Etteln ist ein kleiner Ort in Nordrhein-Westfalen. Er gehört zu der Gemeinde Borchen und liegt im Kreis Paderborn, Etteln hat ein bisschen weniger als 2000 Einwohner*innen. Dieses kleine und ländlich geprägte Dorf unterscheidet sich dennoch deutlich von anderen Dörfern, weist dafür aber Ähnlichkeiten zu Metropolen wie Hongkong auf. Das klingt erstmal paradox, ist aber so: Etteln ist Teil der europäischen Bewegung der Smart Villages und gehört damit in denselben Zukunftsdiskurs wie die sogenannten Smart Cities. Auch hier geht es darum, mit digitalen Technologien, neuen Ideen und gemeinschaftlichen Projekten Lebensqualität zu sichern und den Ort fit für die kommenden Jahrzehnte zu machen.
Was ist ein Smart Village?
Ein Smart Village lässt sich in die größere Kategorie der Smart Cities einordnen – nur eben als Village, also als Dorf. Smart City ist ein Sammelbegriff für Entwicklungskonzepte, die verschiedene Orte zu einem besseren Lebensraum transformieren wollen. Die Konzepte können soziale, technische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Innovationen beinhalten und zielen darauf ab, die Stadt lebenswerter, effizienter und fortschrittlicher zu machen.
Besonders bezogen auf die Dörfer, gibt es in Deutschland einige Initiativen, die die Digitalisierung auf dem Land vorantreiben sollen. Das Modellvorhaben Smarte.Land.Regionen des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat ist ein Beispiel. Sieben Modellregionen erproben neue Ansätze und sammeln damit Erfahrungswerte sowie Best-Practice-Lösungen. In Zukunft soll dann ganz Deutschland von disen Innovationen profitieren. Das Ganze sieht wie folgt aus:
Ein weiteres Programm ist Land.Digital, ebenfalls vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat gefördert. Hier geht es darum, digitale Anwendungen für zentrale Lebensbereiche im ländlichen Raum zu entwickeln. Das Ganze erstreckt sich über sieben verschiedene Themenbereiche, namentlich: Wirtschaft und Arbeit, Ehrenamt und Beteiligung, Mobilität, Bildung und Qualifizierung, Gesundheit und Pflege, Nahversorgung sowie Informations- und Kommunikationsplattformen. Die Vorschläge sollten dabei von den Menschen kommen, die auch wirklich betroffen sind: Den Einwohner*innen auf dem Land. So gingen einige Pilotprojekte an den Start, mit dem Ziel, die gewonnenen Erkenntnisse auch für andere Orte nutzbar zu machen.
Diese Projekte zeigen: Die Digitalisierung ist längst nicht mehr nur ein Thema der Großstädte, sondern ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung ländlicher Räume. Mit ihr kann das Leben auf dem Land attraktiver gestaltet werden. Ziel ist es auch, die gleichen Chancen wie in den Städten zu schaffen. Dass die Bemühungen sich lohnen, zeigt Etteln: 2024 zieht das kleine Dorf an Städten wie Hongkong oder Tokio vorbei und erhält die Auszeichnung zur besten Smart City durch den Ingenieurverband IEEE in Thailand.
Etteln als Smart Village
Warum wurde Etteln digitalisiert?
Die Digitalisierung in Etteln findet ihren Ursprung im Dorf selbst. Dabei reicht die Geschichte weiter zurück als auf den ersten Blick gedacht. Etteln kämpft mit den typischen Herausforderungen für ländliche Regionen. Die Bevölkerungszahlen schrumpfen immer weiter und es lassen sich kaum Neubürger*innen für das Dorf gewinnen. Schon 2012 gründeten engagierte Bürger*innen den Verein Etteln aktiv e.V., ursprünglich, um den Erhalt der örtlichen Grundschule zu sichern – im Übrigen erfolgreich.
Aus diesem Engagement entstand ein breiterer Bürgerbeteiligungsprozess, um Verbesserungen für das eigene Dorf zu bewirken, die sogenannte Anschwung-Initiative. Die großen Potenziale der Digitalisierung wurden schnell erkannt und wurden ab 2018 Markenkern des Ortes. Etteln sollte nicht nur ein Dorf mit starker Gemeinschaft bleiben, sondern gleichzeitig ein Beispiel dafür werden, wie ländliche Räume durch den geschickten Einsatz digitaler Technologien zukunftsfähig gestaltet werden.
Die Initiative hinter Etteln: DiDoZ
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde das Projekt DiDoZ, was für digitaler Dorf-Zwilling Etteln steht, ins Leben gerufen. Auch das wird vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Heimat gefördert. Weitere Partner sind unter anderem der Etteln aktiv e.V., mehrere Unternehmen wie die solutiT GmbH, oder auch Forschungspartner wie das SI-Lab der Universität Paderborn.
Bürger*innen-Initiative
Doch auch die Eigenleistung der Bürger*innen sollte nicht unterschätzt werden. Vor Zeiten der Förderung und des DiDoZ entschied die Gemeinde Borchen, den Glasfaserausbau für abgelegene Haushalte aus Kostengründen nicht umzusetzen. Kurzerhand organisierte sich die Dorfgemeinschaft selbst und verlegte in Eigeninitiative 30 Kilometer Glasfaserleitung. Rund 60 Ehrenamtliche investierten circa 3.400 Arbeitsstunden und stellten Maschinen unentgeltlich zur Verfügung. So konnten selbst die landwirtschaftlichen Betriebe im Außenbereich mit schnellem Internet versorgt werden.
Der Weg zur Digitalisierung
Nach der Verlegung der Glasfaserleitungen folgte der nächste Schritt zur Digitalisierung des Dorfes: Die Einführung der Dorf-App. Hier können sich Bürger*innen vernetzen, Nachrichten austauschen oder auch Veranstaltungen bekanntgeben. Um auch Menschen ohne Smartphone zu erreichen wurde zunächst eine digitale Anzeigetafel im Schaufenster der Dorfbäckerei eingerichtet. Die Bäckerei mit kleinem Lebensmittelgeschäft ist ohnehin die zentrale Anlaufstelle des Dorfes.
Ein weiteres Projekt widmet sich dem Thema Mobilität, das im ländlichen Raum häufig eine besondere Herausforderung darstellt. Im Dorfkern entstand deshalb die digitale Mitfahrbank. Wer dort ein Fahrziel auswählt, löst nicht nur die digitale Anzeige aus, sondern auch eine Push-Benachrichtigung an alle Nutzer*innen der Dorf-App. Mit weiterer Förderung wurde das Angebot durch das e-Dorfauto ettCAR ergänzt. Dieses kann kostenfrei von registrierten Einwohner*innen benutzt werden. Zusätzlich wurde ein elektrisches Lastend angeschafft, das ebenfalls zur freien Verfügung steht.
Mit diesen Projekten waren jedoch zunächst nur Insellösungen entstanden. Da diese langfristig verbunden werden sollten, bewarb sich die Gemeinde mit ihren Partnern beim Förderprogramm des Bundesministeriums und erhielt 2023 einen Zuschlag in Höhe von 1,3 Millionen Euro. Ziel ist der Aufbau einer Open Source Urban Data Plattform, auf der alle Anwendungen zusammengeführt werden. So entsteht der digitale Dorf-Zwilling, der Daten und Dienste bündelt und die Grundlage für weitere digitale Innovationen in Etteln bildet.
Der digitale Dorf-Zwilling: konkrete Handlungsfelder des Smart Village
Mit dem digitalen Dorf-Zwilling werden in Etteln verschiedene Handlungsfelder miteinander verbunden, die zeigen, wie umfassend das Konzept Smart Village gedacht wird. Der Ausgangspunkt für alles ist eine digitale Infrastruktur und somit das erste Handlungsfeld. Konkret wird hier die bereits erwähnte Open Source Urban Data Plattform genutzt, die alle Insellösungen bündelt, Daten erfasst und auswertet. Ein zweites Handlungsfeld ist die Bürgerbeteiligung. Während Ältere über Formate wie einen Senioren-Computerclub unterstützt werden, können junge Menschen durch kreative Veranstaltungen wie eine Campus-Party direkt an der Mitgestaltung digitaler Angebote mitarbeiten.
Der eigentliche Dorf-Zwilling entsteht im Rahmen des intelligenten Dorfes. Das ist ein 3D-Dorfmodell, das durch Drohnenbilder, Sensorwerte und Panoramakameras erstellt wird. Dieses soll beispielsweise anzeigen, wie viel Niederschlag es an den unterschiedlichen Standorten gegeben hat oder wie viele Leihfahrräder aktuell verfügbar sind. Das führt direkt zu dem nächsten Handlungsfeld, der Wasserwirtschaft. Mit Hilfe von Sensoren werden Umweltdaten wie eben die Regenmenge erfasst. Auch der Grundwasserspiegel oder Flusspegel sind hier von Interesse, denn die Daten sind maßgeblich für das Hochwasserwarnsystem und die Klärung der Ursache für das Trockenfallen des Dorfflusses. Generell soll die öffentliche Gefahrenabwehr als weiteres Handlungsfeld Gewicht bekommen, beispielsweise durch neue Formen der Zusammenarbeit von Feuerwehr und Bürgerschaft.
Im Handlungsfeld vernetztes Quartier geht es um Maßnahmen wie intelligente Straßenbeleuchtung, öffentliches WLAN oder Ladepunkte. Auch wurden beispielsweise Altkleidercontainer mit Sensoren ausgestattet, die den Bewohner*innen Informationen über den aktuellen Füllstand liefern – so merkt man nicht erst vor Ort, dass der Container bereits belegt ist. Bestehende Angebote wie das E-Auto werden unter dem Stichwort Mobilität zusammengeführt und durch Datenerhebungen ergänzt.
Besonders interessant ist auch die Energiewirtschaft, denn alles, was mit Technologie zu tun hat, benötigt schließlich Strom. In Etteln sind über 230 Solaranlagen auf Dächern installiert, zudem erzeugen 18 Windräder sowie eine Biogasanlage erneuerbare Energie. Zusammengenommen deckt die Gemeinde damit das 34-fache ihres Energiebedarfs durch erneuerbare Quellen. Das Projekt DiDoZ benötigt zudem ein Rechenzentrum. Dieses soll in einem Windradturm in direkter Nachbarschaft zu Borchen betrieben werden. Kleinere Maßnahmen, wie eine intelligente und effizientere Weihnachtsbeleuchtung, runden das Ganze ab.
Fazit
Etteln zeigt eindrucksvoll, dass die digitale Transformation nicht allein ein Thema für Großstädte ist. Mit einer Mischung aus bürgerschaftlichem Engagement, entsprechenden Förderprogrammen und innovativen Projekten hat sich der kleine Ort zu einem Vorreiter für das Konzept Smart Village entwickelt. Dabei geht es nicht um technische Spielereien, sondern um die Lebensqualität der Menschen, genauer um bessere Mobilität, nachhaltige Energieversorgung, transparente Informationen und neue Formen der Beteiligung und Vernetzung.
Etteln ist also ein Vorzeigedorf in Sachen Digitalisierung und zeigt, wie Zukunft auf dem Land funktionieren kann. Da bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Wenn sogar die entlegensten Höfe Highspeed Internet haben, warum hinkt dann der Rest Deutschlands so hinterher, dass selbst die Kühe in Etteln schneller surfen könnten als mancherorts die Menschen?
Image via ChatGPT (KI-generiert)
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