Clickbaiting auf Kosten der GEMA

Die Online-Magazine Telepolis und Bild.de werfen der GEMA vor, sie habe Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) finanziell durch die Auszahlung von Tantiemen unterstützt. Was steckt wirklich dahinter? // von Lars Sobiraj

GEMA-Gebäude (Bild: Lars Sobiraj)

Vergangenen Freitag veröffentlichte das vom Heise Zeitschriften Verlag betriebene Online-Magazin Telepolis einen heiß diskutierten Artikel. Darin wirft Redakteur Peter Mühlbauer der Verwertungsgesellschaft GEMA vor, sie habe den IS-Terror indirekt mitfinanziert. Mindestens ein Rap-Musiker sei ein GEMA-Mitglied. Damit habe die GEMA Tantiemen an offensichtlich radikale Mitglieder ausgeschüttet.


Warum ist das wichtig? Immer wieder behandeln Online-Portale mit Absicht kontroverse Themen, die dann zu einem Besuch ihrer Webseite und zu vielen Kommentaren herausfordern. Ziel solcher Attacken ist häufiger die seit jeher unbeliebte GEMA.

  • Zum Beispiel Telepolis und Bild.de haben eine solche Attacke initiiert, indem sie behaupteten, GEMA würde indirekt Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat finanzieren.
  • Wie sich später herausstellte, hat sich der Aufhänger der Story aber komplett in Luft aufgelöst. Bild.de hat den Beitrag ohne jede Änderung belassen. Bei Telepolis wurde lediglich ein kurzes Update hinzugefügt.
  • Online-Journalismus wird durch Werbung finanziert. Rechtfertigt allein diese Tatsache das Vorgehen der beteiligten Redaktionen?

Im Vormonat wurde in der Presse bekannt gegeben, dass der Rapper Denis Cuspert „Deso Dogg“ den Namen „Abu Thala Al-Alamani“ angenommen hat. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ist er im engsten Zirkel der IS-Terroristen angelangt. Nachdem sich ein Redakteur des heise-Magazins Telepolis bei der GEMA nach Cusperts Tantiemen erkundigt hat, wurde die Behauptung aufgestellt, die GEMA habe durch ihre Zahlungen indirekt den islamischen Terror unterstützt. Bis die Story auch auf der Webseite der BILD-Zeitung erschien, wurden die Vorwürfe nicht weiter kommentiert. Erst gestern erschien eine Stellungnahme der Verwertungsgesellschaft.

Das Problem ist vor allen Dingen juristischer Natur: Die GEMA kann schlichtweg keine Musikurheber als Mitglieder ausschließen, solange deren Werke nicht offiziell als rechtswidrig eingestuft wurden. Das hätte einen Eintrag der Lieder von „Deso Dogg“ auf dem Index der Bundesprüfstelle nach sich gezogen. Indiziert sind aber nur Videos und keine Musiktitel von „Deso Dogg“.

Der Verwertungsgesellschaft steht für eine solche Entscheidung keine derartige Deutungshoheit zu. Sie darf keinerlei Einfluss auf die Auszahlungen an ihre Mitglieder nehmen. Solange kein gerichtliches Verbot vorliegt, muss die GEMA die Rechte zur Musiknutzung einräumen und ihren Mitgliedern eine Lizenz anbieten. „Nur ein Gericht kann anordnen, das Vermögen einzelner Mitglieder zu beschlagnahmen.“ Auch für ein Zahlungsverbot der Ausschüttungen muss ein Gerichtsurteil vorliegen. „Das Handeln nach eigenem Ermessen steht der GEMA als privatem Verein in einem Rechtsstaat insofern nicht zu. Die GEMA darf selbst auch nicht beurteilen, in welchen Fällen eine Einziehung gerechtfertigt wäre. Diese Entscheidung ist aus gutem Grund dem Richter vorbehalten – nicht der GEMA. Andererseits sind aber auch die Musikplattformen aufgefordert, die Musik von Denis Cuspert nicht mehr öffentlich zu verbreiten.“

Was der Telepolis-Redakteur nicht wusste, weil ihm diese Auskunft mit Hinweis auf den Datenschutz verweigert wurde: Das GEMA-Mitgliedskonto von Denis Cuspert alias „Deso Dogg“ ist bereits seit dem Jahr 2009 aufgrund seines unbekannten Wohnsitzes gesperrt. Deswegen wurden in den vergangenen Jahren keine Tantiemen an Herrn Cuspert ausgeschüttet. Somit hat Peter Mühlbauer lediglich angenommen, dass es Zahlungen seitens der GEMA gab. Entsprechend vorsichtig wurde der Artikel bei Telepolis aber nicht formuliert. Dort wird vor allem bemängelt, dass man die gestellten Fragen ausweichend beantwortet hätte.

Um es kurz zu machen: Bild.de ist auf eine Zeitungsente hereingefallen, weil man die Tatsachenbehauptungen von Telepolis ungeprüft übernommen hat. Telepolis stellte hingegen Behauptungen auf, die nicht überprüfbar waren. Heise und Springer haben trotzdem zugegriffen. Diese kontroverse Story roch einfach zu gut. Die Kämpfe der syrischen IS-Milizen sind täglich in den Schlagzeilen, dieser Aufreger war Garant für viele Klicks und Kommentare. Selbst Fefe wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Auch er hat die Story mit Freunden bei sich aufgenommen. Wie er selbst schreibt, waren lediglich die Schriftzeichen groß. Die Faktenlage war hingegen sehr „dünn“.

Fehlerhafter Artikel gelöscht? Fehlanzeige!

Der Inhalt der GEMA-Pressemitteilung bleibt bis jetzt bei Bild.de unerwähnt. Telepolis hat seinen Artikel lediglich am Schluss um einen kurzen Absatz ergänzt. Eigentlich hätte man die komplette Nachricht löschen müssen, weil der Aufhänger der Story nicht mehr existent ist. Ohne Auszahlung – keine Sensation, ohne Inhalt gibt es keine Nachricht. Das sollte man zumindest denken. Telepolis legte heute bei dem heißen Thema stattdessen mit dem Folgeartikel „Geistiges Eigentum eines Terroristen“ noch ein Brikett oben drauf.

Vorgehensweise nicht nachvollziehbar

Der frühere Labelchef Stefan Herwig kann die Vorgehensweise der Redaktionen nicht nachvollziehen. „Was hätte denn die GEMA tun sollen? Den Background aller ihrer Musiker durchleuchten? Und dann auf Verdacht die Auszahlungen sperren?“ Der reine Verdacht auf eine Mitgliedschaft in einer radikalen Vereinigung sei doch bei weitem nicht ausreichend. Die Frage ist auch: an welcher Stelle sollte sie die Grenze ziehen, hätte die GEMA doch die Deutungshoheit? Sollen dann auch Zahlungen an mutmaßliche Links- oder Rechtsradikale ausgesetzt werden? Reicht Liedgut aus, welches gegen die guten Sitten verstößt, weil darin beispielsweise der Konsum von Drogen verherrlicht wird? Ist schon der Verdacht ausreichend? Wie man sieht, ist es gut, dass die Gerichte darüber entscheiden müssen.

Für Stefan Herwig sieht es so aus, als wenn mal „wieder eine Anti-GEMA-Sau durchs Pressedorf getrieben“ wird. Etwas moderner ausgedrückt war dies nichts weiter als Clickbaiting auf Kosten einer einzigen Seite, nämlich zu Lasten der GEMA. Die hat schon angekündigt, nicht juristisch gegen die Berichterstattung vorzugehen.


Teaser & Image by Lars Sobiraj


schrieb von 2000 bis zum Jahr 2002 für mehrere Computerzeitschriften rund 100 Artikel. Von April 2008 bis Oktober 2012 leitete er beim IT-Portal gulli.com die Redaktion als Chefredakteur. Thematische Schwerpunkte der über 1.000 Beiträge sind Datenschutz, Urheberrecht, Netzpolitik, Internet und Technik. Seit Frühjahr 2012 läuft die Video-Interviewreihe DigitalKultur.TV, die er mit dem Kölner Buchautor und Journalisten Moritz Sauer betreut. Seit mehreren Monaten arbeitet Lars Sobiraj auf freiberuflicher Basis bei heute.de, ZDF Hyperland, iRights.info, torial, Dr. Web und vielen weiteren Internet-Portalen und Blogs. Zudem gibt er Datenschutzunterricht für Eltern, Lehrer und Schüler. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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2 comments

  1. fefe trägt seit ein paar Jahren offenbar einen privaten Kampf mit der GEMA aus.
    Ich vermute, er hat mal Musik ungefragt benutzt und etwas Ärger bekommen? …und ist seitdem sauer auf die GEMA?
    Anders kann ich mir seine permanenten Gehässigkeiten gegenüber den Komponisten nicht erklären; sie fallen jedesmal unangenehm auf zwischen all den richtighen und wichtigen Meldungen bei ihm.

  2. „Was hätte denn die GEMA tun sollen? Den Background aller ihrer Musiker durchleuchten? Und dann auf Verdacht die Auszahlungen sperren?“

    Das nennt man „GEMA-Vermutung“

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