Verehrtes japanisches Volk,

das Beileid unserer gesamten Autoren-Mannschaft gilt den vielen Toten und ihren Angehörigen, die durch das Erdbeben, den Tsunami und den Störfall im Atomreaktor ums Leben kamen oder noch kommen werden.

Leider gibt es große Probleme bei der Hilfe der Überlebenden, die wir in Deutschland nicht ausreichend würdigen. Denn hier entbrennt ein Wettbewerb der Gutmenschen. Manche machen sich große Sorgen wegen der Beschwichtigungen von offizieller Seite, die selten in einem realen Verhältnis zum echten Zustand der Katastrophen stehen. Viele Deutsche bewundern die Energie mit der jeder einzelne Japaner versucht, zu helfen. Noch mehr Menschen aus unserem Land betrachten die Hilfe der offiziellen Stellen jedoch mit Sorge.

Die große asiatische Tradition, Gemütsbewegungen für sich zu behalten, wird in Deutschland gern als Ausdruck der Stärke angesehen und bewundert. Wir alle wissen, dass Stärke nur dann ein guter Ratgeber ist, wenn es sich um einen gerechten Kampf handelt. Der Kampf der Technologie gegen die Gesetze der Natur ist aber in weiten Teilen ein Ausdruck krankhafter und wahnhafter Hybris, die es dem Menschen im Westen nach dem Verlust spriritueller Erbauung erlaubt hat, selbst etwas zu erschaffen, was seine eigenen Möglichkeiten bei weitem übersteigt. Die Atomkraft als Energiegewinnung ist so eine Übersteigerung des Menschen mit den Mitteln der Technologie.

Wir haben in Deutschland spätestens seit dem zweiten Weltkrieg ein tiefes Verständnis für die Potentiale der Technologie in verantwortungslosen Händen. Daher kommt auch die weit verbreitete Angst vieler Deutscher, wenn wir uns näher mit der Betreiberfirma Tepco beschäftigen und die hilflos wirkenden Versuche, Tonnen von radioaktivem Müll mit Wasserschläuchen zu kühlen. Auch die Verharmlosung der bereits freigesetzten Strahlung in Luft, Wasser, Boden und Nahrung macht uns nicht zuversichtlicher, dass das japanischen Volk in den besten Händen ist.

Giri und Ninjô sind wichtige Werte in Japan. Wir würden sie als Ehre und Menschlichkeit übersetzen. Beides wären gute Ratgeber für einen transparenten Umgang der Offiziellen Japans über die wahren Verhältnisse rund um Fukushima und Onogawa. Aber beide Werte sollten nach meiner Ansicht auch unsere hiesigen Besserwisser dazu anleiten, nicht den Nächsten (Helfer) zu bewerten, sondern selbst ein besseres Vorbild zu sein – im Handeln wie im Denken.

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Jörg Wittkewitz

Wem nichts Besseres einfällt, der könnte einfach in den nächsten 12 Monaten vermehrt japanische Produkte kaufen, was dem drohenden Wirtschaftsabschwung in Japan entgegenwirken könnte. Denn Nachfrage ist nicht immer nur bloßes Konsumieren. Es lenkt auch mittelbar die Schicksale von Arbeitern, Angestellten und ihren Familien. Aber das kennt man bereits hoffentlich aus der Diskussion über nachhaltigen Lebenswandel und der/die geneigte Leser/in setzt das schon um.

  ist seit 1999 als Freier Autor und Freier Journalist tätig für nationale und internationale Zeitungen und Magazine, Online-Publikationen sowie Radio- und TV-Sender. (Redaktionsleiter Netzpiloten.de von 2009 bis 2012)


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7 comments

  1. Als ich Tichys Offenen Brief las, war es zunächst ein Fremdschämen, das schnell in Wut umschlug. Offenbar sollte ich das auch so schreiben…

  2. „nicht den Nächsten zu bewerten, sondern selbst ein besseres Vorbild zu sein – im Handeln wie im Denken.“
    wut ist ein schlechter ratgeber.aber offenbar braucht und pflegt man seine feindbilder zu gerne und drückt ihen den stempel des hypokritischen gutmenschens (etcetcetc bliebig)auf.insofern kann ich deinen beitrag hier nicht anders bewerten als einen schlecht getarnten rant.

  3. „Als ich Tichys Offenen Brief las, war es zunächst ein Fremdschämen, das schnell in Wut umschlug. Offenbar sollte ich das auch so schreiben…“ zum Fremdschämen kam es bei mir nicht. Ich war gleich wütend als ich dies gelesen hatte. „Halt bitte endlich Deine arrogante Fresse!“ konnte ich mir aber gerade noch verkneifen, nachdem ich darüber nachgedacht habe, wie frustrierend es wohl für einen deutschen Blogger sein muss, nichts zum Thema schreiben zu können, dass nicht (so gut wie) irrelevant ist. Daher schließe ich mich an: #fail #hybris

    Drum merke: Wer eine Katastrophe benötigt, um seine Kritik an einem Kollegen in Form eines Betroffenheits-Schwanzvergleichs anzubringen, der ist für mich menschlich gesehen eher ein ganz kleines Sushi-Röllchen. Oder: Ist es nicht gut – entlarvt es sich früher oder später selbst. Das gilt für Kernkraft genauso wie für Tichy oder Wittkewitz.

    1. @Ben
      Ich mag es sehr, wenn unsere Leser neue Argumente und Perspektiven auf die Themen einbringen und Urteile über das Verhalten oder die Handlungen von Menschen oder Institutionen darlegen. Wie man Menschen ohne persönliche Kenntnis bewerten kann, entzieht sich leider meiner Vorstellungskraft. Das Darlegen der Motive der Menschen in Deutschland für die Tichy offenbar nicht spricht bzw. schreibt, würde ich jedoch nicht als Betroffenheitsarie bewerten.

  4. Uno: „[..]neue Argumente und Perspektiven auf die Themen einbringen.“ – da kann ich Dich ja nur loben. Die Kaufempfehlung fand ich z.B. herausragend lösungsorientiert und ein glänzendes Ausnahmebeispiel für den sonstigen Diskurs im Web. Dos: „Wie man Menschen ohne persönliche Kenntnis bewerten kann, entzieht sich leider meiner Vorstellungskraft.“ Das ist ganz einfach. Man muss einfach nur Intentionen bezüglich Dingen unterstellen, die anscheinend offensichtlich sind. Tres: Was ist Dein Punkt? interkulturelle Vermittlung? Den Deutschen zeigen, wie doof sie sind? Tichy Säure in die Augen tropfen? Mir meine Motive (für was?) (Tichy spricht ja auch nicht für mich) darlegen?

    Jetzt tu nicht so akademisch. Ich glaube, Du wolltest einfach Dampf ablassen und das auch noch mit nickendem Blick ins Publikum. Genau wie ich mich in Deiner Aufarbeitung hier nicht wiederfinde und ein bißchen rumstänkere. *handreich*

  5. Mein Punkt ist weiter oben schon dargelegt: „Das Darlegen der Motive der Menschen in Deutschland für die Tichy offenbar nicht spricht bzw. schreibt“.

    Dampf ablassen gegenüber Tichy ist immer wieder nett, aber aufgrund seiner exponierten Stellung in der Wirtschaftsmagazine-Welt gelten seine im besten Fall mediokren Einschätzungen als beachtenswerte Diskussionsbeiträge. Ich habe nichts gegen seine Person, aber ich wünschte mir etwas mehr Substanz von den Qualitätsmedien. Mir würde es dann leichter fallen, gegen die (einstigen?) Jünger des zügellosen Markt- und Finanzliberalismus in Sachfragen anzutreten.

    Ich streite sehr gern, gern auch hart und konfliktreich, aber dann muss es eben auch mehr geben als ein paar schmale Allerweltsentwertungen á la argumentum ad hominem.

    Nix für ungut übrigens.
    ;-)

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