Grenzüberschreitende Buchmesse

Das Motto der diesjährigen Frankfurter Buchmesse vom 6. bis zum 10. Oktober 2010 hieß für mich Grenzüberschreitung. Wir wissen ja seit langem, dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Medienteilmärkten in dem Maße fließender werden müssen, in dem die technisch bedingte Abgrenzung bspw. zwischen Büchern und Datenträgern für Musik, Filme und Software schwächer wird.

Die Abgrenzung wird tatsächlich auch immer schwieriger. Denn was ist auf dem iPad noch ein Buch? Ist ein auf das iPad transportierter Bildband noch ein Buch oder nicht einfach eine Website oder Applikation mit Bildern?

Dass diese Fragen auch in der Buchbranche immer stärker diskutiert werden und zunehmend auch zu praktischen Konsequenzen führen, zeigte schon die zentrale Neuerung der Buchmesse: das StoryDrive-Konzept, bei dem – losgelöst vom Buch – die richtigen Fragen gestellt werden: „Sind auch Sie davon überzeugt, dass Inhalt keine Grenzen kennt? Stehen für Sie Geschichten im Mittelpunkt, unabhängig von ihrer Erzählform? Schaffen Sie mit Geschichten Welten?“

Dementsprechend sollte StoryDrive ein Treffpunkt für die internationale Medien- und Entertainmentwelt sein: „Gemeinsam mit Vertretern der Verlags- und Filmbranche, Experten aus Musik- und Gamesindustrie, aus Technologie und Social Media, mit Cybercitizens, Urhebern und Mediennutzern begegnet sich hier die Zukunft der Medien- und Entertainmentbranchen. StoryDrive richtet sich an alle, deren Welt sich um gute Geschichten dreht – und die mit Geschichten Welten schaffen.“ Mehr nach dem Klick…

StoryDrive wurde aus meiner Sicht gut aufgenommen, v.a. was die grundlegende Idee betrifft. Bei der Umsetzung gab es noch die eine oder andere Optimierungsmöglichkeit, worüber ich auch im Blog der Frankfurter Buchmesse geschrieben habe: „Interessante Geschichten, wenig Zuhörer – erste Eindrücke von der Konferenz StoryDrive“ – Gefreut habe ich mich sehr über den konstruktiven Umgang mit solchen Anmerkungen bei der Buchmesse, wie ihn dieser Tweet von Buchmesse-Mitarbeiter Frank Krings belegt.

Was mir in den Gesprächen im Vergleich zu den Vorjahren vor allem auffiel, war ein erfreulich nüchterner Umgang mit Medientrends-Themen. Auf den vergangenen Buchmessen herrschte bei Themen wie E-Books und Social Media noch eine Mischung aus Aktionismus und Verunsicherung. Nun werden die Dinge stärker hinterfragt, die Chancen abgewogen und die Umsetzung wird pragmatisch angepackt. Zugleich habe ich eine größere Offenheit für neue Themen wahrgenommen. So hielt ich im Forum Zukunft einen Vortrag über mögliche Chancen für den Buchmarkt durch das freiwillige Bezahlen via Flattr, Kachingle & Co. Dieses Thema wäre in den vergangen Jahren wahrscheinlich als absurd und irrelevant zurückgewiesen worden. Seit jedoch u.a. die Buchverlage ständig steigenden Druck auf ihre etablierteren Geschäftsmodelle spüren und manch anerkannter Verlag mit diesen neuen  Modellen zu experimentieren beginnt, werden auch solche Themen ernster genommen. Das Interesse vor Ort war jedenfalls rege.

Grenzüberschreitungen zum Thema hatte auch eine Diskussionsrunde des  „buchreport„, an welcher ich auf der Buchmesse teilgenommen habe: „Sprengt die Digitalisierung die Branche?“ hieß die etwas provokante Ausgangsfrage. Etwas überrascht war ich dann, mit welcher Gelassenheit die Teilnehmer, neben mir Vertreter aus dem Buchhandel, von Random House Audio und von der Internet-Plattform bilandia.de, mit dieser Frage umgingen. Der Tenor war, dass die Branche vielleicht nicht gesprengt, dafür aber stark erweitert wird, was eine zu begrüßende Tendenz sei. So hieß es, dass sich das Fähigkeitenspektrum des Nachwuchses selbstverständlich erweitern muss, da auch die Anforderungen in den Unternehmen steigen und zunehmend neue Fähigkeiten umfassen. Heute müsse man bspw. vielfach auch selbstverständlich mit Software und Programmierung umgehen können. Außerdem müssten die Unternehmen der Buchbranche künftig auch attraktiv für Bewerber aus anderen Bereichen der Wirtschaft werden, was heute nur bedingt der Fall sei. Zudem müsste man den Blick bei der Wettbewerbsabgrenzung erweitern. Man sehe ja schließlich, aus welchen Bereichen die neuen innovativen Unternehmen des Buchmarktes kommen und das sind eben immer öfter Bereiche, die nur wenig mit der klassischen Buchbranche zu tun haben.

Dass Grenzen in der Buchbranche noch zu selten überschritten werden, zeigte sich für mich bspw. auf der diesjährigen re:publica. Dort habe ich kaum jemand aus der Buchbranche getroffen. Man ist noch oft sehr auf sich und die brancheneigenen Events fokussiert. Das wird sich aber sicher ändern, weil die Vernetzung über die Grenzen der Buchbranche hinaus immer wichtiger wird. Ich nehme auch viele Zeichen für eine zunehmende Offenheit wahr, die sich eben nicht nur auf der Buchmesse gezeigt haben. So wird inzwischen auch mit Formaten experimentiert, welche wir aus der Web-Szene kennen. Im Mai fand bspw. das erste BarCamp für die Buchbranche statt: das BuchCamp. Zudem gibt es immer mehr Treffpunkte jenseits der klassischen Branchenevents wie die BuchSW-Treffen bspw. in Stuttgart und Köln oder jüngst das Books Brains Hamburg 2010. Überall scheint der Tenor zu sein, dass die Branche sich zum einen öffnen und zum anderen aber auch besser vernetzen muss, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Dieses Ziel verfolgt auch meine Initiative „Ich mach was mit Büchern“ seit 2009 sehr aktiv, die auf großes Interesse gestoßen ist.

So spürt man in der Buchbranche an vielen Orten Aufbruchstimmung. Das zeigte sich auch auf der Buchmesse. Gerade das war letztlich die aus meiner Sicht interessanteste Beobachtung auf der Buchmesse: Je mehr neue Technik uns zur Verfügung steht und je souveräner die Buchleute damit umgehen, desto stärker scheint der Mensch (bzw. Leser, Kunde, Kollege, …) in den Mittelpunkt zu rücken. Das wiederum finde ich sehr positiv.

ist freier Eventkonzepter in der Publishing-Branche und Veranstalter bei Orbanism.


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5 comments

  1. Klasse. Bisher hatte ja noch keiner was zu der Buchmesse aus der weiteren Perspektive des Medienwandels geschrieben ohne platte Lobpreisung oder Verdammnis der eBook-Reader…

    Fällt schon auf, wenn mal einer bißchen differenzierter schreibt. Mehr davon ist definitiv erwünscht

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