FDP: Mit Zuckerbrot und Peitsche

In einer Artikelserie untersucht die Kommunikationsberaterin Nina Galla die Wahlprogramme der Parteien auf Auswirkungen für die digitale Kreativwirtschaft. Im fünften Teil blickt sie ins Wahlprogramm der FDP.

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Das Wahlprogramm der FDP ist eine echte Herausforderung. Zum einen für den Nicht-VWL-vorgebildeten Normalbürger, für den ein Großteil des Programms der Liberalen in etwa so verständlich sein dürfte wie eine deutsche Anleitung zur Kryptographie für einen Inuit. (Wie komme ich ausgerechnet auf Inuit? Vielleicht weil auf Arte jeden Freitag „Borgen“ wiederholt wird, eine Serie über eine fiktive dänische Premierministerin im Spannungsfeld zwischen Politik, Presse und Familie, ein absoluter TV-Tipp für Politikfans – aber jetzt schweife ich ab.)

Doch auch für den erklärten Nicht-FDP-Fan finden sich immer wieder Elemente, die durchaus unterstützenswert klingen – immerhin hat sie die Partei der Staatsferne verschrieben, das kann nicht immer schlecht sein. Vor allem netzpolitisch Interessierte könnten große Fans der Liberalen sein. Aber der Reihe nach.

Das Programm mit knapp 100 Seiten recht kurz, textlastig, aber dank klarer Strukturen mit kurzen Absätzen und Auflistung konkreter Punkte mit optisch abgesetzten Aufzählungszeichen gut lesbar. Das Programm weist einen finanzwirtschaftlichen Schwerpunkt auf. (Die Argumente sind für Otto Normalwähler kaum zu beurteilen, aber für den Normalwähler ist die Partei schließlich auch nicht da. Außerdem hat Wolfgang Münchau schon herausgearbeitet, was es mit der Geldpolitik der FDP auf sich hat)

Man könnte beim Lesen den Eindruck gewinnen, die FDP habe für alles Gute gesorgt und für alles, was nicht so gut war, sind die Sozen und die Grünen verantwortlich. Der geneigte Leser wird sich vereinzelt amüsiert fragen, in welcher Welt die FDP eigentlich lebt, wenn sie von besten Beschäftigungschancen für junge Menschen in ganz Europa, einem soliden Staatshaushalt, steigenden Löhnen und Renten schwärmt.

Eine Achterbahnfahrt durch das Wahlprogramm

Bei den Inhalten geht es los – die FDP behandelt den Leser mit Zuckerbrot und Peitsche und jagt ihn durch eine Achterbahn der Akzeptanz und Ablehnung: Eine Erhöhung der Bildungschancen für Analphabeten, BAföG Erleichterungen und öffentliche Kulturförderung gefallen genauso wie Arbeitserlaubnispflicht von Asylbewerbern und die Abschaffung der Residenzpflicht für Flüchtlinge und die klare Positionen zu Inklusion. Schön liest sich auch der Einsatz für mehr Akzeptanz und Selbstbestimmung von Transsexuellen. Eingetragene Lebenspartnerschaften müssen laut Wahlprogramm der Liberalen mit der Ehe gleichgestellt werden – vor allem im Einkommensteuerrecht, bei der Riester-Rente und bei Adoptionen.

Fast reingefallen. Leider macht das Umfaller-Abstimmungsverhalten diesen ehrenhaften Ansätzen einen gehörigen Strich durch die Rechnung.

Dazwischen werden Klischees der Klientelpolitik bedient, wie Fortsetzung „flexibler Beschäftigungsformen“ wie der Zeitarbeit, Stärkung der privaten Altersvorsorge (auch für Selbstständige), Angstmache durch Arbeitsplatzverluste bei höheren Energiekosten für Unternehmen und dem Weiterbetrieb von Kernkraftwerken außerhalb Deutschlands. Die Ablehnung von Mietpreisdeckelungen fehlen ebenso wenig wie der unvermeidliche Hinweis auf die Anstrengung, die sich lohnen soll, im Kontrast zum Klischeebild des faulen Arbeitslosen. Ganz die Union, möchte man denken.

Im Kapitel der Bildungspolitik fällt es schwer, das innere Bild des dreikäsehohen Unternehmensberaters zu verdrängen – alles ist darauf ausgerichtet, Kinder schon frühzeitig auf die Erfordernisse der Leistungsgesellschaft im globalen Wettbewerb vorzubereiten. Auch Eltern sollen arbeiten, um ihnen dies zu erleichtern sind diverse Maßnahmen geplant. Zu Frauen insbesondere findet sich nichts außer der Ablehnung einer Quote.

Oase Netz- und Medienpolitik

Die Verteidigung und Achtung der Grundrechte gilt für die Liberalen besonders beim hochaktuellen Thema Überwachung: Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wird weiterhin abgelehnt. Dank des starken Rückgrats von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger können wir uns darauf hoffentlich auch in Zukunft verlassen. Die Speicherung von Fluggast- daten und die Erfassung aller Grenzübertritte in Europa lehnen die Liberalen genauso ab wie die Kontenabfrage. Funkzellenabfragen dürfen keinesfalls unkontrolliert bei Demos oder anderen grundrechtlich geschützten Versammlungen eingesetzt werden, Forderungen nach Überwachung und Zensur des Internetverkehrs zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen und die sogenannte „Three Strikes“-Lösung, nach der Bürgern der Zugang zum Internet entzogen werden soll, wird es mit der FDP auch nicht geben.

Ein schöner Satz an dieser Stelle: „Freiheit verteidigt man nicht, indem man sie aufgibt.

Für die künftige EU-Datenschutzverordnung verlangt die FDP ein hohes Schutzniveau,
außerdem die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten. Nutzungsbedingungen von Internetservices und sozialen Netzwerken sollen so formuliert sein, dass die Anwender diese auch verstehen.

Bei den Themen flächendeckender Ausbau der Breitbandkommunikation, Änderung der Betreiberhaftung für mehr Rechtssicherheit für WLAN- Betreiber und Netzneutralität bleibt die FDP weitesgehend schwammig. Als Elemente einer Reform des Urheberrechtsgesetzes sind die Deckelung des Streitwerts bei einem einmaligen Verstoß gegen das Urheberrechts-gesetz im nicht-gewerblichen Bereich auf 1.000 Euro geplant, weiterhin sollen unterschiedliche Lizenzmodelle diskriminierungsfrei nebeneinander bestehen dürfen und die Privatkopie zulässig sein.

Positiv ist die hervorgehobene Ablehnung des Projektes INDECT, das Verhaltensmuster in der Öffentlichkeit automatisiert auf Normabweichungen untersuchen soll, um auffälliges Verhalten zu erkennen. Ebenso vernünftig ist die Reduzierung der Anzahl der Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Open Access und Open Data kommen eher nur kurz zur Sprache, dafür aber fällt auf, dass die Liberalen das e-Government stärken wollen, so dass Bürger langfristig sich über moderne Kommunikationsmittel tagesaktuell an politischen Debatten beteiligen können. Das habe ich bei den Piraten erwartet, jedoch nicht bei der FDP.

Libertär, liberal, neoliberal?

Um die Schwankungen zwischen humanistisch-liberal und neoliberal im Programm der FDP zu verstehen, lohnt ein Blick in die Parteigeschichte: Der ältere Liberalismus verschrieb sich im 19. Jahrhundert durchaus humanitären Idealen mit dem Ziel, dem misstrauten Staatshandeln Grenzen zu setzen. Ähnlich den heutigen Piraten stand die Kontrolle des Staatsapparates im Vordergrund, weniger die eigene Teilhabe an der Macht.

In den letzten Jahren (unter anderem mit Brüderle und Döring) setzte sich doch immer stärker der so genannte Neo-Liberalismus, dessen Tendenzen sich schon in den 40er Jahren herausbildeten, durch. Dieser zeichnet sich vor allem durch einen kapitalverliebten liberal-konservativen Stil als Vertretung von Wirtschaftsinteressen aus. Einer Splittergruppe der FDP war die Partei zuweilen sogar noch zu mutlos – so versuchte sich 2008, ebenfalls mitten in der Wirtschaftskrise, die „Libertäre Plattform“ zu etablieren. Wen wundert´s – erfolglos.

Das Kontrastprogramm zu Staatsferne und Neoliberalismus bietet die Linke an – nächste Woche bildet ihr Parteiprogramm den Abschluss dieser Serie.


Teaser & Image by FDP

ist Beraterin für strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit mit besonderem Schwerpunkt auf Technologie-, IT- und Digital-Themen. Sie berät und betreut Unternehmen, Verbände und politische Akteure.


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2 comments

  1. Dass es eine andere Gerechtigkeit als die Marktgerechtigkeit nicht gibt – zumindest solange unsere Technologie noch nicht soweit fortgeschritten ist wie in Arthur C. Clarke´s „The City and the Stars“ -, muss jedem vernünftigen Menschen klar sein, der die ganze Unsinnigkeit des Marxismus (Kapitalismus ohne Marktwirtschaft) erfasst hat:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/02/irrtumer-des-marxismus.html

    Eine ausbeutungslose und darum auch klassenlose Gesellschaft ist nicht durch eine Abschaffung der Marktwirtschaft, sondern nur durch die Befreiung der Marktwirtschaft vom parasitären Gegenprinzip des Privatkapitalismus (Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz) möglich. Dazu muss der Zins makroökonomisch auf Null geregelt werden (Soll-Zustand), damit das gesamte BSP aus Lohn besteht. Der Staat ist dann nicht länger eine „Anstalt zur zwangsweisen Einziehung des arbeitslosen Einkommens“ und kann auf das zurückgeführt werden, was er sein soll:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/12/der-abbau-des-staates.html

    Auch so genannte „Liberale“ sollten endlich einsehen, dass die Befreiung von staatlichen Reglementierungen nicht durch das Beschimpfen des „bösen Sozialismus“ zu erreichen ist, sondern der Abbau des Staates muss sich von selbst ergeben, indem die wirtschaftlichen Voraussetzungen für Freiheit und Gerechtigkeit geschaffen werden:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/02/halbwegs-glucklich.html

    Freiheit ist nichts anderes als das Recht zur Beteiligung am Wettbewerb – und nur der uneingeschränkte marktwirtschaftliche Wettbewerb (Freiwirtschaft) kann den Zins auf Null regeln und damit das Recht auf den vollen Arbeitsertrag verwirklichen, kann absolute Gerechtigkeit durch absolute Marktgerechtigkeit schaffen. Was der gewöhnliche „Liberale“ oder „Libertäre“ unter „Freiheit“ missversteht, ist aber das genaue Gegenteil: Er will sich das „Recht auf den Zins“ erhalten, weil er gar nicht die Absicht hat, als Freier unter Freien zu leben, sondern sich eine größere Freiheit davon verspricht, als Zinsgewinner unter vielen Zinsverlierern zu existieren, unabhängig davon, ob es ihm jemals gelingt, in den exklusiven Club der Zinsgewinner aufzusteigen. Ein solcher „Aufstieg“ ist in Wahrheit nur der Abstieg in die völlige Bewusstlosigkeit, denn ein Zinsgewinner kann nicht mehr wissen, was er will und verliert die Orientierung. Bewusstes Leben bedingt die Überwindung der Religion und die stetige Proportionalität von marktwirtschaftlich erbrachter Leistung und Gegenleistung für alle Wirtschaftsteilnehmer:

    http://www.deweles.de/globalisierung/leben.html

    Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das gilt nicht nur für einen Transistorhaufen genannt Operationsverstärker oder für den Zellhaufen, den wir homo sapiens nennen, sondern auch für jede Volkswirtschaft, die erst dann ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten kann, wenn eine konstruktive Verbindung von Individual- und Sozialprinzip hergestellt ist. Die Freiheit des Individuums wird dadurch nicht etwa gehemmt, sondern potenziert – unter der Voraussetzung, dass der Wettbewerb frei ist. Denn jede Beschränkung des Wettbewerbs bedeutet ein Monopol für den einen und damit zwangsläufig Ausbeutung für den anderen!

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/02/marktgerechtigkeit.html

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