Ohne bessere Finanzierung der Zivilgesellschaft scheitert der digitale Wandel

Wann haben Sie das letzte mal für eine digitalpolitische Initiative gespendet? Wissen Sie, welche Mittel die digitale Zivilgesellschaft in Deutschland hat, im Vergleich mit Tierschutzorganisationen, dem ADAC oder ihrem Sportverein? Weil die Digitalisierung so rapide und tiefgreifend in unsere Gesellschaft eingreift, darf diese nicht nur von politischen und wirtschaftlichen Interessen alleine getrieben sein, es braucht auch eine starke Zivilgesellschaft, damit Deutschland die digitale Transformation erfolgreich und fair gestalten kann. Eine starke Zivilgesellschaft sichert Teilhabe großer Teile der Bevölkerung und schützt die Grundrechte. Dafür braucht sie eine solide Finanzierung, doch daran mangelt es.

Die Zivilgesellschaft aggregiert gesellschaftlichen Willen und Expertise abseits parteipolitischer Zwänge und wirtschaftlicher Interessen. Diese meist ehrenamtliche Arbeit kostet Geld. Die Vorstellung, der Motor unserer lebhaften Zivilgesellschaft würde allein von der Motivation und dem Schweiß selbstloser Idealisten angefeuert, ist ein Trugschluss. Gleichwohl mischen sich heute so viele Menschen ein wie nie zuvor. Viele ehrenamtlich engagierte Menschen tun dies zusätzlich zu einer Erwerbstätigkeit und haben oft mehr als nur ein gemeinnütziges Amt inne. Den meisten Organisationen der digitalen Zivilgesellschaft mangelt es an Ressourcen, um ihrer gesellschaftlichen Rolle nachhaltig und konsequent nachzugehen. Dabei ist eine aktive Zivilgesellschaft neben einer unabhängigen Presse ein ganz wesentlicher Bestandteil von Demokratie und Pluralismus, vor allem in Zeiten des Wandels.

Ohne Ressourcen keine Ideen

Mangelnde Ressourcen für die politische Arbeit und für Herausforderungen bei der kritischen Durchleuchtung der Treiber und Profiteure des Wandels der Gesellschaft, fehlende professionelle Koordination, Ressourcenmangel bei der Sicherstellung der Nachhaltigkeit von zivilgesellschaftlichen Engagement, Talentschwund und brachliegende Projektideen oder verpuffende Wirkung großartiger Ideen sind nur ein paar der Folgen. Vor allem in neueren Themenbereichen wie der Digitalisierung tun sich Vereine, Stiftungen und Initiativen besonders schwer, nachhaltig Mittel zu akquirieren.

Dies hat fatale Folgen für unser Land, denn nur eine aktive Zivilgesellschaft kann der Politik als fähiger Partner zur Seite stehen, gesellschaftlich nicht wünschenswerte Tendenzen kontrastieren und Gegengewicht für kurzfristige kommerzielle Agenden sein. Die Zivilgesellschaft ist meist getrieben von Idealen und langfristigen Vorstellungen, während viele Politiker und Konzerne in der Regel kurzsichtig agieren und die gesamtgesellschaftlichen Interessen nicht in dem gebotenen Maß berücksichtigen.

Beispiel Frequenzauktion: Als Rundfunkfrequenzen durch die Abschaltung des analogen Fernsehens frei wurden, kamen bei der Auktion nur eine Handvoll großer Konzerne zum Zug, zivilgesellschaftliche Initiativen wie Freifunk nicht. Überlegungen, diese Bandbreiten zum Erschließen von vom Internet ausgeschlossener Regionen zu nutzen (wie es beispielsweise in der snv-Studie dargelegt wird), wurden ignoriert. Der digitale Wandel birgt reihenweise unglaublich wichtige Themen und Chancen, die für unsere Gesellschaft langfristig von immenser Bedeutung sind. Doch im Gegensatz zu etablierten Politikfeldern gibt es keine ausreichend einflussreiche Stimme aus der Zivilgesellschaft für die digitalen Themen, die so neu, abstrakt oder technisch sind, dass häufig noch keine klassisch institutionelle Kapazitäten dafür zur Verfügung stehen.

Die Interessensgruppen einbeziehen

Neben der Wissenschaft und Forschung legt die transparente und vielfältige Beeinflussung von Politik durch Interessengruppen die intellektuelle Basis für politisches Handeln. Zu letzterem gehört auch eine gesunde, starke Zivilgesellschaft ähnlich wie etwa in den Bereichen Naturschutz, Bildung oder Sport, um gesellschaftlichen Ideen und Wünschen politisches Gehör zu verschaffen oder verschaffen zu wollen – Deutschland hat beim digitalen Wandel viel aufzuholen. Das können wir nur zusammen mit den vielen in der Gesamtgesellschaft verstreuten Gestaltern schaffen. Politik und der Wirtschaft müssen diese Gestalter auch institutionell einbeziehen. Notwendig ist auch auf den traditionellen Feldern der Zivilgesellschaft mehr Bewusstsein für digitale Themen. Beides zusammen kann auch die Finanzierungsproblematik mindern.

Das Magazin Politik Digital hat 2014 exemplarisch eine Umfrage in der Vereinswelt Berlins gestartet und sich erkundigt, wie es um die Finanzierung der digitalen Szene bestellt ist. Das Ergebnis: schlecht. Zwei Jahre später sieht es kaum besser aus. Während sich in anderen Ländern auch im Bereich der Digitalen Transformation längst eine Professionalisierung der Zivilgesellschaft entwickelt, wie man sie in hierzulande noch am ehesten aus dem Sportbereich kennt, sieht es in Deutschland eher mau aus.

Kaum eine Chance für die digitale Szene

Es braucht aber dringend mehr Bewusstsein bei Geldgebern und Bürgern für die Notwendigkeit, den digitalen Wandel auch zivilgesellschaftlich viel stärker zu fördern, damit dieser Bereich langfristig arbeiten kann und die teils horrenden Belastungen einzelner Freiwilliger besser zu stützen vermag. Der digitale Wandel scheint den Deutschen aktuell einfach zu wenig Wert zu sein. Konrad Lischka hatte das mal pro Kopf umgerechnet, die Situation heute ist wohl noch nicht besser.

Auch wenn sich in Deutschland kurzfristig wohl kaum einzelne Großspender für abstrakte digitalpolitische Themen und Initiativen finden werden, ist es dennoch notwendig, die Suche nach Mäzenen nicht aufzugeben. Genauso wie sich diverse industriegetragene Stiftungen etabliert haben, um die heutige Bundesrepublik gesellschaftlich mit zu gestalten, brauchen wir auch in den “neueren” Wirtschaftsbereichen mehr, größeres und vielschichtigeres Engagement in den finanziellen Größenordnungen von Mohn, Quandt, Krupp oder Albrecht. Darüber hinaus müssen sich auch öffentliche Fördermittelstrukturen stärker wandeln und den neuen Gegebenheiten anpassen.

Die Digitalisierung verlangt schnellere Finanzierungsvehikel, mehr Flexibilitäten, interdisziplinäre Ansätze und ein höheres Maß an Riskofreudigkeit, egal ob Investitionen, Grants oder Kofinanzierung durch die öffentliche Hand. Zu viele Gelder sind heute an unflexible und starre Fördervorgaben der analogen Welt geknüpft, die weitgehend in den Logiken der 80er Jahre verhaftet sind. Ganz konkret müssen in diesem Zusammenhang auch gesetzliche Bestimmungen her, um den Umgang mit öffentlich geförderten Unterfangen zukunftssicher, fair und transparent zu gestalten. Dazu gehören mehr flexible Ressourcen, aber auch Regelungen, die öffentlich gefördertes Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse für alle zugänglich machen.

Profi-Kampagnen statt verschleierter Lobbyarbeit

Die Unabhängigkeit von gemeinnütziger Arbeit darf auch in den digitalen Politikbereichen nicht unter einseitig vorhandenen Mittelstrukturen leiden. Wie bei allen anderen Themen erleben wir auch bei der Digitalisierung starke Interessenskonflikte, institutionelle ausgetragene Eigeninteressen oder verpackte Lobbyarbeit. Ein wichtiges Gegengewicht dafür ist eine professionellere Kampagnenarbeit, größere Sponsoring-Bereitschaft bei Unternehmen jenseits der großen IT-Multis und vor allem Spendenbereitschaft bei Einzelpersonen. All dies hängt stark miteinander zusammen, denn ohne entsprechende Aufklärungsarbeit bleibt die Komplexität digitaler Themen weiterhin ein großes Hindernis für breite Zugänglichkeit. Diese Aufklärungsarbeit kostet Ressourcen.

Auf einem Barcamp Mitte August, initiert von den beiden Autoren dieses Artikels, Christian Heise (u.a. Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. und Förderverein freie Netzwerke e.V.) und Sebastian Haselbeck, soll erstmals dezidiert darüber gesprochen werden, wie sich die digitale Zivilgesellschaft bei der Finanzierung nachhaltiger aufstellen kann und welche Folgen, Auswirkungen und Einfluss von Tätigkeiten im Spannungsfeld zwischen Ehrenamt und Beruf entstehen. Das Unconference-Konzept wird derzeit noch in einem Etherpad finalisiert. Darin heisst es aktuell:

„Auch wenn mit der (digitalen) Zivilgesellschaft meist der Raum zwischen Staat, Wirtschaft und Gesamtgesellschaft gemeint ist, ist dieser Bereich aus vielen Gründen nicht wirtschaftsfrei. Professionelles zivilgesellschaftliches Engagement braucht eine stabile Finanzierung, um politische und legislative Prozesse langfristig begleiten zu können. Verglichen mit Bereichen wie etwa dem Umwelt- und Naturschutz ist die Spendenbereitschaft und -kapazität der Zivilgesellschaft beim Thema digitale Bürgerrechte deutlich geringer. Jeder neue Akteur in diesem Feld verschärft den ohnehin bestehenden Wettbewerb um finanzielle Ressourcen noch weiter. Auf der Suche nach neuen Geldquellen rücken auch Wirtschaftsunternehmen in das Blickfeld digitaler Bürgerrechtsgruppen. Auf dieser Unconference soll sich alles um die Fragen nach den möglichen Grenzen, Auswirkungen und Folgen wirtschaftlicher Durchdringung der (digitalen) Zivilgesellschaft drehen. Fragen wollen wir auch nach den Folgen und Auswirkungen beruflicher und ehrenamtlicher Tätigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure sowie nach ethischen Aspekten der ehrenamtlichen Arbeit im digitalen Zeitalter.“

Interessierte können sich zur Teilnahme bereits per Facebook Event, im Pad oder per E-Mail anmelden. Vorschläge für einen Tagungsort sind natürlich noch willkommen. Auf der Veranstaltung sollen idealerweise Diskussionen darüber stattfinden, welche ethischen Grundsätze beim Sponsoring wichtig sind, wie Ehrenamt, Beruf und Privatleben vereinbar sind, wie groß die potentielle Konkurrenz um die wenigen Finanzmittel ist, wie erfolgversprechend thematische Fokussierung von Organisationen sein könnte und vor allem, wie bessere Außenkommunikation beim Fundraising helfen kann. Besondere Aufmerksamkeit könnte auch der Frage zukommen, welche hybriden Modelle aus GmbHs, Investoren, Stiftungen und Vereinen möglicherweise zukunftsweisend sein könnten.

SAVE THE DATE: Wir müssen über Geld reden – Unconference für die (digitale) Zivilgesellschaft

Dieser Text steht unter einer Creative Commons BY (Sebastian Haselbeck und Christian Heise) 4.0 DE Lizenz.


Image by Sebastian Haselbeck


ist ehemaliger Geschäftsführer des Internet & Gesellschaft Collaboratory. Aktuell ist er Gastdozent an der Willy Brandt School of Public Policy, und berät verschiedene Organisationen in digitalpolitischen Fragen. Privat betreibt er eine Vielzahl von Onlineportalen über interessante Filmgenres.


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