Die digitale Stadt – wie sich der Kampf um den urbanen Raum verändert

In der heutigen Zeit sind vor allem die großen Städte Impulsgeber des gesellschaftlichen Wandels. Urbane Räume bilden einen Mikrokosmos, der auf gesellschaftliche Trends erheblich stärker reagiert als ländliche Gebiete.

Die Digitalisierung als ökonomischer und sozialer Paradigmenwechsel wird deshalb im urbanen Raum besonders anschaulich. In Berlin und vielen anderen Städten lässt sich nun beobachten wie die Digitalisierung auch die Politik in den Städten langsam verändert.

Weltweit ziehen die Menschen in die Städte. In den zwanzig größten Metropolen leben mittlerweile etwa 280 Millionen Menschen. Tendenz steigend. Diese Entwicklung führte in den letzten Jahren zu einem zunehmenden Kampf um den urbanen Raum. In vielen Schwellenländern hat die rasante Urbanisierung eine zunehmende Umweltverschmutzung, eine schlechte städtische Versorgung und vor allem eine Verdrängung der sozial Schwachen zur Folge. Auch in Europa und in Deutschland wird der urbane Raum immer umkämpfter. Die Mieten steigen, für Subkultur bleibt immer weniger Platz, die sozial Schwachen werden aus den Innenstädten vertrieben und die Städte haben immer weniger Mittel um diesen Tendenzen entgegenzusteuern.

In der Postmoderne sind die großen Städte zu den Schauplätzen des gesellschaftlichen Wandels geworden. Dies manifestiert sich in vielerlei Hinsicht. Der digitale Wandel der mittlerweile die gesamte Gesellschaft erreicht hat ging von den Städten aus. Hier wird der digitale Paradigmenwechsel auch besonders deutlich. Es ist kein Zufall, dass die Piratenpartei ihren kurzen Siegeszug bei den Berliner Wahlen begonnen hat.

Beide Entwicklungen, die der Urbanisierung und die der Digitalisierung beeinflussen sich gegenseitig. Seit einigen Jahren lässt sich auch erkennen wie die Digitalisierung unsere Städte verändert. Eine erste Erkenntnis des raschen urbanen Wachstums in den westlichen wie auch in den Schwellenländern ist der Ausbau der urbanen Infrastruktur unter anderem ein zunehmender Investitionsbedarf in kommunale Bildung und barrierefreie Mobilität. Beim Ausbau der urbanen Infrastruktur greifen immer mehr Städte auf das Digitale zurück. In der südkoreanischen Stadt Songdo sind zum Beispiel Verkehrsprobleme und Staus – trotz hoher Verkehrsdichte – die absolute Ausnahme. Ermöglicht wird dies durch ein intelligentes, lernfähiges Verkehrssteuerungssystem und ein stadtweites Sensorennetz. Dabei werden die aktuellen Verkehrsbewegungen laufend in Echtzeit erfasst und mit Bestandsdaten verglichen. So wird eine realistische Prognose des Verkehrsaufkommens erreicht, die dann als Grundlage für die stadtweite Ampel- und Verkehrssteuerung dient.

Der Zugang zu Informationen

Dabei können nicht nur die politisch Verantwortlichen auf mehr Informationen zugreifen sondern auch die Bürgerinnen und Bürger der Städte. Seit einigen Jahren gibt es eine international sehr aktive weltweite Open Data Bewegung. Diese Bewegung will die Daten der öffentlichen Verwaltung maschinenlesbar veröffentlichen. Entwickler und Journalisten können dann auf diese Daten zugreifen, sie verknüpfen und sie visualisieren. Auf wheelmap.org können Rollstuhlfahrer beispielsweise sehen welche Orte rollstuhlgerecht sind oder auf der Fluglärmkarte der Tageszeitung die taz kann sich jeder Bürger die prognostizierte Lärmbelastung des neuen Berliner Flughafens anschauen. Dank dieser vielen Anwendungen hat heute jeder Bürger mehr Zugang zu Informationen als noch vor einigen Jahren jeder führende Politiker.

Der Informationsfluss verändert sich

Neben dem Zugang zu Informationen hat sich auch der Informationsfluss im urbanen Raum stark verändert. Im Jahr 2010 haben Künstler am Rosenthaler Platz in Berlin mehrere Eimer Farbe auf die Straße gekippt. Nach einigen Minuten war, bedingt durch den starken Verkehr, der Boden des gesamten Platzes farbig. Dank der Netzwerkstruktur des urbanen Raumes haben sich die Videos und die Fotos der Kunstaktion innerhalb von wenigen Stunden verbreitet. Was wichtig ist entscheiden nicht mehr nur allein die Fernsehsender und Zeitungen sondern jeder Bürger selbst indem er Nachrichten weiter verbreitet oder nicht.

Doch was macht die Politik?

Doch nicht nur der Informationszugang und der Informationsfluss verändern sich sondern auch die direkte Politik beginnt sich langsam zu verändern. Im Februar gingen in ganz Europa hunderttausende junge Menschen gegen das internationale Handelsabkommen ACTA auf die Straßen. Der Protest wurde allein in sozialen Netzwerken organisiert. Am Ende hat das europäische Parlament zum ersten Mal in der Geschichte ein von der europäischen Kommission verhandeltes Abkommen, abgelehnt. Auf BERWatch sollen die Bürgerinnen und Bürger der Politik helfen die Akten zum neuen Berliner Flughafen zu durchsuchen. Die Hoffnung besteht, dass der so genannte „Schwarm“ besser aufklären kann als etwa 20 Abgeordnete die Mitglied im Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses sind. Im Berliner Stadtteil Moabit sollen Bürger bald selber, mit Hilfe einer Software, entscheiden können wo und für welche Projekte die Stadt Geld in diesem Gebiet ausgeben soll.

All diese Ansätze sind erst der Anfang der digitalen Stadt die sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten rasant weiter entwickeln wird. Ob diese Entwicklungen am Ende wirklich zu einer transparenteren, partizipativen und vor allem demokratischeren Stadt führt oder doch nur ein Spielzeug einer gut gebildeten digitalen Boheme darstellt, bleibt auch weiterhin abzuwarten.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf yannickhaan.tumblr.com.


 


engagiert sich seit mehreren Jahren politisch im Bereich Netzpolitik. Er ist unter anderem Sprecher des Forums Netzpolitik der Berliner SPD. Im April diesen Jahres veröffentlichte er das Buch “Gesellschaft im digitalen Wandel”. Ansonsten ist er auch noch kommunalpolitisch aktiv und setzt sich auf vielen Ebenen für eine höhere Bürgerbeteiligung, sowie Open Data, Open Educational Ressources, Open Access oder einer Modernisierung des Urheberrechts ein. Zurzeit absolviert er an der Europa-Universität Viadrina einen Master in Intercultural Communication Studies. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks. | Twitter, Facebook, Google+


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1 comment

  1. Danke für den Artikel, Yannick. Was ich hier sehr vermisse, das ist der enorme Einfluss der Mobile Technology auf das urbane Leben. Seit ihrer Gründung bauten Städte auf sozialen Netzwerken auf. Die Stadt als sozialer Raum bekommt heute eine völlig neue Dimension, wenn ich mein komplettes soziales Netzwerk, sämtliche Informationen in der Tasche habe und auf Location Based Services zurückgreifen kann. Stichwort: Das Zusammenwachsen von mobilem Internet, lokalen Services und Sozialen Netzwerken – und damit die Intimität einer dörflichen Struktur. Die Lösung von Verkehrsproblemen oder Fragen der politischen Partizipation zeigen oder mE nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Veränderungen.

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