Spotifys Rüstungsinvestitionen: Warum der Boykott großer Plattformen so schwierig ist

„We don’t want our music killing people. We don’t want our success being tied to AI battle tech.“ So erklärte die Band Deerhoof im Sommer ihren Abschied von Spotify. Auslöser war eine Enthüllung über die Investitionen von Spotify-CEO Daniel Ek in ein Unternehmen für KI-gesteuerte Rüstungstechnologien – das deutsche Startup Helsing. Was im Sommer schon ein kurzen Aufschrei gegeben hat, hat auch Monate später ein Nachspiel: Manche Bands sind tatsächlich verschwunden, andere tauchen noch mit einzelnen Songs in dem Streamingdienst auf. 

Was scheinbar als isolierter Prozess begann, reiht sich inzwischen in ein Muster wiederkehrender Kritik ein. Schon 2021 hatte Eks Beteiligung an Helsing für Aufregung gesorgt, ebenso wie 2022 der Streit um Joe Rogans Podcast. Immer wieder stehen moralische Fragen im Raum und immer wieder reagieren Musiker*innen mit Boykottaufrufen oder Rückzug von der Plattform. Dennoch bleibt Spotify Markführer. Trotz wachsender Empörung gelingt es den Künstler*innen sowie Nutzer*innen nur begrenzt, die Plattform wirklich zu treffen. Der Versuch sich Spotify zu entziehen zeigt auch, wie kompliziert digitaler Protest geworden ist.

Die Enthüllung über Spotifys Investments

2025

Im Sommer 2025 wurde bekannt dass der Spotify-CEO mit seiner gegründeten Investmentfirma Prima Materia in das in München ansässige Unternehmen Helsing investiert hat. Helsing entwickelt künstliche Intelligenz für militärische Anwendungen, beispielsweise KI-gesteuerte Drohnen. Ek investierte zuletzt 600 Millionen Euro in das Startup. Der Aufschrei war dementsprechend groß, denn wenn Nutzer*innen ihr Spotify-Abo abschließen geht immer auch ein Teil des Geldes an den CEO. So möchte nicht jede*r indirekt die Rüstungsindustrie und damit in letzter Instanz auch die Kriege mitfinanzieren. Doch nicht nur die Nutzer*innen beschwerten sich, auch zahlreiche Künstler*innen waren schockiert.

Ein Beispiel ist die erwähnte Indie-Rock-Band Deerhof. Die Amerikanische Band erfuhr von Eks Investmentaktivitäten auf Tour und innerhalb von wenigen Minuten fassten sie den Entschluss sich von der Plattform zu distanzieren. Die Investitionen seien dabei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Auch andere Bands folgten dem Boykott, beispielsweise King Gizzard & the Lizard Wizard. Die Gruppe ist eine australische Psychedelic-Rock-Band die ebenfalls schon länger ihre Schwierigkeiten mit Spotify hatte. Der Frontmann Stu Mackenzie antwortete in einem Interview beispielsweise auf die Frage, ob er überrascht von den Investitionen sei, folgendes: „A bit of shock, and then feeling that I shouldn’t be shocked. We’ve been saying f— Spotify for years.“ Auch führt er fort dass sich viele seiner befreundeten Musikkolleg*innen ähnlich gegenüber Spotify empfinden. Deehof und King Gizzard & the Lizard Wizard bleiben dabei nicht die einzigen Bands die im Zuge der neuen Investitionen ihre Musik zurückziehen wollen.

2021

Trotzdem sind die Verwicklungen von Daniel Ek in Helsing nichts Neues. Anfang November 2021 verfasste er selber den folgenden Tweet:

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Eck schloss sich also dem Board Helsings an und investiert mit Prima Materia 100 Millionen Euro. Auch damals gab es einen Aufschrei. Die Hashtag-Kampagne #BoycottSpotify trendete, vor allem in den letzten Novemberwochen. Auch hier drohten Künstler*innen damit sich von Spotify zu entfernen, beispielsweise der Ambient-Dub-Fusion-Musikproduzent Darren Sangita. Dieser rief zusätzlich unter Verwendung des genannten Hashtags die Nutzer*innen dazu auf, ihr Abonnement zu kündigen. Langfristig blieb die Wirkung des Protests allerdings überschaubar. Das Thema geriet wieder in den Hintergrund, bis es vier Jahre später erneut auf Aufmerksamkeit stieß.

Dass die neuen Investitionen 2025 wieder für einen größeren Aufschrei sorgten, könnte unter anderem daran liegen, dass sich Helsing damals vor allem auf Software für militärische Aufklärung fokussierte. Ziel war es also zunächst, mithilfe von KI Muster in Daten aus Kameras, Wärmebildern, Radardaten und anderen Sensoren zu erkennen, um so beispielsweise ein besseres Lagebild zu gewinnen.  Das waren vielleicht nicht unbedingt direkte Waffensysteme, wie die KI-gesteuerten Drohnen, dennoch ist auch militärische Aufklärung teil moderner Kriegsführung. Somit löste letzendlich bereits 2021 die Verbindung von Spotify und Militärtechnologie erste ethische Debatten aus.

Ähnliches Schema: Der Fall Joe Rogan

Nur wenige Monate nach dem Aufschrei um die ersten Rüstungsinvestitionen steht Spotify 2022 wieder in der Kritik. Diesmal ging es nicht um Geldanlagen, sondern um den Umgang mit Desinformation und Rassismus. Der Anlass war dabei ein eigener Spotify-Exclusive-Podcast, nämlich „The Joe Rogan Experience“. Rogan, ein US-Amerikanischer Comedian hatte wiederholt Gäste zu Themen wie Corona-Impfungen und Covid19 eingeladen, die nachweislich falsche oder irreführende Aussagen verbreiteten. Auch nutzte er mehrfach das N-Wort in verschiedenen Podcastfolgen.

Als einer der ersten Musiker*innen zog Neil Young seine Konsequenzen und verließ – mitsamt seiner Musik – die Streamingplattform. Auch weitere Künstler*innen schlossen sich dem Ausstieg an, beispielsweise die kanadische Sängerin Joni Mitchell. Auch R&B Sängerin India Arie folgte dem Boykott, nicht nur wegen der Corona-Desinformation, sondern vor allem wegen des rassistischen Sprachgebrauchs Rogans.

Tatsächlich kam Spotify der Forderungen in Teilen nach. Zwar Forderte Neil Young ursprünglich eine Absetzung des Joe Rogan Podcasts – dazu kam es nicht – aber Spotify kündigte an Hinweise zu Covid19-Themen einzublenden und Inhalte mit medizinischen Fehlinformationen transparenter zu Kennzeichnen. Auch um die 70 Folgen des Podcasts, in denen Rogan das N-Wort nutzt, wurden entfernt. Dennoch blieb sein Vertrag bestehen und schließlich sogar verlängert, wenn auch mit einer gelockerten Exklusivität, die es ihm erlaubt, seinen Podcast auch auf anderen Plattformen zu veröffentlichen.

Proteste und öffentlicher Druck können also teilweise doch etwas bewirken, wobei auch erwähnt werden muss, dass Rogans Podcast immer noch online ist, durchgehend online war und weiterhin neue Folgen produziert. Auch die drei genannten Künstler*innen lassen sich mit ihrer Musik mittlerweile wieder auf Spotify finden.

Boykott in der Praxis

Es liegt Nahe, dass Neil Young als wirklich großer Name für mehr Aufruhr sorgen kann als kleinere Nischen-Bands wie Deerhof. Auch Joni Mitchell hat aktuell 2.634.287 und India Arie 1.069.151 monatliche Hörer*innen auf Spotify. Dennoch führte der Boykott nur begrenzt zur Veränderung und alle drei Künstler*innen befinden sich aktuell wieder auf Spotify.

Neil Young begründet dies damit, dass nun auch andere Plattformen Podcasts mit Desinformationen oder gefährlichen Inhalten hosten – durch den neuen Vertrag schließlich auch den Joe Rogan Podcast – und er könne schlichtweg nicht alle Plattformen boykottieren. Seine Musik könnte sonst nicht den Weg zu seinen Fans und zu den Musikliebhaber*innen finden. Arie ordnet ihren Protest anlässlich ihrer Rückkehr als erfolgreich ein, da sie nie wollte, dass Rogans Podcast abgesetzt werde. Sie betont dass sie genau drei Dinge erreichen wollte: I wanted him [Joe Rogan] to take accountability, I wanted Spotify to take accountability, and I wanted to see systemic change in the music industry.“ 

Der Rüstungs-Boykott – Was ist daraus geworden?

Betrachtet man den Spotify Account des Producers Darren Sangita, so findet man tatsächlich keine Songs mehr von ihm. Bei Deerhof und King Gizzard & the Lizard Wizard, zwei der Bands die 2025 ihren Ausstieg bekannt gaben, sieht das noch anders aus. Dabei können die Bands selber nichtmal etwas dafür.

Einzelne Songs sind weiterhin aufrufbar – teils, weil sie über andere Labels oder Kollaborationspartner*innen veröffentlicht wurden, teils weil sie auf Sammelalben erscheinen, die von Dritten kontrolliert werden. Die Bands selbst haben also oft gar kein direkten Einfluss darauf, ob ihre Musik wirklich vollständig verschwindet. Damit zeigt sich auch ein grundlegendes Problem im digitalen Protest: Musik ist nicht immer vollständig im Besitz der Künstler*innen, sondern kann Teil eines komplexen Feldes aus Labels, Distributoren und Plattformen sein. Selbst wenn eine Band beschließt, ihre Songs zu löschen, kann es Wochen oder Monate dauern, oder im schlimmsten Fall gar nicht funktionieren, bis die alles offline ist. Für Künstler*innen die sich positionieren wollen kann das durchaus frustrierend sein.

Was diese Debatten zeigen

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Kritik an Spotify längst kein Einzelfall ist, sie kommt in Wellen. Die meiste Zeit folgt sie einem ähnlichen Muster. Künstler*innen ziehen ihre Musik zurück, vereinzelte User kündigen vielleicht ihre Abos oder ein Hashtag zum Aufruf eines Boykotts trendet – und einige Monate später kehrt vieles zur Normalität zurück.

Dabei zeigt sich, wie kompliziert digitaler Protest ist. Selbst wenn Bands ihre Songs entfernen wollen, dauert es oft Wochen, bis alle Veröffentlichungen verschwunden sind, wenn sie überhaupt vollständig verschwinden. Rechte liegen bei Labels, Songs tauchen über Kollaborationen wieder auf. So verliert ein Boykott schnell an Momentum: In dem Moment, in dem die Öffentlichkeit reagiert, ist die Musik oft noch online. In einer Plattformlogik, in der alles schnell geht, ist langsamer Protest fast zum scheitern verurteilt. Die Aufmerksamkeitsspanne ist kurz und das System auf Dauerbetrieb ausgelegt. Fraglich bleibt außerdem wie viel die eher kleineren Künstler*innnen mit ihrer überschaubareren Hörer*innenschaft auf einer so riesigen Plattform tatsächlich bewirken können.

Und dennoch bleibt der Protest wichtig. Er macht sichtbar, dass hinter Playlists und Algorithmen auch politische Fragen stehen können – über Verantwortung, Ethik und Kontrolle. Spotify scheint dabei sinnbildlich für die Schwierigkeiten zu stehen, die der Protest mit sich bringt. Die Künstler*innen wollen Haltung zeigen, doch die Infrastruktur in der sie sich bewegen verlangsamt oder neutralisiert ihren Protest. Vielleicht liegt die Kraft dieser Boykotte also zum Teil weniger im unmittelbaren Effekt, als viel mehr in einer wichtigen Symbolwirkung. Und teilweise, betrachtet man die Aufstände rund um Joe Rogan, kann doch auch Änderung aus diesen Protesten hervorgehen. Wie man diese Änderungen letztendlich bewertet, als erster Schritt in die Richtige Richtung oder nur als Tropfen auf einem heißen Stein, das ist eine weitere Frage, die die Debatten aufwerfen.

Fazit

Auch Monate nach dem Boykottaufruf einiger Künstler*innen hat sich Spotifys Position nicht geändert. Die Investitionen von Daniel Ek in Helsing bestehen fort, und einige der angekündigten gelöschten Songs sind weiterhin auf der Plattform verfügbar. Der Aufschrei von 2025 hat außerdem sichtbar gemacht, dass sich ethische Konflikte rund um Spotify wiederholen können.
Der Boykott bleibt damit vor allem ein Symbol. Ein Versuch Haltung zu zeigen, der vielleicht keine strukturellen Veränderungen bewirkt, aber ein Bewusstsein schafft.


Image by cottonbro studio via pexels

Hat ihren Bachelor in Kulturwissenschaft mit Fokus auf digitale Medien abgeschlossen und verbindet nun ihre Leidenschaft fürs Schreiben mit der Begeisterung für alles, was digital ist. Dabei geht sie gerne den Fragen nach, die unsere vernetzte Welt bewegen und unseren Alltag prägen.


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