Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an die eigene „Zettelwirtschaft“ aus der Schulzeit. Lose Blockseiten die irgendwo herumschwirren, oder Arbeitsblätter die schnell zwischen die Seiten eines Collegeblocks geschoben wurden. Lernmanagementsysteme (LMS) versprechen einen strukturierteren Ansatz, der alle Lerninhalte unter einer Oberfläche verfügbar macht.
Ein Lernmanagementsystem ist eine Software, mit der sich Online-Lernmaterialien erstellen, verteilen und organisieren lassen. Zusätzlich wird die Kommunikation und Koordination von Lehrangeboten vereinfacht. Die Bedeutung von LMS geht jedoch über die reine Ordnung hinaus: Mit der fortschreitenden Digitalisierung von Bildung und Arbeit setzen immer mehr Institutionen auf solche Systeme. An Universitäten und vielen Schulen gehören sie mittlerweile zum Standard, aber auch Unternehmen nutzen sie zunehmend, beispielsweise für Weiterbildungen. Da LMS sehr komplex in ihren Funktionsweisen sind, soll im Folgenden ein Überblick über ihre Einsatzmöglichkeiten und Besonderheiten geboten werden.
Funktionsweise und Features
Übersicht
In Lernmanagementsystemen können eine Vielzahl von Anwendungsprogrammen und verschiedenen Medienformaten integriert sein. Dies macht die Nutzung und die Möglichkeiten grundsätzlich recht vielfältig. Zunächst also die groben Merkmale. Die Software zeichnet sich durch eine Benutzerverwaltung aus, das heißt Benutzer*innen müssen sich anmelden. Es gibt verschiedene Kurse, in denen die entsprechenden Lerninhalte und -materialien verwaltet werden. Auf der Plattform an sich gibt es eine Rollenverteilung mit verschiedenen Rechten, so kann man auf die Plattform als lehrende oder lernende Person zugreifen. Auch für Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Benutzer*innen ist gesorgt, zum Beispiel in Form von Chats oder Foren. Des Weiteren existieren verschiedene Werkzeuge für das Lernen, wie eine Notizblockfunktion, ein Kalender oder ein digitales Whiteboard.
Die Nutzung von LMS kann von der Präsenzlehre bis zum Distanzkurs reichen. In der Präsenzlehre kann der Kurs vor Ort durch multimediale Angebote ergänzt werden, entsprechende Materialien und passende Informationen erhalten die Lernenden dann online. In der Variante des mediengestützten Selbstlernens können LMS einen strukturierten Überblick über die Inhalte und den Fortschritt bieten, was besonders sinnvoll ist, da bei diesem Format keine externe Betreuung stattfindet. Bei den Distanzkursen lässt sich auf ein Lernmanagementsystem eigentlich nicht verzichten. Hier werden Betreuung und Übungen interaktiv über das Netz abgewickelt, den Zugang ermöglichen die LMS. Wie auch immer also gelernt werden soll – Lernmanagementsysteme können eine hilfreiche Stütze sein oder zum Teil sogar notwendig für die Durchführung eines sinnvoll gestalteten Kurses.
Funktionsbereiche
Wie bereits angerissen, geht es besonders um die Komposition der Lerninhalte. Diese können in die Plattform integriert und somit strukturiert werden. Auch die Kommunikation wurde bereits thematisiert. So besteht die Möglichkeit zu einer zeitlich asynchronen oder synchronen Kommunikation. Asynchrone Mittel können das erwähnte Forum sein, aber auch ein schwarzes Brett oder E-Mails. Synchrone Funktionen sind dann Chats, Videokonferenzen oder ähnliches. So lässt sich beispielsweise auch Zoom in einige LMS integrieren. Um gelernte Inhalte zu vertiefen oder den Fortschritt zu überprüfen, können verschiedene Arten von Tests – etwa Multiple Choice, offene Fragen etc. – in die Plattform integriert werden.
Den Nutzer*innen stehen grundsätzlich verschiedene Werkzeuge zur Verfügung. In der Rolle der lernenden Person lassen sich Annotationen am Kursmaterial vornehmen, Unterlagen ausdrucken oder die eigene Arbeit mithilfe des Kalenders organisieren. Lehrende regeln die Zugangsberechtigungen für Kurse und die Bildung von Arbeitsgruppen. Ihnen ist es möglich die Aktivität der Kursteilnehmer*innen zu verfolgen und eingereichte Arbeiten oder Testergebnisse zu prüfen.
Vorteile und Herausforderungen
Ein großer Vorteil ist die Bündelung von Lernmaterialien und Informationen. Alle Unterlagen, Informationen und Termine finden sich gesammelt an einem Ort, sodass die erwähnte „Zettelwirtschaft“ deutlich reduziert werden kann. Des Weiteren findet das lernen – obwohl online – in einem sozialen Kontext statt. Durch die Organisation in Kursen und die Austauschmöglichkeiten untereinander, aber auch die mögliche Einteilung in kleinere Arbeitsgruppen lernt man nicht komplett isoliert, sondern hat immer wieder Bezug zur Kursgemeinschaft. Ein weiterer Vorteil liegt in der Flexibilität für die Lehrenden, denn die Kurse lassen sich sehr individuell auf die Bedürfnisse der Lernenden anpassen und auf verschiedene Art gestalten. Darüber hinaus können Lernmanagementsysteme auch als Plattform zur Bereitstellung von Open Educational Resources (OER) genutzt werden. Diese sind frei verfügbare, offen lizensierte Lernmaterialien.
Trotz der Vorteile bringen LMS auch Herausforderungen mit sich. Wenn man sich komplett auf Technik verlässt, lassen sich auch Ausfälle oder Abstürze nicht vermeiden. Hinzu kommt, dass einige Nutzer*innen eventuell weiterhin die Arbeit mit Stift und Papier bevorzugen, sei es aus Gewohnheit, mangelnder Technikaffinität oder um die Bildschirmzeit zu reduzieren. Auch die Einarbeitung kann anfangs schwierig sein, die Funktionen wirken komplex und die Gestaltung einzelner Kurse kann je nach Lehrperson stark variieren. Dadurch kann die Orientierung auf der selben Plattform aber in unterschiedlichen Kursen teilweise sehr unterschiedlich ausfallen.
Beispiele für Lernmanagementsysteme
Moodle
Moodle ist eine der bekanntesten und meist benutzen Lernmanagementsysteme. Außerdem ist es eine Open-Source-Software, die vor allem im Bildungsbereich eingesetzt wird. Entwickelt wurde sie bereits im Jahr 2002 von dem Australier Martin Dougiamas. Dieser ließ sich von seinen eigenen Schulerfahrungen – per Fernunterricht in die westaustralische Wüste – inspirieren, um mithilfe des Internets die Bildung über das eigentliche Klassenzimmer hinaus zu ermöglichen.
Moodles große Stärke liegt in der Flexibilität. Lehrende können die Inhalte der Kurse in verschiedenen Modulen aufbereiten, sie können multimediale Materialien einbauen und eine Vielzahl von Plug-Ins nutzen, wie Tests, Foren oder andere Kollaborationsmöglichkeiten. Viele Schulen und Hochschulen betreiben Moodle in einer sehr angepassten und individualisierten Form, indem sie die Plattform nach ihren eigenen Anforderungen gestalten. Dies ist möglich, da es sich um eine Open-Source-Plattform handelt. Ein bekanntes Beispiel hierbei ist Mebis, das in Bayern für Schulen genutzt wird. Mebis basiert auf Moodle, hat aber einen eigenen Namen, ein angepasstes Design und speziell auf den Schulbereich zugeschnittene Werkzeuge und Funktionen. So konnte Moodle optimal auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Schüler*innen angepasst werden.
Ein aktuelles Beispiel für eine Moodle-basierte Initiative ist außerdem die BYTE-Challange. Hierbei handelt es sich um eine kostenlose Lernplattform für Schüler*innen, die digitale Kompetenzen in Bereichen wie Programmieren, Nachhaltigkeit oder Medien vermittelt.
ILIAS
Bei ILIAS handelt es sich ebenfalls um ein Open-Source-Lernmanagementsystem, ILIAS steht dabei für Integriertes Lern-, Informations- und Arbeitskooperations-System. Es ist eines der ersten LMS, das an Hochschulen verwendet wurde. Entwickelt wurde ILIAS in den Jahren 1997/1998 an der Universität zu Köln, im Rahmen des sogenannten VIRTUS-Projekts. Dieses war ein Forschungsprojekt der Uni, in dem nach Möglichkeiten gesucht wurde, die Präsenzlehre durch Informations- und Kommunikationstechnologien zu ergänzen und ein zeit- sowie ortsunabhängiges Studieren zu ermöglichen. VIRTUS steht für virtuelle Universität. Auf Grund der hohen Nachfrage anderer Hochschulen wurde ILIAS dann 2000 unter der General Public License veröffentlicht, was Bildungseinrichtungen ermöglichte die Software frei zu nutzen und individuell anzupassen.
ILIAS verfügt über zwei zentrale Bereiche, das Repository (die zentrale Materialablege), in dem alle Inhalte, Kurse und Materialien gespeichert und geordnet werden, sowie den persönlichen Desktop. Dieser dient jede*r Nutzer*in als individuelle Arbeitsoberfläche und ermöglicht den Zugriff auf die Materialien des Repository, wie Kurse, Foren, persönliche Notizen, Kalender etc.
Tatsächlich geht die Plattform über die typische Kursstruktur hinaus. Neben klassischen Kursen, können Inhalte an verschiedenen Stellen im Repository bereitgestellt werden, wodurch die Plattform wie eine offene Wissensbibliothek genutzt werden kann, auf die auch nicht registrierte Nutzer*innen zum Teil zugreifen können.
Docebo
Docebo ist ein kommerzielles Lernmanagementsystem, das speziell für den Einsatz in Unternehmen entwickelt wurde. Als Anwendungsfälle nennt Docebo auf der eigenen Website unter anderem: Mitarbeiter-Onboarding, Talententwicklung, Compliance-Schulungen, Vertriebsförderungen oder Kundenschulungen. Die Unternehmen können zentrale und tutoriell unterstütze Online-Kurse anbieten, den Fortschritt dokumentieren und visualisieren. Mittlerweile setzt die Software außerdem auf KI-basiertes Lernen.
Docebo ist eine cloudbasierte Software und verfügt über Anbindungsmöglichkeiten für Drittanbieter. Ein Beispiel ist die Einbindung der Plattform in Microsoft-Teams. So beschreibt Docebo selbst, dass ein Kontextwechsel die Produktivität negativ beeinflussen könnte. Deshalb bieten sie die Möglichkeit von Schulungen in Teams an, wo viele Mitarbeiter*innen ohnehin ihre Zeit verbringen und somit eine native Nutzungserfahrung erhalten können. Die Integration in Teams ist aber nur ein Beispiel und kein Muss, die Möglichkeiten sind hier sehr vielfältig. Die Preisgestaltung verläuft auf der Website per Anfrage, je nach Unternehmensgröße und gewünschten Funktionen.
Warum LMS wichtig sind
Lernmanagementsysteme – wie Moodle, ILIAS oder Docebo – zeigen, wie digitale Plattformen das Lernen strukturieren, Inhalte bereitstellen und Zusammenarbeit ermöglichen. Sie machen Lernprozesse transparenter, flexibler und effizienter. Außerhalb ihrer alltäglichen Nutzung konnten LMS ihre Bedeutung bereits während der Corona-Pandemie unter Beweis stellen, als die Präsenzlehre kaum möglich war. LMS sind heute zentral für modernes, orts- und zeitunabhängiges Lernen.
Welches Lernmanagementsystem am besten geeignet ist, hängt stark vom Anwendungskontext ab: Moodle ist durch seine Flexibilität und die große Community besonders an Schulen und Hochschulen stark verbreitet. ILIAS eignet sich vor allem für den akademischen Bereich, wenn es um offene Strukturen und vielfältige Einsatzmöglichkeiten geht. Docebo hingegen richtet sich klar an Unternehmen, die auf professionelle Weiterbildung, Onboarding und eine enge Integration in bestehende Arbeitsumgebungen setzen.
Image by Julia M Cameron via pexels
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