Der Wert von Papier im digitalen News-Zeitalter

Warum es sich im Jahr 2014 nach wie vor lohnt, zu Print zu greifen, lässt sich von den Stärken des Papier her erklären. // von Jakob Steinschaden

Cafe Griensteidl, 1896 (Bild: Reinhold Völkel [Public domain], via Wikimedia Commons)

Wann, liebe/r LeserIn, haben Sie das letzte Mal gezielt zu Papier gegriffen? Für viele junge Menschen im deutschsprachigen Raum erscheint der Kauf einer Tages- oder Wochenzeitung mittlerweile völlig unverständlich. News und Storys gibt es im Internet ohnehin in Hülle und Fülle, und das zumeist gratis. Was dabei vergessen wird: Papier hat zwei Stärken, die es von der Online-Welt abheben können – Fokus und Serendipität.


Warum ist das wichtig? In der Netzgemeinde wird die Zeitung oft und gerne totgesagt. Doch Papier hat zwei Stärken, mit der es sich vom Internet abheben kann.

  • Bei analogen Medien kann der Leser einfacher fokussieren, weil er nicht ständig von Software zum Weiterklicken animiert wird.

  • Serendipität, also das zufällige Entdecken von neuen Themen, funktioniert beim Durchblättern eines Printtitels besser als im personalisierten Netz.

  • Mittelfristig wird sich die Tageszeitung auf die neuen Rahmenbedinungen und ihre Stärken besinnen müssen und zur Wochenzeitung werden.


Das Digitale kann auch unbefriedigend sein

Viel wird diskutiert über die Zukunft der Print-Zeitung auf der einen und über die Zukunft der Medien im Digitalen auf der anderen Seite. Als Konsument steckt man mitten drin in dieser Debatte und kann zum Nachrichtenkonsum Facebook-Newsfeeds und Twitter-Streams durchscrollen, sich Apps wie cir.ca, Flipboard oder NYT Now installieren, gratis bei der Huffington Post lesen und Videos bei Vice News kucken oder sich ein Digitalabonnement bei einer immer größeren Bandbreite an Online-Medien leisten. Es ist von Qualität bis Trash nicht nur für jeden Geschmack etwas dabei, nein, News werden zunehmend auch immer stärker personalisiert. Sie klammern aus, was man nicht mag, und heben hervor, was dem persönlichen Interessensprofil entspricht.

Als digital-affiner Mensch mit Notebook, Smartphone und Smart-TV habe ich diese und viele andere News-Angebote im Netz natürlich auch auf dem Schirm. Doch im Laufe des Jahres 2014 bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass mich digitale News unbefriedigt zurücklassen. Nie ist eine Story fertig erzählt, das nächste Update wartet schon an der nächsten Ecke, die Personalisierung ließ mich in Details verlieren. Egal, wie schön und qualitativ große Geschichten auch aufbereitet wurden – „Snowfall“ und Co. (a.k.a. Scrollytelling a.k.a. Onepager) konnten mich irgendwie nie lange bei sich halten. Ob am Smartphone oder am Notebook: Eine neue E-Mail, eine Notification, ein zweites Browser-Fenster, ein Link, ein eingebettetes Video: In der digitalen Welt ist die Verlockung fast immer zu groß, sich schnell mal etwas anderem zu widmen, seine Aufmerksamkeit jemandem oder etwas anderen zu schenken.

Deswegen habe ich mich dafür entschieden, wieder Print zu abonnieren. Jede Woche kommt nun wieder Papier zu mir nach Hause. Klar kenne ich seine Nachteile nur zu gut: Wer abonniert, der kauft ein Bündel an Storys, und nicht alle sind immer gut und interessant. Redaktionsschlüsse zwingen Printjournalisten dazu, Storys nicht fertig zu erzählen zu können und auf die nächste Woche vertrösten zu müssen. Und auch die Haptik, die oft von Vertretern der Print-Branche gelobt wird, ist nicht das Tolle – eine Riesenzeitung wie „Die Zeit“ im Flugzeug zu lesen ist nicht komfortabel, genauso, wie sich das Papier des „Economist“ nicht edel, sondern eher wie ein billiges TV-Programmheft anfühlt. Auch kann mir keiner weismachen, dass die digitale Welt nicht auch eine ganz gute Haptik bietet. Immerhin designt unter anderem eine zum Ritter geschlagene Koryphäe die Dinger, die Millionen Menschen ziemlich gerne in der Hand halten – Apple-Chefdesigner Jonathan Ive.

Die Stärken von Papier: Fokus und Serendipität

Trotz der genannten Nachteile gebe ich wieder ganz bewusst (nicht wenig) Geld für Print aus. Ich will mich wieder ganz bewusst einer Story widmen können, ohne ständig von Software dazu aufgefordert werden, doch woanders hinzuklicken, weiterzusurfen, auf Like zu drücken oder meine Meinung darunterzuschreiben. Die erste Stärke von Papier ist seine vermeintliche Schwäche: Papier kann eben nicht (oder nur sehr eingeschränkt) auf andere Inhalte verweisen und den Leser wegschicken. Am Anfang meiner Print-Rückkehr, das musste ich bedauerlicherweise feststellen, habe ich einen 10.000-Zeichen-Artikel nur schwer bis an sein Ende durchgehalten. Doch mit der Zeit kann man sich das Langlesen wieder zurück erkämpfen – heute können Sie mich im Kaffeehaus antreffen, wo ich manchmal stundenlang sitze und meine Wochenzeitung lese, ohne dauernd von irgendetwas anderem abgelenkt zu werden. Auch ein Buch schaffe ich wieder an einem Wochenende, wenn es wirklich packend (und nicht zu dick) ist.

Die zweite Stärke von Papier ist, was man Serendipität nennt – also das zufällige Entdecken von etwas Hochinteressantem, das man eigentlich nicht aktiv gesucht hat. In einer Zeitung kann man neue Dinge einfach entdecken, indem man umblättert, im stark personalisierten Internet funktioniert das nicht. Entweder gibt man mit seinem Suchbegriff oder seinen Personendaten vor, welche Inhalte man präsentiert bekommt, oder man klickt sich vom Hunderdsten ins Tausendste, bis man wirklich alle Gerüchte zum neuen iPhone (oder was auch immer) endlich auswendig kennt. ein gut gemachter Printtitel aber hat den Überaschungseffekt fast immer auf seiner Seite und kann seinen Leser so bei sich halten.


Im AirTalk von Larry Mantle redet Austin Beutner, Geschäftsführer der Los Angeles Times, über die Zukunft des Papiers in den Medien:

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Leser wollen Zeit für mehr haben

Dass viele in der Printbranche dem Internet die Schuld am Zeitungssterben in die Schuhe schieben, ist übrigens falsch. „Lange vor dem Internet (wir meinen das WWW) entfremdete sich die von den Regionalzeitungen beschriebene Welt der Institutionen, der Behördensprecher und Funktionsträger von dem für junge Erwachsene relevanten Alltag; beide Welten drifteten schon damals auseinander„, analysierte etwa Michael Haller, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung in Leipzig, für Spiegel Online.Die Gründe sind vielfältig: die Attraktivität der neu eingeführten privaten Rundfunkprogramme; die schwindende Bindekraft der politischen und kulturellen Institutionen, abzulesen am Mitgliederschwund (Parteien, Konfessionen, Gewerkschaften); zudem der nachhaltig wirksame, durch die Wiedervereinigung verstärkte Wertewandel; die Diffusion schulischer Ausbildungsziele und, damit verbunden, die Schwächung der grundlegenden Fertigkeiten: Lesen, Verstehen, Analysieren.“

Die Tageszeitung muss sich in der digitalen Welt neu aufstellen. Für den Überblick über die Meldungen des Tages braucht man sie nicht mehr, da reicht heute ein Blick auf Twitter. Ihre beiden Stärken Fokus und Serendipidät wird die Zeitung nur dann ausspielen können, wenn der Leser Zeit hat – und die hat er eigentlich fast nur am Wochenende. „Ich glaube, dass bald viele Tageszeitungen Wochenzeitungen werden und dazu intelligente 24/7-Digitalprodukte haben. Die gedruckte Tageszeitung ist einfach am Ende ihres Lebenszyklus angekommen„, sagte Michael Fleischhacker, Chefredakteur der NZZ ÖSterreich, in einem Interview zu mir (er hat ein ganzes Buch, „Die Zeitung. Ein Nachruf„, darüber geschrieben). Da kann ich Fleischhacker nur zustimmen.


Teaser & Image by Reinhold Völkel (Public domain)


ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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4 comments

  1. Sehr interessanter Beitrag. Aber der Autor mag sich hier auf dieser Seite einmal umsehen. Es ist nicht das Medium, das ihn zwingt, hier auch noch gefühlt 100 weitere mal besser mal schlechter passende Links zu setzen. Es sind die Schreiber selbst, die für die Serendipität sorgen, indem sie alles verlinken, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, am besten etwas, was auch mitscrollt, wie die Big Five des Social Links links des Kommentars. Mit anderen Worten: Wir haben es selbst in der Hand, wie wir das Medium gestalten. Zu Print zu greifen, weil es weniger kann, finde ich als Subjekt unbefriedigend.

  2. Aber es heißt trotzdem „Stärken des Papiers“ – mit Genitiv-s, ja? Oder ist der in Österreich schon offiziell abgeschafft, und ich habe es nur nicht mitbekommen? Ich hoffe ja immer noch, dass die Liebe zur deutschen Sprache, zu einer korrekten Rechtschreibung und Grammatik, bei den gedruckten Medien weiterhin gepflegt wird. Im Netz ist sie ja schon den Bach runtergegangen.

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