Gründungswelle voraus: Johannes Ellenberg startet Accelerate Stuttgart

Mit Accelerate Stuttgart möchte Johannes Ellenberg Startups in die Landeshauptstadt von Baden-Württemberg holen und setzt dabei vor allem auf lokale Expertise.

Interview mit Johannes Ellenberg von Accelerate Stuttgart (Image: Katharina-Franziska Kremkau/Netzpiloten, CC BY 4.0)

In den historischen Räumen des Klett-Verlags, hier im Gründerviertel von Stuttgart, mit Blick auf den Feuersee, nimmt Anfang September Accelerate Stuttgart seine Arbeit auf. In direkter Nachbarschaft gab es bereits vor fast 150 Jahren eine Gründungswelle von heutigen Weltunternehmen. Ähnliches möchte Johannes Ellenberg wieder schaffen und startet zusammen mit Stuttgarter Startup-Enthusiasten das Programm “Accelerate Stuttgart”. Netzpiloten-Projektleiter Tobias Schwarz hat ihn in den noch leeren Räumen besucht und sich das Vorhaben, die Vorgeschichte und die Visionen erklären lassen.

Tobias Schwarz (TS): Anfang September 2015 starten Sie in Stuttgart ein Accelerator-Programm für fünf Startups, das ähnlich wie in den USA auf den Markt vorbereiten soll. Warum machen Sie das und wie ist das Programm aufgebaut?

Johannes Ellenberg (JE): Warum ich das mache, ist eigentlich ein ganz einfacher Grund: Ich habe nach meinen Studium selber angefangen, Unternehmen zu gründen, oder es versucht, und habe mich dabei hier in Stuttgart nicht sehr leicht getan. Zum einen, weil es nicht einfach war Mitgründer zu finden und zum anderen, weil das Thema Startup noch komplett fremd war. Es war schwierig jemanden zu finden, der das verstanden hat.

Als online-affiner Mensch wusste ich natürlich, was über dem Teich abgeht. Große Vorbilder, wie der Y Combinator oder 500 Startups und Techstars, waren da gerade sozusagen im Aufbau. Über die Community-Arbeit, die wir in Stuttgart schon gemacht hatten, also diese Startup-Szene aufzubauen, kamen wir dann dazu zu sagen, es muss jetzt einfach noch ein Schritt weiter passieren. Wir können nicht nur die Leute miteinander vernetzen, wir müssen ihnen konkret helfen. Und so haben wir 2012 Accelerate Stuttgart gegründet und haben jetzt diesen Accelerator gebootstrapped.

Das Besondere ist eigentlich, dass wir uns, ich denke mal im Vergleich zu vielen anderen Programmen, nicht unbedingt auf Geld und Mentoren fokussieren, sondern auf die Methodik und die Umsetzung. Wir bauen unser Curriculum nach einer Methodologie auf, die sich Gamified Startup nennt. Das ist relativ neu und ist mehr oder weniger aus dieser ganzen Lean-Startup-Thematik rund um Steve Blank und Eric Ries entstanden. Das heißt, wir haben nicht nur eine Methode, sondern wir haben auch einen Prozess und Tool-Unterstützung. Deshalb ist unser Accelerator-Programm auch in Sprints aufgebaut, wie man das aus agilen Projektentwicklungen kennt. Wir haben zehn Sprints à 14 Tage, in denen wir mit sehr viel Druck und Nachhaltigkeit die Teams vorantreiben.

TS: Wer sind die Mentoren, auch wenn diese offensichtlich nicht so relevant wie die Methodik an sich sind?

JE: Wir können hier zum Glück auf ein sehr großes Netzwerk an Kontakten zugreifen. Zurzeit formalisieren wir diese Zusammenarbeiten, damit ab dem Start im September auch Kontinuität entsteht. Des Weiteren ist es unser Ansatz, man hört das ja auch schon am Namen von Accelerate Stuttgart, dass es einen lokalen Bezug zur Stadt gibt. Nach einer Erweiterung des Gesellschafter-Kreis zum Jahresanfang haben wir jetzt sechs strategische Gesellschafter mit Minderheitenbeteiligung in die Accelerate Stuttgart GmbH mit aufgenommen.

Diese kommen aus den wichtigsten Unternehmensbereichen oder Know-How-Bereichen. Angefangen bei Recht, Steuern, IT, Design-Branding und Finanzierung, sowie aus dem Bereich Business-Development. Das sind alles Unternehmer aus der Region Stuttgart, mit denen wir schon über Jahre zusammenarbeiten, die wir kennen, zu denen wir auch teilweise freundschaftliche Beziehungen haben und die fügen zunächst zur Methodologie lokal die Expertise hinzu.

Warum lokal? Weil es schön ist, wenn wir hoffentlich bald Christoph Janz von Point Nine Capital oder Uwe Horstmann von Project A Ventures mit an Bord haben. Die sind nicht irgendwo weit ab in Berlin und Hands-on-Hilfe ist so natürlich einfach schneller möglich. Letztendlich müssen Dienstleistungen hier bezogen werden, ich brauche ganz konkrete Fragestellungen im Bereich Steuern, Recht und das ist unserer Meinung nach wirklich sinnvoll, wenn ich hier mein lokales Netzwerk an Dienstleistern und Zulieferern habe, auf die ich standardisiert zugreifen kann.

TS: Accelerate Stuttgart gibt es schon seit September 2012, als Sie zusammen mit Kathleen Fritzsche und dem hiesigen Coworking-Space-Betreiber Harald Amelung gründeten. Wie war die Entwicklung und warum hat es drei Jahr für den Start des Programms gebraucht?

JE: Wir hatten bereits 2011 mit Startup Stuttgart einen Verein gegründet, der sich um die Community-Arbeit kümmerte, und auch damit haben wir immer mehr Geld durch Sponsoring in die Hand bekommen, wodurch es zu einer Professionalisierung kam. Aus diesem Grund haben wir eine Kapitalgesellschaft gegründet. Unsere Version war es, ein Accelerator-Programm für Startups aufzubauen.

Der Wendepunkt war dann 2013, unser erster großer Auftrag vom Wirtschaftsministerium hier in Baden-Württemberg, einen Pitch-Wettbewerb zu organisieren. Mit dem Eleveator Pitch BW, den wir jetzt schon in der dritten Runde organisieren, wurde es dann plötzlich ernst. Dann habe ich mit Kathleen und Harald gesprochen und gesagt, dass ich das jetzt nicht mehr nur nebenher mache, sondern mich auf diese eine Sache konzentriere.

Harald hat sich dann für sein Coworking Space entschieden, aber Kathleen meinte, dass sie dabei ist. Wir haben uns dann eigene Räume gesucht, denn in Haralds Coworking Space wäre es mit uns und den anderen Startups zu klein geworden und dank einem echt guten Kontakt zu David Klett, haben wir diese Räume auch gefunden.

TS: Das sind die ehemaligen Räumlichkeiten des Klett-Verlags?

JE: Genau.

TS: Ist das jetzt ein Freundschaftsdienst von David Klett oder ist der Verlag beteiligt?

JE: Der Verlag ist nicht beteiligt. Es ist tatsächlich so, dass wir jetzt zu Beginn hier Unterstützung bekamen. Die haben uns das hier ein bisschen einfacher gemacht, was die anfänglichen Mietzahlungen angeht, weil der Raum leer stand und der Mietvertrag bis Ende August ging. Das heißt, dass wir ab September die Mieter sind, aber durch die Hilfe hatten wir einen Vorlauf, um langsam anzufangen. Das hat uns auf jeden Fall sehr geholfen.

Noch ist die Garderobe im Accelerate Stuttgart leer (Image: Katharina-Franziska Kremkau/Netzpiloten, CC BY 4.0)
Noch ist die Garderobe im Accelerate Stuttgart leer, bald wimmelt es hier nur so mit Startups.

TS: Noch eine Nachfrage zum 2011 gegründeten Verein “Startup Stuttgart“: Wie hat sich die Stuttgarter Startup-Szene in den letzten vier Jahren verändert?

JE: Das sind schon bald sehr weite Unterschiede, auch wenn wir hier natürlich immer noch irgendwie eine kleine Stadt sind und auch nur eine kleine Community haben. Als ich 2009 direkt nach der Hochschule gründen wollte, sind mir zwei Mitgründer abgesprungen und ich stand alleine da. Also wirklich allein. Ich hab mich dann orientiert, aber bis auf IHK-Gründerstammtische für beispielsweise klassische Gründungen wie Restaurants, Friseursalons oder Nagelstudios, war eigentlich gar nichts da.

2010 war dann das erste Startup-Weekend in Stuttgart, an dem hat auch schon Kathleen teilgenommen, und Harald, da es in seinem ersten Coworking Space stattfand, und wir merkten, hier müssen irgendwo Startup-Leute sein. Kathleen, Harald und ich fanden dann, dass eine Veranstaltung im Jahr zu wenig ist, weshalb wir dann gemeinsam zu Accelerate Stuttgart einen Blog ins Leben gerufen haben und regelmäßig Veranstaltungen organisierten. So ist das Ganze dann gewachsen. Beim ersten Gründergrillen waren fünf Jungs im Schlossgarten mit einem Kasten Bier und einem Einweggrill, inzwischen haben wir zwischen 120 und 200 Gäste. Wir können uns vor Sponsoren eigentlich gar nicht mehr retten, weil jeder mal sponsoren will.

Kontinuität ist uns super wichtig. Es ist hier aber immer noch viel zu tun, vor allem die ganzen Egos irgendwie an einen Tisch zu bekommen und die strukturellen Probleme zu bekämpfen. Was dabei in Stuttgart eigentlich immer hilft, das ist im Silicon Valley oder Berlin nichts anders, sind erfolgreiche Gründer, die einen Exit hingelegt haben und deshalb nicht mehr so in ihrem Unternehmen involviert sind. Die stehen dann in einer Mentor-Rolle der Community zur Verfügung oder gründen vielleicht ein neues Unternehmen und nehmen da wieder neue Leute mit rein.

TS: Ist diese Entwicklung auf die im Koalitionsvertrag angekündigte Gründerinitiative der grün-roten Landesregierung zurückzuführen, die sich eine Gründerwelle zum Ziel gemacht hat?

JE: Uns persönlich hat dieses Wort “Gründerzeit”, das der Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner Antrittsrede gesagt hat, vermutlich sehr geholfen. Ohne dieses eine Wort würden wir vermutlich gar nicht hier sitzen. Er hat zurück zur alten Gründerzeit aufgerufen, was den Effekt hatte, dass das Wirtschaftsministerium diesen Auftrag für sich interpretierte und sie dann 2012 die Gründermesse im Hause des Wirtschaftsministeriums veranstalteten. In diesem Rahmen hatten wir unseren ersten Auftrag vom Wirtschaftsministerium bekommen, die Durchführung des Elevator-Pitch-Wettbewerbs auf der Messe.

Das war ein eintägiger Pitch-Wettbewerb im Wirtschaftsministerium und aus dieser eintägigen Veranstaltung haben wir zusammen mit dem ifex das Konzept für den „Elevator Pitch BW“ entwickelt, wie er heute noch da ist und das ganze Jahr durchs Land wandert, um Gründungsideen einzusammeln. Dafür wurden natürlich Mittel bereitgestellt und wenn man es so will, sind wir praktisch daraus gewachsen.

TS: Wie bewerten Sie Instrumente wie den Beratungsgutscheinen für junge Gründer, Mikrokrediten, Beratungseinrichtungen und den Hightech-Wagniskapitalfond?

JE: Es ist seit dem Regierungswechsel auf jeden Fall einiges passiert, aber es kommt immer im Detail und auf den Einzelfall an. Gründungsberatung hängt in der Regel nicht von der Höhe der Fördersumme ab, also wie viel sie mich kostet, sondern von der Qualität des Beraters und da haben wir einfach das Problem, dass das Geld oft bei den falschen Leuten ankommt. Das sind dann Unternehmensberater oder Startup-Berater, die selber noch nie ein Unternehmen gegründet haben, ein bisschen Theorie gelesen haben, die aber auch vor allem noch mit veralteten Management-Konzepten arbeiten.

Beispielsweise einen Businessplan. Ich kann einem Startup kein Businessplan schreiben lassen, das persönlich noch nicht einmal weiß, ob sein Produkt am Markt ein Problem löst. Man kann diesen Leuten oder Institutionen aber auch keinen direkten Vorwurf machen, denn die haben das schon immer so gemacht und es nicht anders gelernt und in die fließt natürlich wieder viel Kapital, weil die auch abhängig sind von dem Kapital. Das sind diese festgefahrenen Strukturen, bei denen gut gemeinte Initiativen irgendwo doch wieder in die alten gleichen Kanäle versickern und es keinen großen Unterschied macht.

TS: Eine Bürokratie hat sich eben noch nie selber abgeschafft.

JE: Die Bürokratie soll sich auch nicht selbst abschaffen. Es geht vielmehr um die Institutionen, die diese Förderung erhalten. Die rechnen mit Planstellen und sind super abhängig von diesen Fördertöpfen. Sie schaffen es nicht, weil sie in der Regel gar nicht über die Privatwirtschaft finanziert sind, attraktive Talent zu rekrutieren. Es ist super schwierig, zumal rein privatwirtschaftliche Initiativen erst einmal keine Konkurrenz darstellen, weil diese natürlich höhere Preise anbieten müssen, um wirtschaftlich zu sein. Das heißt Wirtschaftsförderungen ist immer gut gemeint, aber in der Umsetzung super schwierig.

TS: Das Landesministerium für Finanzen und Wirtschaft bietet Startups die sogenannten Innovationsgutscheine B an, mit denen Unternehmen, die jünger als fünf Jahre sind, einen Zuschuss von bis zu 20.000 Euro umsetzungsorientierte Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten zu bestimmten Schwerpunkten, wie zum Beispiel nachhaltige Mobilität, Umwelttechnologie, und intelligente Produkte, fördert. Sind das die Bereiche, auf die sich Startups aus Baden-Württemberg fokussieren?

JE: Wir beobachten in den letzten vier Jahren, dass das zunehmend angenommen wird. Es gab einen Anstieg von B2B-Startups, gerade aus dem technischen Bereich, wobei wir bei diesem Thema in Baden-Württemberg auch so stark vertreten sind. Und dann muss man sagen, dass bei den Hochschulen von hier, die zu den Themen ausbilden, und den Unternehmen aus der Region, es im Verhältnis noch viel zu wenig sind. Hier gibt es so viele attraktive Arbeitgeber, die sehr gut bezahlen, dass ein Student schon richtig Gründen wollen muss, um nicht nach dem Studium den Schritt zu Daimler oder zu Porsche zu machen, weil deren Angebote einfach super sind.

TS: Mit einer Idee aus welchem Bereich sollte man nach Stuttgart kommen, um hier zu gründen und sich zu entwickeln?

JE: Mit allem, was die Industrie im Maschinenbau – besonders aber die Automobil-Industrie – betrifft, hat ein Startup natürlich hier die perfekten Bedingungen, weil Kunden hier unten schon vorhanden sind. Der Mittelstand war bisher noch nicht so offen gegenüber Startups, wie er sein könnte, aber das beginnt langsam zu bröckeln. Ich denke, in zwei bis drei Jahren haben wir hier ein Ökosystem, indem Startups, die eben aus dem Engineering-Bereich kommen, auf sehr offene Türen stoßen werden.

Anmerkung der Redaktion: Nach Rücksprache mit Johannes Ellenberg haben wir einige Korrekturen an dem redigierten Transkript vorgenommen.


Teaser & Images by Katharina-Franziska Kremkau/Netzpiloten (CC BY 4.0)


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ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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