Discovery-Dogma: Warum wir online entdecken und nicht nur suchen sollen

Suchmaschinen waren gestern, künftig sollen wir wie zufällig über interessante Dinge im Netz stolpern.

Ob in den neuen Google Maps, in der offiziellen Twitter-App oder beim Musik-Streamingdienst Spotify: Internet-Unternehmen schreiben “Discovery” neuerdings ganz groß und läuten damit still und heimlich eine neue Ära des Web ein. Konsumenten soll ermöglicht werden, online auch mal zu stöbern und zu schmökern, anstatt nur gezielt nach etwas zu suchen.

Wenn der Newsfeed nichts Neues bietet

Du hast dir Boysetsfire und letlive. angehört. Check mal Comeback Kid”, schlägt mir die Spotify-App vor, in der ich in einer gelangweilten Minute die neue “Entdecken”-Rubrik aufgerufen habe. “Diesen Bereich erkunden: Bars, Restaurants, Cafés”, schreibt das neue Google Maps unter das Suchfeld, während ich in einer freien Minute die Satellitenaufnahmen von Venedig erforsche. “Comedy, Cats & Special FX”, listet mir Twitters Kurzvideo-App Vine, sobald ich in den “Explore”-Bereich klicke, weil der Newsfeed nichts mehr Neues bietet.

Ähnliche Vorschläge wollen mir auch andere Web-Dienste präsentieren: Bei der Foto-App Instagram lohnt sich immer wieder ein Blick in die “Erforschen”-Sektion, wiel sich dort interessante Schnappschüsse aus der ganzen Welt finden. Beim Location-Dienst Yelp gibt es seit Juni in den “Schlagzeilen” die Rubrik “In deiner Nähe”, wo man immer wieder über interessante Lokalrezensionen von Nutzern in der eigenen Umgebung stolpert. In der offiziellen Twitter-App ist das “Entdecken” prominent platziert und lädt dazu ein, aus der eigenen Filter-Blase auszubrechen und einmal auch Tweets von Nutzern zu lesen, denen man nicht folgt. Und klarerweise ist auch die Location-App Foursquare zur Stelle, wenn man “Das Beste in der Nähe” entdecken will.

Stöbern wie am Flohmarkt, Schmökern wie im Magazin

Man sieht schon: “Discovery”-Funktionen – da als “Erforschen”, dort als “Entdecken” tituliert – poppen neuerdings überall im Internet auf. Egal ob am Desktop oder am Smartphone: Statt gezieltem Suchen soll spielerisches Stöbern erlaubt werden – also etwas, was dem Web noch ein wenig fehlt. Mit Google als seit vielen Jahren führendem und prägendem Unternehmen ging es bisher stark ums Suchen: Immer optimiertere Treffer sollen die Anfragen der Nutzer effizient beantworten. Doch das Schmökern, wie es etwa in Museum-Shops, Flohmärkten oder Hochglanzmagazinen möglich ist, ist bislang zu kurz gekommen. Mit dem neuen “Discovery”-Dogma wollen Internet-Dienste jetzt das Stöbern erlauben. Nicht mehr der effizienteste Link ist mehr das Wichtigste, sondern eine spannende Auswahl an Content, falls der Nutzer einmal Lust auf Neues hat.

Suchmaschinen bieten signifikanten Nutzen, aber wir müssen immer noch viel Energie dafür aufbringen, um zu finden, was wir wollen, nachdem Suchresultate algorithmisch angezeigt werden”, analysiert Techcrunch-Autor Semil Shah in Bezug auf den Siegeszug des Bilder-Dienstes Pinterest, bei dem Nutzer durch die Fotosammlungen anderer stöbern können. “Diese neue Generation an Social-Media-Firmen helfen dabei, dass das Entdecken online möglich wird und bedrohen die traditionelle Suche.” Wichtig für den Discovery-Trend ist, dass die Menschen immer länger online sind (am “Second Screen” auch während dem Fernsehen) und so Zeit und Lust haben, mal nicht etwas gezielt zu suchen, sondern sich auch mal überraschen zu lassen. Das steigert nicht nur die Nutzungszeit – Spotify-Nutzer sollen so mehr Minuten Musik pro Monat hören -, sondern ist auch gut fürs Geschäft. Der Online-Shop Fab etwa soll den Digital-Consultern von SeedWalker zufolge enorm davon profitieren, dem Nutzer eine Palette an hübschen Design-Produkten zu bieten, durch die man wie in einem Geschäft für Inneneinrichtung stöbern kann.

Durchschaut vom Algorithmus

Für Marketing-Strategen ist das “Discovery”-Dogma spannend. Denn anders als bei einer Google-Suche (man weiß schon ganz genau, was man will, und tippt es ein) steht das Entdecken ganz am Anfang des Prozesses einer Kaufentscheidung. Der Nutzer weiß noch gar nicht, was er will, hat aber gerade Lust, auf gut Glück nach etwas zu suchen – wer ihm Spannendes bietet, kann viel Geld verdienen. Anders als im analogen Shop passiert beim Online-Entdecken aber nichts rein zufällig: Die Songs, Restaurants, Produkte, Tweets und Videos, die uns die Internet-Services in ihren Discovery-Bereichen präsentieren, sind Resultat einer tiefgehenden Analyse unserer Surfgewohnheiten. Was haben wir zuvor angehört? Was mögen unsere Freunde? Was kaufen User, die sich so verhalten wie wir? Anders als im Analogen empfehlen uns keine Verkäufer, Redakteure oder DJs Neues, sondern Algorithmen, die in Echtzeit in unseren Daten nach Hinweisen auf unsere Vorlieben suchen.


Image (adapted) „Search“ by Pleuntje (CC BY-SA 2.0)


ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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