Autokraten können mit Tools wie Slack & Co. nicht viel anfangen

McKinsey hat eine neue Studie zum Thema ‚Advanced social technologies and the future of collaboration‘ veröffentlicht. Fazit: Unternehmen, die Messaging-Plattformen einsetzen, haben den Eindruck, dass sie öfter kommunizieren und ihre Teams sich besser selbst organisieren. Arbeit werde mehr projekt- statt team- oder funktionsbasiert. „Um aber die Kirche im Dorf zu lassen: Rund Dreiviertel der Befragten bauen am Arbeitsplatz noch auf ältere Technologien wie E-Mail, Telefonate oder Textnachrichten“, schreibt Stefan Pfeiffer vom CIO-Kuratorium.

Einseitige Technologie-Sicht

Aber – so die Umfrage – soziale Technologien sind trotzdem mehr denn je in den Arbeitsalltag integriert. Und dafür seien gerade besagte Messaging-Plattformen verantwortlich. In diesen Unternehmen verlasse man sich nicht mehr so stark auf E-Mail und Telefon. „Na ja, der Unterschied beträgt wenige Prozentpunkte, aber jeder kleine Fortschritt in der Verwendung sozialer Technologien hilft, wenn dadurch unter dem Strich für Unternehmen und Mitarbeiter etwas rauskommt“, kommentiert Pfeiffer. Ihm fehlt die kritische Betrachtung in solchen Erhebungen. Das Ganze sei einseitig auf Technologie ausgerichtet: „Messaging Platforms werden sehr naiv als Allheilsbringer positioniert. Aber überfordern wir eventuell die Anwender? Die Mehrheit – die Generation E-Mail – arbeitet noch in ihrem traditionellen Posteingang. Dort sitzt die Information, isoliert und nicht von anderen nutzbar.“

Generation E-Mail

Das passt zu den Erfahrungen des Livestreaming-Experten Sebastian Greiner: „Ich habe versucht, mich in einem Team von drei Leuten mit Slack zu organisieren. Nach einer Woche habe ich nix mehr gefunden, war ständig am Suchen. Die E-Mail ist immer noch der Kanal, wo ich meine Kommunikation wiederfinde und aufbewahrt habe. Daneben laufen diverse Messenger sowie Twitter und Facebook. Sie tragen zwar zur schnellen Kommunikation bei, zerfasern diese aber leider auch gehörig.“ Und Oliver Marquardt kommt zu der Schlussfolgerung, dass die technologischen Werkzeuge immer nur so intelligent seien wie seine Benutzer.

Ole Wintermann von der Bertelsmann-Stiftung wertet die McKinsey-Ergebnisse positiv: „Es klingt vielleicht technokratisch. Jedoch: Slack fördert Kommunikation, wohingegen die Standardware SharePoint sie eher behindert. Auch das technokratische Tool hat eine innewohnende soziale Implikation.“

Tools und die kommunikative Vertrauensbasis

Schaut man sich aber die Arbeitsweise der Führungskräfte in vielen Unternehmen an, so kann von einer kollaborativen Organisationskultur nicht gesprochen werden. „Wenn der Kern der Kommunikation nicht vorhanden ist, also Vertrauensbasis, Bindung etc., dann sind Tools so oder so ungeeignet. Vor allem Textkommunikation ist bei mangelnder Beziehungsebene schwierig, weil immens viel Interpretationsraum vorhanden ist. Slack & Co. sind Tools von vielen. Manchmal ist es weitaus einfacher zum Telefonhörer zu greifen, als immensen Text reinzukloppen. Für konkrete Arbeitsschritte, wie Korrekturen oder als internes soziales Netzwerk sind Slack & Co wiederum sehr gut“, sagt Patrick Breitenbach, Head of Brand Consulting & Strategic Innovation bei ZDF Digital.

Ellenbogen und Hierarchie

Wer offline nicht zusammenarbeitet, werde das online auch nicht tun, meint der Berater Alexander Kluge. Wenn im Top-Management Ellenbogen und Hierarchie den Alltag beherrschen, könne auch ein Tool nicht weiterhelfen. Organisationen neigen nach Auffassung von Professor Lutz Becker dazu, neue Dinge oben drauf zu setzen, ohne den Mut zu haben, das Alte abzuschaffen. „Jedes Problem braucht in einer idealen Welt sein eigenes Format. Gut wäre ein System, dass die unterschiedlichen Formate bündelt und auf das jeweilige Problem übersetzt“, so der Studiendekan der Hochschule Fresenius in Köln. „Die Herausforderungen fangen schon bei unterschiedlichen Archivierungs- und Suchstrategien an. Manchmal braucht man eine Volltextsuche, manchmal eine hierarchische, manchmal eine assoziative Suche“, sagt Becker.

Nach Ansicht des Schweizer Bildungsethikers Christoph Schmitt ergehen sich viele Firmen in einem Toolbox-Fetischismus. Das habe viel mit der Bauchladenmentalität klassischer Organisationen zu tun. Der Shitstorm-Analytiker Tim Ebner fragt sich, ob solche Systeme überhaupt eine gute Orga der Kommunikation ersetzen können. Dem Ganzen werde meist viel zu viel Bedeutung zugemessen, bevor die eigentlichen Hausaufgaben erledigt sind. Und das Notiz-Amt fragt sich, welche Freiheitsgrade in Unternehmen überhaupt zugelassen werden, um mit kollaborativen Tools zu experimentieren.

Am Ende versinken offene Konzepte in der Firmenautokratie von CEOs mit Generaldirektoren-Habitus. Selbstorganisation, Autonomie, Individualität, Partizipation, die Ökonomie des Gebens und Nehmens sind mit den Kontrollsehnsüchten vieler Chefs nicht gerade kompatibel. Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht?


Image (adapted) „Break“ by rawpixel (CC0 Public Domain)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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5 comments

  1. Das sehen wir in Kundenprojekten mit unserer Collaboration-Plattform Circuit genauso: Chats und Communities führen nicht automatisch zu einer offenen und flachen Arbeits- und Führungskultur. Gerade in größeren Unternehmen sollte parallel zum Rollout der Plattform ein aktives Change- und Kommunikationsprogramm laufen. Gut ist, dass Tools fast automatisch zu einer Diskussion über Kultur führen.

    Interessant finde ich auch den den Kommentar von Patrick Breitenbach: Tatsächlich ist gerade bei komplexen Themen ein persönliches Gespräch zielführender als lange Chats. Deswegen verbindet Circuit neben Chat und Telefonie auch Videoconferencing und Dateiaustausch in einer Oberfläche. Durch niedrige Kommunikationshürden über alle Kanäle hinweg mit einfacher Nutzbarkeit wird ineffiziente Zusammenarbeit ein gutes Stück weit vermieden.

  2. Allzu oft werden solche Projekte als rein technisches Projekt aufgehangen. Dabei kommt leider manchmal die Frage zu kurz, ob diese Form der Kommunikation a) zur Unternehmenskultur passt und b) überhaupt zielführend ist.
    Eine neue Expertenbefragung zur Digitalisierung der internen Kommunikation (http://www.arbeitsplatz40.de/digitalisierung-interne-kommunikation/ ) zeigt zwar, dass Social Collaboration die Zusammenarbeit prinzipiell fördert (und erstaunlicherweise auch mehr Lust auf „persönliche“ Zusammenarbeit macht) – es ist aber die Herausforderung, dieses „mehr“ auch qualitativ zu nutzen.

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