Digitale Schule in Krisenzeiten – Interview mit Matthias Schulze

Ein wichtiges Thema während der Corona-Krise ist die Schule. Wenn 30 Schülerinnen und Schüler in einem kleinen Klassenraum versammelt werden, können keinerlei Corona-Regeln eingehalten werden. Aus diesem Grund wurden die Schulen in Deutschland größtenteils geschlossen. Der Unterricht musste jedoch trotzdem weitergehen, immerhin standen auch die Abschlussprüfungen vor der Tür. Sehr kurzfristig musste ein möglichst gutes System zum Homeschooling auf die Beine gestellt werden und das Thema digitale Schule rückte in den Mittelpunkt. Auch ein Konzept, um die Schüler wieder in den Unterricht an den Schulen einzubinden, musste in den letzten Wochen ausgetüftelt werden. Jede Schule ist dabei etwas anders vorgegangen, da es keine Musterlösung für diese noch nie dagewesene Situation gibt. Wir haben uns mit Matthias Schulze, der Multimediaberater und Lehrer auf dem Gymnasium Balingen in Baden-Württemberg ist, unterhalten und nachgefragt, wie das Ganze bei ihnen ablief und wie eine digitale Schule auch in Zukunft aussehen kann.

Wenn ihr noch mehr zum Thema digitale Schule lesen wollt, schaut gerne in unserem Artikel über Schule und Digitalisierung vorbei.

Wie sah das Homeschooling an Ihrer Schule aus? Welche Anwendungen, Vorgehensweisen oder Geräte wurden genutzt?

Für uns kam die Situation natürlich auch sehr überraschend, deshalb war am Anfang viel Improvisation gefragt. Wir haben uns dann für Google Classroom entschieden, um den Unterricht mit den SchülerInnen zu realisieren. Das war am Anfang etwas schwierig, weil auch Google etwas überfordert war mit den zahlreichen Anfragen. Es gab also ein paar Startschwierigkeiten. Diese wurden dann mit dem Verteilen von Aufgaben per Mail überbrückt, bevor wir mit dieser Lernplattform loslegen konnten. Der Fernunterricht lief dann mit Aufgaben und Videokonferenzen in digitaler Form ab. Wir haben versucht, uns schnellstmöglich in dieses Tool einzuarbeiten, jede Lehrerkraft so gut sie konnte. Einige KollegInnen haben auch weitere Tools, wie moodle, padlet oder zoom genutzt.

Gab es viel Kontakt zu den Schülern und wie sah dieser aus?

Ja, das war natürlich ein wichtiger Punkt. Es ist uns als LehrerInnen auch immer wieder aufgefallen, dass ein großes Bedürfnis nach emotionalem Kontakt von Seiten der SchülerInnen da ist. Die SchülerInnen waren sehr dankbar über eine direkte Begegnung per Videokonferenz und freuten sich, wenn man persönlich nachfragt, wie es ihnen geht oder bei ihnen mal anrief. Vor allem die jüngeren SchülerInnen in der fünften und sechsten Klasse waren sehr dankbar, wenn vielleicht sogar postalisch mal ein Gruß nachhause kam.

Gab es Probleme und Herausforderungen, die mit der Zeit gelöst werden mussten?

Ja natürlich. Ich denke das Ganze ist eine prozessuale Geschichte und man versucht ständig sich zu verbessern. Uns fehlt sicherlich auch in vielerlei Hinsicht noch das Know-How im Umgang mit solchen Tools. Das mussten wir uns auch erst selbst erarbeiten. Das war für die einen natürlich einfacher, für andere etwas schwieriger, je nachdem wie technikaffin man ist und wie man sich vielleicht auch schon vorher in solche Programme eingearbeitet hat. Es gab auch datenschutzrechtliche Fragen mit der Nutzung von Google Classroom, weswegen wir im nächsten Jahr auf Moodle umsteigen werden. Da die Ausnahmesituation für dieses Schuljahr dann vorbei ist, kann man sich im nächsten Jahr eine gute Alternative überlegen. Schwierigkeiten gab es auch auf der Schülerseite, beispielsweise wurden schlechte Internetverbindungen oder Druckprobleme genannt.

Bedeutet das, dass Sie auch in Zukunft mehr digital arbeiten wollen an Ihrer Schule?

Genau, ich sehe das als eine Art Initialzündung, um den Prozess der Digitalisierung weiter voranzutreiben. Jetzt war der Zwang von außen da, dass alle LehrerInnen dazu gezwungen waren sich mit dieser neuen Technik auseinanderzusetzen. Das hat natürlich ein Stück weit Türen geöffnet. Wir wissen auch, dass im nächsten Schuljahr noch eine relativ große Gruppe an Lehrkräften weiter im Fernunterricht unterrichten wird, da sie zur Risikogruppe gehören. Wir rechnen nicht damit, dass wir alle weiter im Fernunterricht unterrichten werden, aber die Situation wird sicher noch eine Weile anhalten, weshalb wir aus der Not eine Tugend machen sollten und versuchen die neue Technik, so gut es geht, auch in den Alltag zu integrieren.

Wie sieht die technische Ausstattung an Ihrer Schule aus? Welche Geräte sind vorhanden und haben sie jetzt eventuell vor, neue Geräte einzuführen?

Wir sind was die technische Ausstattung angeht eigentlich ganz gut aufgestellt. Die Stadt Balingen unterstützt uns da sehr. Wir haben Tabletklassen, fast in jedem Raum eine Ausstattung, die mit Beamer und PC auch digitalen Unterricht ermöglicht. Die Schwierigkeit liegt eher darin, dass die Wartung immer mal wieder Probleme aufwirft. Deshalb bräuchte man einfach auch den personellen Support. In dieser Hinsicht ist also noch Luft nach oben.

Wir testen allerdings im Moment eine digitale Tafel, was ein mögliches nächstes Projekt sein könnte. Wir sind noch in der Findungsphase und ich möchte mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, ob sie in Zukunft kommen oder nicht, aber das ist auf jeden Fall etwas, was wir schon länger geplant haben. Es findet gerade ein Umbau statt in einem Gebäudekomplex, in diesem Zusammenhang gibt es Überlegungen, ob dort nicht digitale Tafeln eingebaut werden sollen. Das ist aber auch immer eine finanzielle Frage. Wir würden damit aber auf jeden Fall im Trend liegen. Des Weiteren erarbeiten wir auch gerade ein Konzept für speziell ausgerüstete Videokonferenzräume.

Wie waren die Reaktionen von Schülern und Eltern auf das Homeschooling? Wie war das Feedback?

Was man als Lehrkraft mitbekommt, ist ja immer relativ, aber ich glaube der Großteil hat recht positiv darauf reagiert. Es war eben auch eine Zeit der Entbehrungen, vor allem auch für die Eltern, die vor neue Herausforderungen gestellt wurden. Sie mussten die SchülerInnen komplett selber betreuen, sich mit Inhalten auseinandersetzen und technische Voraussetzungen schaffen, damit ihre Kinder am digitalen Unterricht teilnehmen können. Das war sicherlich nicht einfach. Trotzdem haben wir im Großen und Ganzen positives Feedback bekommen. Natürlich war hier und da auch mal eine Kritik dabei. Wir haben sie sofort aufgenommen und auf eine zeitnahe Problemlösung hingearbeitet, da der Fernunterricht uns ja vermutlich auch noch eine Weile begleitet. Wir versuchen also immer das Ganze zu optimieren.

Wie sieht die aktuelle Lage aus? Gibt es schon wieder Präsenzunterricht oder läuft immer noch alles über Fernunterricht?

Momentan unterrichten die KollegInnen, die zur Risikogruppe gehören noch über Fernunterricht. Das heißt, dass es speziell ausgestattete Klassenräume mit entsprechenden Kameras gibt, in denen eine Art Teleteaching stattfindet. Ansonsten fahren wir mit dem normalen Unterricht weiter. Mit der Einschränkung, dass wir die Klassen in der Unter- und Mittelstufe gesplittet haben. Das heißt, dass nur die Hälfte der Klasse da ist. Wir haben dann eine A und B Woche und ein tageweise rotierendes System, sodass jede(r) SchülerIn an zwei oder drei Tagen die Woche in der Schule ist. Mit diesem System fahren wir ganz gut. Der Nachteil ist, dass man die SchülerInnen nur alle zwei Wochen sieht, doch der Vorteil daran ist, dass man in diesen kleinen Gruppen intensiver arbeiten und somit vielleicht auch einige Sachen aufholen kann, die im Fernunterricht schwieriger waren.

Durch die Umstellung konnte der Unterricht nicht im gewohnten Tempo fortgeführt werden. Kann der Unterrichtsstoff trotzdem komplett durchgenommen werden oder fehlen dieses Jahr eventuell einzelne Themen?

Nach meiner persönlichen Meinung werden wir erst im nächsten Schuljahr richtig merken, welche Defizite es gibt. Momentan sind alle noch ein bisschen in dieser Aufwachphase. Die Lockdown-Phase konnte man jetzt überwinden, jeder hat sein Bestes dazu beigetragen, Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen haben alle versucht das Beste aus dieser Situation zu machen. Jetzt sind wir wieder in einer Art Normalität angekommen und ich hab das Gefühl, dass wir uns noch ein Stück weit in einer Findungsphase befinden. Wir haben als Gymnasium jetzt auch ein Stück weit den Fokus auf die Oberstufe gelegt, damit für das diesjährige und nächstjährige Abitur alles glatt geht. Bei allen anderen sind natürlich die Bemühungen da, so viel wie möglich zu schaffen, aber klar muss man auch sagen, dass kein normaler Unterricht möglich gewesen ist. Dadurch sind sicherlich Baustellen und Lücken entstanden, die wir im nächsten Jahr angehen müssen.

Wie war die Situation für die diesjährigen Abschlussklassen? Konnten die Prüfungen ganz normal stattfinden?

Die OberstufenschülerInnen sind jetzt mit dem schriftlichen Abitur durch, das mündliche steht noch an. Aus meiner Sicht haben diese SchülerInnen aus der ganzen Corona-Situation gar keine so großen Nachteile gehabt. Mit dem Stoff waren sie ja eigentlich so gut wie durch. Das heißt, sie haben letztendlich zwei Wochen verloren, in denen sie noch zur Schule hätten gehen können, vor dem Abitur und diese zwei Wochen wurden hinten angehängt. Das bedeutet, rein theoretisch waren die diesjährigen Abiturienten relativ gut vorbereitet. Ich mache mir da eher Sorgen um die jetzigen Elftklässler, die nächstes Jahr ihre Prüfungen schreiben. Die haben jetzt nämlich schon zeitliche Einschränkungen und auch Einbußen im nächsten Schuljahr, da es dann ja immer noch teilweise Fernunterricht geben wird. Die SchülerInnen sind dankbar für jedes Bemühen und gerade die OberstufenlehrerInnen sind sehr bemüht, alles auch aufzufangen, aber es ist eben trotzdem nochmal etwas anderes analog vor den SchülerInnen zu stehen.

Denken Sie, dass es beim Thema digitale Schule auch noch mehr Unterstützung von Seiten der Politik geben sollte?

Ich bin Lehrer für Wirtschaft und da ist mir klar, dass die Ressourcen natürlich immer begrenzt sind und jeder Bereich gerne was vom Kuchen abhaben möchte. Natürlich wünsche ich mir aus bildungspolitischer Sicht mehr Investitionen und mehr Augenmerk auf die Bildung, aber es wird im Gesundheitswesen und in anderen Bereichen genauso gute Gründe geben, dort mehr zu investieren. Wenn es irgendwie möglich ist, freuen wir uns natürlich, wenn Zuwendungen kommen.

Der DigitalPakt ist schon einmal ein großer Schritt, der in diesem Zusammenhang gemacht wird. Das ist sicherlich eine finanzielle Unterstützung, die auch die Stadt Balingen gerne in Anspruch nehmen wird und da soll auch viel passieren. Vor allem geht es dabei um den Ausbau der digitalen Infrastruktur der Schulen in der ganzen Stadt. Wir sind schon relativ gut ausgestattet, aber es gibt noch Schulen in der Kommune, die noch Nachholbedarf haben und da versucht man nach meinem Wissensstand erstmal alle ans Netz zu bringen.

Haben Sie den DigitalPakt schon in Anspruch genommen?

Der Antrag dafür muss ja von Seiten der Schulträger gestellt werden, das ist in unserem Fall die Stadt Balingen. Damit die Stadt den Antrag stellen kann, müssen wir als Schule Zuarbeit leisten. Wir liefern also mehr oder weniger eine Art pädagogische Begründung oder Rechtfertigung. Das hat einfach damit zu tun, dass es sich um Fördergelder vom Bund handelt. Diese müssen natürlich auch gerechtfertigt und richtig eingesetzt werden. Die letztendliche Entscheidung darüber was mit diesen Geldern passiert und wie sie eingesetzt werden, liegt nicht in unserer Hand als Schule, das ist dann Aufgabe der Stadt. Des Weiteren ist aktuell ein Sofortausstattungsprogramm von Bund und Länder gestartet worden, welches zusätzliche Gelder für die Bewältigung der künftigen Herausforderungen des Fernunterrichts zur Verfügung stellt.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die perfekte digitale Schule aus? Was ist notwendig, was eventuell auch überflüssig?

Die rege Nutzung von vielen digitalen Medien und eine Art Feuerwerk dieser ist etwas, das sich vielleicht viele SchülerInnen wünschen. Ein Stück weit eine Öffnung müssen wir da sicherlich durchmachen und wir als Lehrkräfte müssen uns mit den neuen Medien auseinandersetzen. Vor gesellschaftlichen Trends dürfen wir nicht die Augen verschließen und auch wir müssen die Digitalisierung angehen.

Ich bin allerdings kein großer Fan von Generalisierungen. Man kann nicht sagen, wenn wir jetzt alles mit digitalen Medien machen werden unsere SchülerInnen dadurch viel schlauer. Ich würde sagen, ja, wir müssen in der Digitalisierung vorangehen und ich wünsche mir eine Schule, die mit der Digitalisierung auch eine stärkere Individualisierung von Lernprozessen mit sich bringen kann. Dass man auch stärker Lerngruppen öffnen kann. Dass es Einzelarbeit gibt in der Form, dass sich die SchülerInnen in ihrem Alltag individuell mit einem Projekt beschäftigen, recherchieren und sich selbst Strukturen erstellen, wie sie das Problem lösen. Ich glaub schon, dass das ein gewisses Zukunftsbild ist, das auch aus wirtschaftlicher Perspektive wünschenswert für einen späteren Arbeitnehmer ist.

Aber ich halte auch an grundlegenden Dingen fest. Es braucht immer ein(e) LehrerIn im Raum. Zahlreiche empirische Studien belegen die hohe Bedeutung eines positiven Lehrer-Schüler-Verhältnisses. Das hat der Fernunterricht jetzt auch wieder gezeigt. Diese Art des Unterrichts ist übergangsweise okay, aber eine Lehrkraft im Raum, die auch als Coach im Team mit dabei ist und den SchülerInnen nicht nur inhaltlich die Köpfe füllt, sondern auch als Unterstützer vor Ort ist und die jungen Menschen mitnimmt, ein offenes Ohr hat und sensibel mit Problemen der SchülerInnen umgeht und individuell für sie da ist, ist sehr wichtig und da werden wir nicht drum rum kommen.

Es ist im Unterricht auch wichtig, dass die Schüler etwas Greifbares haben und nicht nur alles digital in Form von Fotos oder Videos sehen. Sie müssen die Baumwollpflanze auch mal anfassen können, wenn dazu etwas im Geschichtsunterricht gemacht wird. Im Physikunterricht eine Apparatur auch mal selbst steuern oder im Chemieunterricht selbst mal was zusammenschütten. Solche Sachen sind unabdingbar.

Sind Sie der Meinung, dass es auch im Lehrplan Änderungen geben muss, um digitale Schule voranzutreiben?

Na ja, der Bildungsplan versucht ja schon der Digitalisierung ein Stück weit Rechnung zu tragen. Das ist natürlich immer schwierig. Unser aktueller Bildungsplan ist jetzt auch schon wieder über vier Jahre alt. Die Schwierigkeit ist, dass die Etablierung eines solchen Curriculums immer Zeit braucht und so schnell wie Digitalisierung und Technisierung sich entwickeln, kommt die Bildungspolitik gar nicht hinterher. Ich glaube, wir haben einen guten Bildungsplan. Da sind die richtigen Themen drin. Da sind auch die wichtigen Themen, die die SchülerInnen später brauchen, drin. Bei der Umsetzung des Ganzen ist sicherlich Digitalisierung nötig, aber eben auch nicht das Allheilmittel. Das ist ein Punkt von vielen, der guten Unterricht ausmacht und so sollte man das Ganze auch sehen.


Titelbild von akel115 via Adobe Stock

Anna Klaffschenkel ist Teil der Netzpiloten-Redaktion und interessiert sich für alles rund um die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Politik.


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