Träume einer neuen Videospielkonsole oder anderem technischen Gerät. 

Selbst mit den Beständen, die eigentlich an die Autoindustrie hätten gehen sollen, waren die Vorräte an Chips schon im Herbst 2020 aufgebraucht.

Naturkatastrophen

Zur Pandemie kamen in den letzten zwei Jahren noch diverse Naturkatastrophen hinzu, die die Produktion verlangsamten. Das liegt insbesondere an der hohen geographischen Dichte der Chipwerke. TSMC, ein großer Chipproduzent, sitzt in Taiwan, während Samsung in Südkorea sitzt. TSMC und Samsung halten zusammen 75% des Marktanteils. Ajinomoto, mit TSMC eine der wenigen Firmen, die die sogenannte ABF-Folie für Chips produziert, ist ein japanischer Hersteller. Die ABF-Folie (Ajinomoto Build-up Film) ist eine Isolierfolie, die auf den grünen Trägerplatinen fast aller Prozessoren, Grafikchips, programmierbaren Logikchips und Spezialschaltungen verarbeitet wird. Gibt es also eine weitreichende Naturkatastrophe in diesem Gebiet, kann es schnell dazu kommen, dass nicht nur eins, sondern mehrere Werke ausfallen.

Ähnlich sieht es in den USA aus. In Austin, Texas stellen Infineon und NXP ihre Chips her. 2021 gab es zuerst in Texas einen Schneesturm und dann in Japan Ausfälle nach Bränden und Umweltschäden. Von dem Schneesturm im Februar letzten Jahres wurde auch hierzulande viel in den Nachrichten berichtet. Er sorgt dafür, dass der Betrieb der Fabriken fürs erste eingestellt wurde. Denn, nach Stromausfällen konnten die Werke nicht ordnungsgemäß heruntergefahren werden, die Produktionsanlagen und Komponenten der Infrastruktur wurden beschädigt. Doch auch in Japan beschädigte ein Feuer im März 2021 eine Fertigungsanlage des Herstellers Renesas Electronics.

Dass auch die Logistik anfällig ist, erlebten wir, als die „Ever Given“ im Suez-Kanal feststeckte. Durch den Vorfall mussten mehrere Hundert Schiffe auf die Weiterfahrt warten. Auch wenn der Kanal nur 6 Tage blockiert war, ist die globalisierte Wirtschaft so minutiös getaktet, dass die Folgen auch noch Monate später spürbar waren.

Geopolitische Spannungen (Sanktionen) 

Ein weiteres, großes Problem sind geopolitische Spannungen. Das heißt im Klartext: eine Technik-Rivalität zwischen China und den USA. Der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump wollte die amerikanische Abhängigkeit von China einschränken und den globalen Einfluss chinesischer Hightech-Konzerne wie Huawei begrenzen.  Daher verhängte er Sanktionen unter anderem im Bereich der Chiptechnologie. Die Chips, die daraufhin übrig blieben, kaufte der chinesische Staat. Dieser befürchtete, dass die USA auch Exporte von Chips nach China verbieten würden. Denn, mehrere große Chipwerke stehen in Texas, Amerika. 

Auch der Ukraine-Krieg hat vielen Ländern und Unternehmen nochmal deutlich gemacht, wie gefährlich Abhängigkeiten sind. Während Deutschland Probleme hat, sich beim Erdgas von Russland unabhängig zu machen, wird die Lebensmittelversorgung – vor allem in nichteuropäischen Ländern – knapp und vor allem unglaublich teuer. Auch um China herrscht seit langem große politische Anspannung. Ein Krieg gegen Taiwan wäre so nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine weltwirtschaftliche Katastrophe.

Wann endet der Chipmangel wieder?

Die Mikrochipindustrie war schon immer uneinheitlich. Über- und Unterproduktion kommen des Öfteren vor – auch weil sich Fabriken finanziell keine geringen Ausleistungen erlauben können. Intel geht beispielsweise davon aus, dass es schon 2023 wieder genug Chips geben wird. Andere Experten gehen davon aus, dass es bis 2025 dauern könnte, bis der Chipmangel einigermaßen überstanden ist. Gerade nach den Ereignissen der letzten Jahre lässt sich das aber nicht sicher abschätzen.


Image by Gorodenkoff via Adobe Stock 

studiert seit letztem Jahr an der Uni Hamburg deutsche Sprache und Literatur. Wenn sie nicht gerade ihre Nase in Büchern vergräbt, findet man sie vermutlich im Kino.


Artikel per E-Mail verschicken