Mario Sixtus

Der elektrische Reporter Mario Sixtus outete sich am Dienstag in der Blogsprechstunde als digitaler Bohemien und riskierte die Einweisung in die Metaphernhölle. Im Chat ging es um Journalismus und Blogs, freies Arbeiten und das nächste große Ding im Internet.

Moderator: Hallo und herzlich willkommen zum Chat mit Mario Sixtus. Dies ist ein moderierter Chat, es geht gleich um 16 Uhr los. Sie können gerne schon jetzt Ihre Fragen stellen. Wir werden versuchen, sie bis 17 Uhr zu beantworten. Viel Spaß beim Chat!

Mario Sixtus: Ping!

Moderator: Mario Sixtus chattet mit uns aus Düsseldorf. Der elektrische Reporter ist also schon im Chat, die User sind auch in den Startlöchern… Okay, Startschuss. Herr Sixtus, kann es los gehen?

Mario Sixtus: Klar!

herbert: Wollen Sie als elektrischer Reporter den rasenden Reporter wieder aufleben lassen?

Mario Sixtus: Ich wollte vor allem mal was mit Video machen. In den letzten Jahren hatte ich die Tastaturarbeit ein wenig übertrieben und wollte mal ein wenig raus zu den Menschen.

SchwarzerPeter: Wenn du in klassischen Medien arbeitest, schreibst du da anders als im Blog?

Mario Sixtus: Auf jeden Fall. Ich bemühe mich eigentlich sogar, in einer Fachzeitschrift anders zu schreiben, als beispielsweise in einer Tageszeitung. Man spricht halt andere Leute an.

bufdi: Der letzte Artikel auf Ihrer Seite ist von Mai 2006! Wann gibt es neuen Stoff?

Mario Sixtus: Was mir noch aufgefallen ist: Ich schreibe auch in meinem Blog anders, seit ich weiß, dass es viele meiner Kunden lesen. Ja, ich hinke etwas hinterher mit der Aktualisierung… (schäm). Ich stelle demnächst wieder ein paar Texte ein.

liebling: Wäre es nicht viel einfacher, fest angestellt in irgendeiner Redaktion zu sein? Ich schätze, Ihr Job ist ziemlich stressig!

Mario Sixtus: Hmmm… Das ist sicherlich eine Mentalitätsfrage. Ich liebe die Freiheit als Freier. Zum Beispiel, was die Arbeitszeiten angeht. Ich arbeite oft bis in die Nacht und schlafe dann dementsprechend lange. Das geht in einer Redaktion kaum. Außerdem hasse ich Meetings und Konferenzen. Zeitfresser sind das ;-)

tamtam: Ich glaube „liebling“ möchte wissen, ob Sie ein digitaler Bohemien sind?

Mario Sixtus: Sagen wir mal: Wenn man mich so nennen würde, wäre ich nicht beleidigt.

crazyhorse: Don Alphonso hat Sie mal als Web-Esoteriker verunglimpft. Wie gehen Sie damit um?

Mario Sixtus: Ist doch nett. Aber von Don Alphonso beschimpft zu werden, gehört einfach dazu.

Moderator: Also zum Thema „Esoteriker“:

six_feet_under: Was wird das nächste große Ding im Internet?

Mario Sixtus: Mit Esoterik habe ich allerdings überhaupt nichts am Hut. Derzeit laufen eine Menge Entwicklungen in Sachen Online-Identität. Das beginnt mit Single-Sign-In-Lösungen, bei denen man sich nicht mehr auf jeder Plattform mit Username/Passwort anmelden muss. Und geht weiter bis zur Authentifizierung bei Banken oder ähnlichem. Ich denke, solche Systeme werden das Netz, wie wir es jetzt kennen, radikal verändern. Ob man das will oder nicht, steht noch zur Diskussion.

Fragesteller: Können Sie sich vorstellen, auch andere Themen in ihrem elektrischen Reporter aufzunehmen? Also weg von reinen Internetthemen?

Mario Sixtus: Fußball? ;-)

haarmonika: Dein neustes Video vom elektronischen Reporter handelt ja von Netzneutralität – glaubst du, die Telekommunikationskonzerne werden ihre Androhungen verwirklichen? Gehen dann nicht die Blogger unter?

Mario Sixtus: Ich finde, das, was das Netz in unserer Gesellschaft an Veränderungen auslöst, ungemein spannend. Daher werde ich mich noch eine Weile darauf konzentrieren.

Moderator: Ich war gerade wohl zu schnell mit der neuen Frage, Entschuldigung! Vielleicht jetzt zu haarmonika?

Mario Sixtus: Netzneutralität ist eine ungemein heikle Sache: Ich singe da mit David Weinberger im Chor: Den Telcos darf man die Netzstandardisierung nicht überlassen. Momentan kann jeder, der Lust und Zeit hat, beispielsweise ein Videoblog starten und er geht mit (quasi) den gleichen Bedingungen an den Start wie ein TV-Sender, der im Web aktiv ist. Dem Netz ist es momentan noch egal, woher die Daten kommen. Sollte zwischen Großen und Kleinen unterschieden werden, wie das einige Telcos planen, wäre das Netz nicht mehr das, was es jetzt ist.

Citoyen: Wieso wird in Deutschland so wenig politisch gebloggt? Warum sind die Zahlen in anderen Ländern wie USA oder in Frankreich soviel höher? Ihre Einschätzung, bitte.

Mario Sixtus: Gute Frage. Darüber habe ich schon oft mit vielen Leuten diskutiert und wir sind zu keiner befriedigenden Antwort gekommen. Einige Vermutungen: In Frankreich oder den USA herrscht eine andere Gesprächs- und Debattenkultur. In Deutschland hält man mit seiner Meinung lieber hinterm Berg. Aus Angst, der Chef könnte einen lesen oder so. Wie gesagt: Eher eine Vermutung. Unabhängig davon ist das Interesse an Politik in Deutschland nicht sonderlich groß.

tassilo: Welcher Gast hat sie als elektrischer Reporter am meisten beeindruckt?

Mario Sixtus: Wahrscheinlich Brewster Kahle vom Internet-Archiv. Der Mann ist überzeugt davon, das Wissen der Welt für alle Menschen gratis zugänglich machen zu können. Er schwärmt mit leuchtenden Kinderaugen von der Vorstellung, im Netz Bücher zu veröffentlichen, die man ausdrucken und so in die entlegensten Winkel der Welt bringen kann. Toller Typ mit großer Vision.

redundant: Gab es eigentlich mal ein Promi-Interview, bei dem der Interviewte richtig schwierig und zickig war?

Mario Sixtus: Bislang eigentlich nicht. Ich spreche Interviews ja vorher ab und wenn mein potenzieller Gesprächspartner mir zu zickig erscheint, dann verliere ich die Lust und lass es lieber. Ich habe ja keine Publikationspflicht :-). Organisatorisch am schwierigsten war sicherlich Marissa Mayer von Google. Die hat schon einen gewissen Popstar-Status und ist recht schwierig vor die Kamera zu bekommen. Beim Interview war sie aber professionell freundlich.

dastz: Wieviel Aufwand bereitet eine elektrische Reporter-Sendung?

Mario Sixtus: Das möchte ich lieber nicht zusammenrechen. Dann käme ich wahrscheinlich auf den Stundenlohn eines Straßenmusikers :-). Ernsthaft: Es ist recht viel Arbeit, alles alleine zu machen, von der ersten Kontaktaufnahme über die ganze Produktion, bis zum Konvertieren und Uploaden.

nolookpass: Sind Sie ein Einzelkämpfer oder könnten Sie sich vorstellen, mal eine Art elektrische Reportergruppe aufzuziehen?

Mario Sixtus: Aber wie viele Stunden? Keine Ahnung. Ach, ich arbeite gerne alleine, aber im Team wäre auch okay. Hmmm… Elektrische Reportergruppe: Gute Idee!

Citoyen: Gibt es eigentlich den elektrischen Reporter auch bald in Second Life?

Mario Sixtus: Das ist ein Zeitproblem. Die Idee hatten wir auch schon, aber die Videos einfach dort zu streamen, finde ich als Idee nicht so knackig. Wenn, dann müsste man auch ab und an vor Ort sein – und dafür fehlt mir einfach die Zeit.

Sarah G.: Wie unabhängig sind Blogger, die unter der Schirmherrschaft eines etablierten Medienhauses wie Handelsblatt.de vloggen?

Mario Sixtus: Ich bin redaktionell weitgehend unabhängig. Ich informiere die Redaktion zwar ab und an darüber, was ich demnächst vorhabe, aber letztlich entscheide ich selbst, was ich mache und was nicht. Es gibt auch keine Abnahme. Wenn ich einen Film fertig habe, stelle ich ihn online. Bislang hat das sehr gut funktioniert.

Cardine: Glaubst du, dass die traditionelle Tageszeitung noch lange leben wird? Sogar die New York Times hatte doch sogar letztens große Probleme, wenn ich mich richtig erinnere.

Mario Sixtus: Bedrucktes Papier zu verkaufen, ist sicherlich kein Geschäft mit Zukunft. Ich denke, wer den Sprung ins Netz nicht schafft oder nur halbherzig vollzieht, wird ernsthaft Probleme bekommen.

danman2: Geht von den vielen Amateurreportern nicht eine Gefahr für die professionellen Journalisten aus? Leidet insgesamt die journalistische Qualität?

Mario Sixtus: Aaalso… Die journalistische Qualität leidet vielerorts derzeit sowieso schon. Aber das hat andere Gründe. Mangelnde Trennung von PR und Nachricht, Druck der Anzeigenabteilung auf die Redaktion, Budgetmangel et cetera. Blogger sind in keinster Weise eine Gefahr für den Journalismus. Sie nehmen aber natürlich in der Summe Online-Magazinen einiges an Leserschaft weg. Aber:Man darf sich auch fragen, wie groß der Anteil des Journalismus am Medienaufkommen derzeit überhaupt ist? Wenn man sich in einem Zeitschriftenladen umschaut, sieht man gefühlte 98 Prozent Promi-Klatsch, den Journalismus muss man ja suchen. Im TV sieht es ähnlich aus und vom Radio sprechen wir am besten überhaupt nicht. Der Journalismus hat andere Probleme. Blogger gehören nicht dazu.

punjabi: Welches Online-Angebot großer Zeitungen finden Sie denn persönlich am besten – unabhängig von Ihren beruflichen Tätigkeiten? Spiegel? Oder gibt es bessere Beispiele?

Mario Sixtus: Ich müsste jetzt ja Handelsblatt.com sagen ;-). Sage aber Zeit.de. Gefällt mir sehr gut, der Mix aus Nachrichten und längeren Artikeln. Die Frage musste kommen…Moment…Telefon… just a sec!

Danman2: Na, das ist live! Handy aus in der Schule!

Tollpatsch: Welche Blogs liest Du am liebsten?

Mario Sixtus: Okay. Wieder da. An deutschen Blogs lese ich so das Übliche, Spreeblick, Wirres und Konsorten halt. Aber die meisten Blogs, die ich im Feedreader habe, sind von US-Bloggern aus dem Technologie- oder Mediensektor:
http://www.thepomoblog.com/
http://www.unmediated.org/
http://www.yelvington.com/
http://www.hyperorg.com/blogger/
http://www.lostremote.com/
Noch mehr?
http://radar.oreilly.com/

Moderator: Das sind doch schon gute Tipps!

danman2: Wird es reine Blogbündelungsmedien geben, die Portale wie zum Beispiel Spiegel.de mit zentralisierten Redaktionen et cetera Konkurrenz machen?

Mario Sixtus: Blogbündelungsmedien… Was ein Wort! Mal abwarten. Techmeme.com ist zum Beispiel ein interessanter Ansatz. Die bündeln Postings nach Verlinkung, aber auch thematisch. Da wird sicher noch einiges kommen. Ob das den Nachrichtenportalen aber die Butter vom Brot nehmen wird, ist eine andere Frage. Ich denke, es ist viel Butter da und es wird immer mehr. Die langt für viele unterschiedliche Brote – und dafür komme ich jetzt in die Metaphernhölle.

Heintje: Auf Ihrem Blog setzen Sie freiwillig plazes.com an, also eine Landkarte, auf der jeder sehen kann, wo Sie sich gerade befinden – stört es Sie nicht, dass Sie jetzt von überall kontrolliert bzw. überwacht werden können?

Mario Sixtus: Der Plazer, also die Software auf meinem Notebook, die den jeweiligen Ort angibt, läuft nicht automatisch, sondern wird von mir getriggert. Ich bin also nur dort sichtbar, wo ich es zulasse. Das ist eigentlich das Gegenteil von Überwachung. Ich entscheide, wo ich mich sehen lasse.

Peter23: Sie haben gerade den Podcast-Award gewonnen. Was bedeutet das für Sie? Mehr Geld oder mehr Anerkennung?

Mario Sixtus: Letzteres. Preise bekommen ist natürlich toll – vor allem, weil meine Frau eine Schwäche für Preisverleihungen hat. Aber generell: Wenn man wahrgenommen wird, mit dem, was man macht und auch noch ausgezeichnet, ist das schon klasse.

luigi: Woher kommen diese Schwarzweißbilder in Ihren Videos?

Mario Sixtus: Die Hintergründe stammen allesamt aus dem Bewegtbildarchiv von Archive.org. Dort liegen tausende von Filmen, die rechtefrei sind. Ich lade mir immer ein paar Stunden SciFi aus den 40ern herunter und schnipsele dann ein paar Sekunden Hintergrund heraus. Das nochmal zum Thema: Wie viel Arbeit.

Moderator: So, die Zeit ist auch schon fast um. Ein Schlusswort noch?

Mario Sixtus: Prost!

Moderator: Das war die Blogsprechstunde mit Mario Sixtus. Vielen Dank fürs Mitchatten. Nächste Woche von 16 bis 17 Uhr ist Katharina Borchert, Onlinechefredakteurin der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und bekannt als Lyssa, im Chat. Wie immer von 16 bis 17 Uhr auf politik-digital.de und auf blogpiloten.de.

danman2: Ein ähnlich schönes Schlusswort wie letzte Woche!

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