Film 3.0 – Alternate Reality Games

Norbert HillingerInterview mit Norbert Hillinger zum Thema Alternate Reality Games. Er ist Trend Analyst mit Schwerpunkt Filmpromotion in der Trendforschungsagentur TrendONE (Berlin).

Woher kommt die Idee zu Alternate Reality Game?
Die Idee dazu kommt aus den USA. Das erste Alternate Reality Game (ARG) wurde 2001 zum Steven Spielberg Film A.I.- Artificial Intelligence durchgeführt. Im Abspann tauchte der Name einer Therapeutin für Maschinen mit künstlicher Intelligenz auf. Einigen findigen Leuten kam dieser Name bzw. die Jobbezeichnung komisch vor, und sie machten sich auf die Suche nach der Person. Im Zuge der Recherchen tauchte eine versteckte Telefonnummer auf. Diese Nummer wurde angerufen, und so ist das Rabbit Hole (der Einstieg) in das Spiel„The Beast“ geschaffen worden. Das ist das mir erste bekannte ARG. Alternate Reality Games sind multimediale Schnitzeljagden, obwohl die Mechanismen und Aufgaben oft weit darüber hinaus gehen.

Was macht diese Art von Spiel so faszinierend?
Für die Teilnehmer ist es die spielerische Auseinandersetzung mit einem Thema oder einer Marke, die ein ARG spannend macht. Für Werbetreibende ist ein ARG als Promotiontool natürlich sehr interessant, weil die stark vernetzten Brand-Evangelists, also die Fans der Marke, mit einem Spiel noch besser als Werbe- und Markenbotschafter genutzt werden können. Die Bindung zur Marke wird so durch ein ARG wesentlich erhöht. Das ist der vermutlich interessanteste Grund für die Werbetreibenden, ein solches Spiel einzusetzen.

Was sollte der Spieler unbedingt mitbringen, um an einem ARG Spaß zu haben?
Der Spieler sollte experimentierfreudig und im besten Fall Internet/ Web2.0-affin sein. Er sollte sich mit neuen Medien befassen, zum Beispiel Twitter nutzen oder ein Blog betreiben. Außerdem schadet es nicht, handyaffin zu sein. Des Weiteren sollte er wissen wie mit einem Web-Forum umzugehen ist, denn dieses ist immer das Herz eines ARGs, wo sich die Spieler untereinander austauschen.

Du beschäftigst dich seit Längerem mit Filmmarketing: Warum werden ARGs häufig für Filmpromotion eingesetzt?
Dazu muss zuerst gesagt werden, dass Alternate Reality Games aus meiner Sicht leider noch nicht häufig genug eingesetzt werden. Des weiteren werden ARGs nicht nur für Filme eingesetzt, sondern in der gesamten Unterhaltungsbranche. So bietet sich diese Form der Promotion ebenso für Spiele und andere Unterhaltungsmedien an. Ein Buch zum Beispiel, hat auch einen Erzählstrang, wodurch sich das ARG bzw. die Story dahinter sehr schön einbinden lässt. Der Film, das Buch oder das Spiel erzählt eine Story. Ebenso das ARG, mit dem Unterschied, dass man an dieser Story aktiv teilnehmen kann. Im besten Fall transferiert sich das Erlebnis des Spiels auf den Film oder das Buch, wodurch der Spieler eintauchen kann.

Alternate Reality Games
[ARG – The Big Plot]

Möchte also der Rezipient zunehmend aktiv sein, also zum Prosumenten werden?
Es gibt diese sehr stark vernetzten Web2.0-affinen Menschen. Sie bilden das Gate bzw. den Hub zu den normalen Kinobesuchern, die sich den Film nur anschauen, nicht aber bereits im Vorfeld an Spielen oder anderen Werbemaßnahmen teilnehmen wollen. Wenn man sich die Statistiken anschaut warum Leute ins Kino gehen, dann ist der Grund„…weil ich es von meinen Freuden empfohlen bekommen habe“, stets ziemlich weit oben zu finden. Genau diese Freunde, sind die interessanten Knotenpunkte. Sie müssen als Influentials (=Erstkontakte) für ein Spiel angesprochen werden. Das sind jene Leute, die als Prosumer im Netz tätig sind, die Weblogs schreiben und twittern. Natürlich möchten viele Rezipienten zunehmend aktiver sein, aber es wird auch immer Leute geben, die nur ins Kino gehen wollen um den Film zu sehen. Die Herausforderung ist, die zweite Gruppe zu erreichen. Hierbei greift das moderne Marketingprinizip (Marketing 2.0), bei dem es darum geht, über wenige Erstkontakte viele Zweit- und Drittkontakte zu erreichen. Klassisches Marketing, bei dem der Werbetreibende eine Botschaft schickt, wird es immer geben. ARGs werden sicherlich nie einen Teaser, Trailer oder ein Filmplakat ablösen. Die klassischen Werbemittel können aber genutzt werden um ein ARG zu starten. Ein ARG ist nicht als Ablösemedium zu verstehen, sondern eher als Add-on. Die alten Medien werden vielmehr als Rabbit Hole für den Einstieg in die neuen Medien genutzt. Der zentrale Punkt lautet: Du musst die Leute aktivieren. Du musst sie Offline abholen und Online behalten.

Wie kann die Wirksamkeit solcher Marketingkampagnen gemessen werden?
Ausrichter von ARGs sagen, dass die meisten Kosten durch die Auswahl der Spieler verursacht werden. Zu Beginn wird festgelegt, wer im ersten Schritt angesprochen wird. Die Recherche, die nötig ist, um diese Leute heraus zufiltern, ist das Schwierigste in einem ARG, abgesehen von der Storyentwicklung. Die Messbarkeit ergibt sich meiner Meinung nach daraus, dass der Ausrichter weiß, wer überhaupt mitspielt. Diese Leute können relativ gut getrackt werden, weil ihre Email-Adresse, Telefonnummer, Anschrift, Blogadresse sowie ihre Vorlieben bekannt sind. Anhand der Vorlieben werden sie ausgewählt. Bei neuen ARGs wird häufig auf Daten von alten ARGs zurückgegriffen. Wer z. B. beim Batman-ARG oder Final Mill-ARG von Microsoft mitgespielt hat, wurde ziemlich sicher auch zum Piraten-ARG eingeladen. Dabei geht Qualität vor Quantität. Es kann sein, dass nur 20 Leute mitspielen, die aber einen Buzz generieren, der durch einen viralen Marketing-Film, welcher das selbe kostet, nicht erzeugt werden kann. Diese Brand-Evangelists erzeugen häufig auch unbewusst so ein Commitment zur Marke, obwohl sie eventuell selbst nicht wissen um was es geht. Das ist der spannende Aspekt dabei.

Werden zu einem ARG nur Leute eingeladen, die sog. Hubs darstellen, oder können Leute auch von sich aus mitmachen wenn sie ein Rabbit Hole entdecken?
Es kommt darauf an wie der Puppetmaster ein ARG anlegt. Ist es von Anfang an geschlossen, so ist es ein Spiel für 20, 50, 100 Leute, abhängig von der Reichweite, die angestrebt wird. Theoretisch können die Ansatzpunkte so gestalten werden, dass es innerhalb des Spiels Möglichkeiten gibt, noch mehrere Rabbit Holes anzubieten. Das hängt davon ab, wie viel Budget und Zeit zur Verfügung steht. Aus meiner Sicht können geschlossene ARGs von offenen unterschieden werden. Das Filmtrip-ARG war geschlossen und nur auf Berlin bezogen. Es waren nicht mehr als 20 Leute, die mitmachten. Ein Beispiel für ein offenes ARGs ist The Dark Knight, das größte ARG, das jemals stattgefunden hat. Es ging über 2 Jahre, hat mit einem kleinen Personkreis begonnen und sich dann stark ausgeweitet.

Es ist ebenso denkbar, das ARG für eine Person zu machen, wie es der Film The Game zeigt. Ich hab gelesen, dass es in Barcelona möglich ist, einer Person solch ein ARG zum Geburtstag zu schenken. Ich selbst habe von Freunden vor kurzem ein Spiel in Berlin geschenkt bekommen und freue mich schon sehr darauf.

Gab es schon mal Probleme bei solchen ARGs, dass der Puppetmaster nicht mehr alle Fäden in der Hand hatte, also das Spiel aus dem Ruder lief?
Die Schwierigkeit an einem ARG ist, dass der Puppetmaster an jeder Stelle, an jeder Position jeden Spieler im Blickwinkel haben muss. Die Spieler sollen auf ein Ziel hin geleitet werden, z.B. die Premiere des Films. Ich vermute zum Beispiel, dass beim Dark Knight Spiel, an dem über sieben Millionen Spieler teilnahmen, manche User mehr in der Materie waren als die Puppetmaster. Dieser Umstand ist es aber genau, der einem ARG den nötigen Kick verleiht und dazu führt, dass neue Wege ausprobiert werden. Grundsätzlich sollten die Ausrichter wissen, wo die Reise hinführen soll, ein wenig Flexibilität ist aber immer notwendig. Der Kern eines ARGs ist das Verwischen zwischen Realität und Fiktion, obwohl sich jeder Nutzer theoretisch im Klaren darüber ist, dass es nur ein Spiel ist. Im besten Fall greift das Spiel ins Leben ein und es klingelt nachts um 3 Uhr an der Tür…

Welche Herausforderung ergeben sich für Filmvermarkter?
Die größte Herausforderung ist, dass sich der Vermarkter für ein ARG entscheidet. Ein ARG ist nichts Günstiges. Ein nützliches ARG ist nicht mit 10.000 Euro abgespeist, sondern fängt erst bei etwa 50.000 Euro an, da die Organisation eines Spiels einen Fulltime-Job darstellt. Der Vermarkter muss sich bewusst dafür entscheiden und es als Add-on sehen. Meiner Meinung nach sind ARGs nur sinnvoll für Blockbuster. Der Film sollte das Potential haben, die Kosten des ARGs wieder einzuspielen. Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich mir in diesem Punkt widerspreche, weil ja Filmtrip kein Blockbuster ist. Hier muss allerdings gesagt werden, dass das Projekt als Experiment zu verstehen ist, um zu testen ob ein ARG in Deutschland durchführbar ist und um einen Präzedenzfall für Deutschland und Berlin zu haben. Eine andere Herausforderung ist die inhaltliche Ebene. Soll deutlich gemacht werden, dass es Promotion für ein Spiel oder einen Film ist, so wie bei Batman – The Dark Knight? Oder möchte man nicht kommunizieren, dass es sich um eine Werbeaktion handelt, so wie bei Halo 2.

Der Tag an dem Köln stillstand

Wenn ein ARG an einen Film angelegt ist, sollten auch Elemente aus dem Film auftauchen. Man möchte eine Identifizierung mit der Marke erreichen. Beim Batman ARG konnte der Spieler wählen, ob er im Batman- oder Joker-Team sein wollte, gut oder böse. Eine andere Möglichkeit ist es, Phrasen aus dem Film im Spiel zu verwenden. Oneliner wie „i’ll be back“ sind dafür prädestiniert, denn sie haben Wiedererkennungswert. Ein ARG sorgt auch dafür, dass andere Werbemittel besser eingesetzt werden können. Ein Beispiel ist der Film „Der Tag an dem die Erde stillstand“. Er wurde unter anderen mit mutierten Plakaten beworben. Auf einigen stand „Der Tag an dem Hamburg, Berlin, Köln … stillstand“. Dazu gab es eine Aufgabe. Man sollte das Plakat abfotografieren und an eine Nummer schicken. Als Antwort wurde per SMS/MMS einen Link zu multimedialem Handy Content geliefert. Das Problem ist, dass diese Aktion nur wenige Nutzer machen würden, da der Anreiz fehlt. Wenn eine solche Aktion aber mit einem ARG verbunden ist, und der Nutzer Informationen erhält, die im ARG hilfreich sind, so ist es wahrscheinlicher, dass er dieses Plakat fotografiert. Ein ARG ohne direkten Bezug zur Marke (Film/Spiel) ist schwieriger. Es muss eine Marke kommuniziert werden ohne die Marke selbst dabei zu kommunizieren.

Beispiele für besonders erfolgreiche/bekannte Kampagnen:
* Das The Dark Knight-ARG wegen Buzz-Generierung und Einspielergebnis
* Das I love Bees-ARG zum Start von Halo 2. 42 Entertainment (bekannteste Agentur in Amerika, die sich auf ARG Konzeptionen spezialisiert hat). Erhielt in Cannes den Werbepreis 2007
* The Beast-ARG zu A.I. – Artificial Intelligence
* Final-Mill-ARG von Mircosoft
* The Lost Ring-ARG von MC Donalds

Trailer zu The Lost Ring

In Europa haben sich ARGs noch nicht so ausgebreitet wie in den USA. Das ARG zu Filmtrip war auch erfolgreich. Wir haben 15 DVDs an verschiedene Personen versendet und von diesen 15 Personen sind 8 zur Premiere gekommen. Das würde ich schon als Erfolg werten, im kleinen Rahmen natürlich

weiterführende Links:
42entertainment (Agentur von Elan Lee, die ARGs erfunden hat und die bekanntesten Spiele ausgetragen hat: I Love Bees, The Dark Knight, Year Zero usw.)
fourthwallstudios (Neue Agentur von Elan Lee, die das erste 10 Minuten ARG Free Fall für den Film Eagle Eye entwickelt hat)
eagleeyemovie (Link zum Free Fall Spiel)
Zusammenfassung des ARG zum Film Cloverfield
Zusammenfassung des ARG zum Film The Dark Knight
patmo (Website/ Weblog von Patrick Möller von der Agentur VM-People in Berlin, die ARGs ausrichten)
The Lost Ring (Seite zum ARG von MC Donalds) vm-people (Agentur VM.People in Berlin – spezialisiert auf ARGs)

studierte Soziologie, Psychologie und Betriebswirtschaft an der TU-Chemnitz. Sie ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Social Media. Privat bloggt Doreen unter http://www.finsblog.de über alles Mögliche und Unmögliche.


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3 comments

  1. “The Big Plot” is a romantic spy-story played on the info-sphere.
    It looks at the role of espionage in intrusions into people’s internet lives, the dysfunctional sociality that is being created by media communications, the political use and exploitation of social networks.
    Four characters will tell a story using dialogues shown on YouTube videos, blog posts, and via entries on their Facebook profiles.
    The cloned identity of a real spy will be used as a plot device for telling a story about the political and sentimental weakness of our era, which are accelerated by the compulsory use of personal media and social networking platforms. The compromised privacy on this kind of media and the political control over the Internet will be some of the most important issues of the story.
    Audiences will have an active role in the story as well they will be able to interact with the characters.
    Performances in public environments will complete the set of stages where the story will be acted.

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